Good Night Bad Morning

(VII) Augenringe des Todes

Von Jana Felgenhauer



Zeichnung: Franziska Demmler

Ich sitze mit Sonnenbrille auf dem Klodeckel. Verstohlen blicke ich mich um und suche nach der letzten fiesen Fussel, dem letzten Zahnpastaspritzer, dem letzten überlebenden Fliegenkot auf der Fensterbank. Alles glänzt und blitzt so sehr, dass ich Gefahr laufe, eine Netzhautablösung zu erleiden. Ich habe geputzt. Von morgens um neun bis abends um neun. Ich will diesen Raum nicht verlassen, aber ich muss. Panik beschleicht mich. Auf meinem Bett im Nebenraum liegt dieses Ding. Es ist bedrohlich, es reißt mich in den Abgrund meiner schlimmsten Albträume. Es ist ein Hefter. Er ist beschriftet mit dem Wort „Prüfungsvorbereitung“.
Für viele sind das Lernen und die Uni im Allgemeinen eine Art Lebenssinn und „Friedolin“ ist ein virtueller Raum, in dem sie berauscht von ihrem Notenspiegel multiple Orgasmen erleben. Für mich hingegen ist „Friedolin“ nur der Name des lustigen Scheiß-Eimerchens meines Großcousins – ein Plastik-Nachttopf in Drachenform. Meiner Meinung nach gibt es wichtigere Dinge, als stundenlang Definitionen auswendig zu lernen.
Zum Beispiel Zeit mit der Akrützel-Großfamilie zu verbringen. Irgendjemand muss hier schließlich Unizeitung machen, damit ihr in der Vorlesung Lektüre und anschließend die Möglichkeit habt, euer muffiges Butterbrot mit Teddywurst irgendwo einzuwickeln.
Obwohl der Journalismus ein krankes Tier ist und, wie sich Günter Grass unlängst geäußert hat, nur noch „von Sensation zu Sensation jagt, sich keine Zeit nimmt, die Hintergründe auszuleuchten, und von der Hand in den Mund lebt“, machen wir unbeirrt weiter. Für diese Ausgabe ist beispielsweise ein Redakteur in den verruchten Abgrund des Jenaer Sexshops geklettert. Ein paar von uns haben sich gestritten, wer den Bürgermeister von Jena in Louisiana anruft und ob man den auch zu Hause von Couch und Knabberschüssel wegholen darf. Ein anderer heißer Interviewfavorit war außerdem Konrad Petzold, Regisseur der Romanverfilmung von Alfons Zitterbacke in Jena – aber der ist leider schon tot. In dem Heft sollten eigentlich noch ein Pommeswender von Fritz Mitte und ein Dönermann auftauchen. Wir fragen uns gerade selbst etwas beschämt, warum die uns durch die Lappen gegangen sind und wer sich jetzt im strömenden Regen nochmal in die Stadt aufmachen soll, um sich die Stars der Fast-Food-Szene und gleichzeitig den Titel „Mitarbeiter des Monats“ zu krallen.
Auch diesmal haben wir uns wieder an einem Sonntag getroffen, um bis in die frühen Morgenstunden das neue Heft für euch fertig zu basteln. Die Redaktion verwandelt sich dabei zu vorgerückter Stunde in eine Kneipenlandschaft mit zahlreichen leeren Flaschen, Chipspackungen und abgestandener Luft. Nur alte Männer in fettigen Jeanswesten fehlen. Auf Youtube schauen wir uns gegen Mitternacht die „zehn hässlichsten Tiere der Welt“ an, um uns wach zu gruseln, während im Nebenraum aus allen Laptops verschiedenste Klänge schallen und einen Krieg der Musikstile veranstalten. Gegen ein Uhr bemerke ich, wie mein Kopf immer leerer wird und ich meine Fingernägel auf einen blutigen Rand heruntergekaut habe, wütend darüber, dass mir kein Titel für meinen Text einfällt. Nachdem mir zahlreiche Redaktionsmitglieder mit „Augenringen des Todes“ entgegengewankt sind, ergreife ich die Flucht und rufe Hanne zu, dass ich ihr am nächsten Morgen vielleicht noch eine Mail schreibe, wenn mir ein Titel einfällt.

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