Zu provinziell

Jena scheitert beim Versuch Elite-Uni zu werden

Von Korenia Eschert und Anna Zimmermann

Zur Zeit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika herrschte in den Kolonien eine immens hohe Lese- und Schreibfähigkeit. Konnten in Übersee etwa 75 Prozent der Menschen lesen und schreiben, waren es im Europa das 18. Jahrhunderts nur etwa 30 Prozent. Allein aufgrund dieser hohen Alphabetisierungsrate konnte die amerikanische Revolution von der breiten Masse der Bevölkerung getragen werden. Bildung wurde zur Voraussetzung der Unabhängigkeit. Universitäten, die sich in dem neuen Staatenbund herausbildeten, zählen heute zu den renommiertesten und angesehensten der Welt. Im Hochschulranking der Times von 2010 sind die ersten fünf Plätze von US-amerikanischen Universitäten belegt, die beste deutsche Hochschule, die Uni Göttingen, erreichte nur Platz 43.

Um aufzuholen und Eliteuniversitäten nach amerikanischem Vorbild zu schaffen, wurde 2005 von Bund und Ländern die Exzellenzinitiative ins Leben gerufen. Realisiert wird dieser Wettbewerb durch die Deutsche Forschungsgesellschaft und den Wissenschaftsrat. Deutsche Spitzenforschung soll in Schwerpunktbereichen finanziell mit mehr als 2,7 Mrd. Euro unterstützt werden. In insgesamt drei Förderrunden hatten alle deutschen Universitäten die Möglichkeit, Anträge in drei verschiedenen Bereichen zu stellen.
Auch Jena strebte in der zweiten Runde des Exzellenzprogramms 2006 wie 70 andere Hochschulen Deutschlands danach, als „exzellent“ ausgezeichnet zu werden. Von fünf Anträgen konnte zumindest einer zur Förderung einer Graduiertenschule durchgebracht werden.
In der dritten, aktuellen Förderrunde, für die die Antragsskizzen bis zum September 2010 einzureichen waren, sollte dies nun erweitert werden: Die Uni Jena schickte vier Anträge ins Rennen: zwei für Graduiertenschulen, einen für ein Exzellenzcluster zur „Aufklärung und Moderne“ und – als Krönung sozusagen – das Zukunftskonzept. Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften fanden gleichrangig Berücksichtigung. Eine Graduiertenschule sollte sich mit Licht und „seinen Wechselwirkungen mit Materie“ befassen, die andere sozialen Wandel erforschen. Besonders wurde aber auf das mit der Unabhängigkeitsformel betitelte Zukunftskonzept gesetzt. „Light, Life, Liberty“ prangte stolz auf der Winterausgabe des Uni-Journals und sollte damit erhobenen Hauptes anderen Wettbewerbsteilnehmern die Stirn bieten. Interdisziplinarität wollte man ausdrücken. Klaus Dicke, Rektor und Sprecher der Jenaer Anträge zur aktuellen Förderrunde, erklärt das Motto des Zukunftskonzepts: „,Light‘ ist nicht nur Laser, Optik oder Photonik,‚,Light‘ ist auch Enlightenment, Aufklärung.“ Er und der Prorektor für Forschung äußerten sich im Vorfeld der Presse gegenüber äußerst positiv.

Jena kann nach Hause gehen

Nun, ein halbes Jahr später, winkt Jena dem abgefahrenen Zug hinterher – alle Projekte wurden abgelehnt, es dürfen nicht einmal Vollanträge gestellt werden. Und dabei wurde doch sogar auf die Kerngedanken der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung „Life, Liberty, Pursuit of Happiness“ zurückgegriffen. Wobei mit der Ersetzung des „Strebens nach Glückseligkeit“ durch „Light“ natürlich ein Bezug zur eigenen Region hergestellt wurde.
Dass es das Konzept nicht in die nächste Auswahlrunde schaffte, kann vielleicht auch daran liegen, dass Jena mit nur einem Clusterantrag ins Rennen ging. Zukunftskonzepte und der damit einhergehende Titel „Eliteuniversität“ setzen nämlich voraus, dass eine Universität jeweils ein Exzellenzcluster und eine Graduiertenschule hat. Mehrere Anträge erhöhen somit die Erfolgschancen. „Das war ein gewisses Risiko“, räumt Professor Dicke ein, er ist aber auch stolz darauf, dass es das Zukunftskonzept dennoch in die Endberatung schaffte. Das sei ein Zeichen dafür, dass es gut bewertet worden sei. Gewonnen hat die Universität damit allerdings nichts.
Die Entscheidung darüber, wer fortan den Titel „Eliteuniversität“ tragen und aus dem Topf der Fördergelder schöpfen darf, trafen eine Fach- und eine Strategiekommission, eingesetzt von DFG und Wissenschaftsrat. Zusammen bilden sie ein Gremium, das während der verschiedenen Prüfungsphasen die Anträge bewertet und aussiebt. Auswahlkriterien waren vor allem Innovationen und Internationalität in Forschung und Nachwuchsförderung. Begutachtet wurden zudem der interdisziplinäre Ansatz der Konzepte und inwieweit die Universitäten weltweit in Erscheinung treten. Aber auch die Zusammenführung regionaler Forschungskapazitäten war ein entscheidendes Kriterium. Zumindest was den letzten Punkt betrifft, hat Jena laut Rektor Dicke gut abgeschnitten. Auch „die Forschungsdynamik wurde deutlich hervorgehoben, also die Entwicklung seit der ersten Runde der Exzellenzinitiative“, so Dicke über den auswertenden Bericht der DFG zur Ablehnung der Jenaer Anträge. Weniger positiv wurde Jenas internationaler Outreach, also die internationale Anbindung, bewertet. Zu anderen negativen Kritikpunkten wollte der Rektor nicht Stellung nehmen. Von einigen denkt er aber, dass die Bewerbung mit ihnen auch hätte durchkommen können. „Es muss also eine ganze Reihe sehr guter oder exzellenter Anträge dagewesen sein“, schlussfolgert Dicke.

Nach dem Matthäusprinzip

In der letzten Förderrunde wurden vor allem Universitäten in den alten Bundesländern gut bewertet: Ganz vorne waren mit Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen drei Länder, in denen Studiengebühren erhoben bzw. den Universitäten die Erhebung von Gebühren offen gestellt werden. Wer hat, dem wird also gegeben. Dieses Problem bestätigt auch Rektor Dicke. In der Antragsrunde im September gingen alle Thüringer Universitäten leer aus. Länder, in denen keine Studiengebühren erhoben werden bzw. wurden, sind generell unterrepräsentiert. Nur 15 der 59 zum Vollantrag aufgeforderten Anträge stammen aus Bundesländern ohne Studiengebühren. Ziel der Exzellenzinitiative ist es eben nicht, Gleichheit zu begünstigen. Vielmehr soll die Ungleichheit ausgebaut und nach eigenen Angaben die „so lange verpönte Elite“ gefördert werden.
Über den Sinn einer solchen Vorgehensweise lässt sich wohl diskutieren. Auch darüber, wie effektiv eine Förderung über fünf oder im Falle einer Weiterförderung zehn Jahre ist. Einige US-amerikanische Universitäten haben ein enormes Stiftungskapital, das über Jahrhunderte aufgebaut wurde. Harvard verfügt mit 100 Mio. Dollar pro Jahr über das größte der Welt. In Deutschland liegt die Finanzierung der Hochschulbildung hingegen gänzlich in Händen des Staates, die Gegebenheiten sind folglich grundsätzlich andere. Zudem lassen sich finanzielle Defizite auch nicht in einer derart kurzen Periode aufholen. Nach der aktuellen Förderrunde wird es in diesem Rahmen nämlich keine weiteren geben.
Für Rektor Dicke war es dennoch eine Selbstverständlichkeit, an diesem Förderprogamm teilzunehmen. „Ein bisschen sind wir das auch der Universität schuldig“, findet er. Mögliche negative Begleiterscheinungen wie die Einschränkung der Forschung durch Schwerpunktbildung sieht er nicht gegeben. Andererseits fordert er aber auch die langfristige Integrierbarkeit von neuen Ideen in gesetzte Kernbereiche. In jedem Fall erhofft er sich infolge der Exzellenzinitiative einen Imagegewinn: „Bundesligadenken ist ja in Deutschland sehr verbreitet“, erklärt Dicke. Auch Universitäten wollen sich aneinander messen, Konkurrenten ausstechen und Verlierer hinter sich lassen.

Exzellente Bedingungen

Dass diese Vorstellung gar nicht so falsch ist, belegt Jenas Graduiertenschule „Jena School for Microbial Communication“ – kurz JSMC –, die seit 2007 im Zuge der Exzellenzinitiative gefördert wird. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen forschen dort zur Kommunikation zwischen Mikroorganismen und Lebewesen. Sie ist das einzige Projekt Jenas, das noch eine Chance auf Weiterförderung hat. Im September dieses Jahres darf sie ihren Antrag stellen. Der Geschäftsführer der JSMC Carsten Thoms bestätigt die Attraktivität der Förderung von Doktorandenstellen durch Stipendien aus der Exzellenzinitiative. „Wir hatten seit dem ersten Auswahlverfahren 2008 etwa 3300 Bewerbungen auf die 61 geförderten Stellen“, sagt er. Etwa 50 Prozent der Stipendiaten seien aus dem Ausland, der größte Teil zumindest nicht aus Thüringen. Und da die JSMC nicht nur exzellente Stipendiaten umfasst, sondern auch eine Dachorganisation für weitere Graduierendenkollegs darstellt, kommt die Förderung auch anderen Graduierenden zugute. Doktoranden des Leibniz- und des Max-Planck-Instituts, sowie von der DFG Geförderte können ebenfalls von den Netzwerken der JSMC Gebrauch machen.
Markus Bohnert, Doktorand und Stipendiat der JSMC, äußert sich durchaus positiv zu den Möglichkeiten, die ihm die Graduiertenschule bietet. Aufgrund der besseren Struktur im Vergleich zu anderen Angeboten sieht er seine schnelle Promotion unter verlässlichen Umständen gewährleistet. Während Professoren Doktoranden normalerweise aus dem eigenen Portmonee bezahlen, bezieht er seinen Unterhalt von der Exzellenzinitiative. Damit bleibt insgesamt mehr Geld für Forschung nach eigenen Vorstellungen übrig. Das Netzwerk der JSMC, das aus universitären und außeruniversitären Institutionen besteht, will eine Vorbereitung und Planung der individuellen Karrieren der Doktoranden ermöglichen. Gegenseitiger Austausch wird dadurch gewährleistet, dass die JSMC Doktoranden unterschiedlicher Richtungen vereint. Neben Pharmazeuten wie Markus promovieren dort auch Biologen, Physiker und Chemiker. Es gibt Symposien und Konferenzen, bei denen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse vorstellen und Treffen, bei denen sie ins Gespräch kommen. Insgesamt scheint das Konzept der Förderung durch die Exzellenzinitiative dort also aufzugehen.

Rettungsplan FSU 2020

Was passiert jedoch, sollte die Weiterförderung im September nicht bewilligt werden? JSMC-Geschäftsführer Thoms ist sich sicher, dass die Graduiertenschule weitergetragen wird, „wenn auch auf kleinerer Flamme“. Eine ausgleichende Finanzierung durch die Wirtschaftspartner der JSMC schließt er aus. Markus sieht die Gefahr vor allem darin, dass das Netzwerk von unterschiedlichen Partnern und Instituten aufgrund der geringeren Finanzierung und des Imageverlusts auseinanderfallen könnte. Denn gerade darin liegt für ihn der Vorteil in der Promotion an der JSMC. Größere Geldbeträge müssten durch andere Förderanträge eingeworben werden, so handhabt es auch die Uni. Auch wenn das zur Zeit schon praktiziert wird, wäre das finanzielle Bett mit Exzellenzinitiative wesentlich weicher. Eine weitere Hoffnung könnte auch auf einer Weiterfinanzierung durch das Land Thüringen liegen. Um im Wettbewerb konkurrenzfähiger zu sein, hatte der Freistaat im Jahr 2008 die ProExzellenzinitiative ins Leben gerufen und die Uni Jena mit 26,6 Mio. Euro gefördert. Damit wollte man die bessere finanzielle Forschungslage anderer deutscher Universitäten kompensieren. „Trotz der gemeinsamen Anstrengungen von Land und Hochschulen ist es noch nicht gelungen, zu den großen Wissenschaftsstandorten in den alten Bundesländern aufzuschließen“, bedauert der stellvertretende Pressesprecher des Thüringer Kultusministeriums.
Abgesehen von dem finanziellen Rückschlag ist es für den Rektor ein Schritt nach vorn, dass auf das Ausscheiden kein „großes Wundenlecken und Erstarrung“ folgten. Die FSU will an sich arbeiten, auch wenn die Grundausrichtung des Zukunftskonzepts beibehalten werden soll. Außerdem sollen dynamische Züge in die Forschung integriert werden. Dementsprechend kann es in näherer Zukunft zu Verschmelzungen, Teilungen oder auch Erweiterungen der verschiedenen Projekte kommen. Eine weitere Verbesserung soll Dickes Elfpunkteplan bringen. Dieser beinhaltet Ziele wie die regionale Einbindung aller an der FSU Interessierten sowie Qualitätssicherung. Die sogenannte „FSU 2020“-Strategie soll auf lange Sicht helfen, die Universität und ihr Angebot zu internationalisieren und die Fakultäten zu modernisieren. Auch eine Synergie mit anderen Hochschulen wäre wünschenswert, eine Kooperation mit Halle und Weimar besteht bereits.
Somit behält die Universität zumindest teilweise ihr Motto bei – glücklicherweise gibt es Licht und Leben ja sowieso kostenfrei. Freiheit hat die Uni nun auch, gewährleistet dadurch, dass sie sich nicht mehr durch äußeren Druck dazu genötigt fühlen muss, Schwerpunkte zu benennen. Ohne Kontrahenten im Rücken kann sie wieder ihrer Tradition als Volluni gerecht werden und Forschungsideen in alle Richtungen fördern. Wenn auch ohne Bezuschussung.

Das Interview mit Rektor Klaus Dicke gibt es hier.

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3 Antworten auf Zu provinziell

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  • Als Göttinger, der auch in Göttingen studiert hat, ist es schon erschreckend, wenn die Uni auf Platz 43 rangiert. Nicht aber weil Sie einen besseren Platz verdient hätte, sondern weil es eine Uni ist, die bis auf eine Verflechtung mit der Wirtschaft kaum etwas zu bieten hat.

    Die ganzen Fördermaßnahmen und Fördertöpfe schaffen lediglich einen Anreiz sich anzustrengen um sich aus eben jenem Topf zu bedienen – ein langfristiges Konzept, übergreifend auf alle Bereiche der Universität entsteht daraus nicht.

    Geld ist sicherlich ein wichtiger Punkt, aber derzeit wird es soweit reduziert, als ob ohne zusätzliche Millionen gar keine vernünftige Lehre möglich ist. Ich denke eher, umso mehr Geld in das System gepumpt wird, umso abhängiger wird es davon, an der Qualität jedoch ändert sich nichts.

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