Vom Tauschen und Handeln

Studenten engagieren sich für Asylbewerber

Von Johanne Bischoff



Foto: Katharina Schmidt

Ein kleiner Wels schwimmt aufgeregt in seinem Glas auf dem Wohnzimmertisch auf und ab. Rund um sein Heim stehen Schalen und Teller voller Süßigkeiten: Baklava, gesalzene Nüsse und Pistazien aus dem Iran, Pralinen aus dem Supermarkt in der Stadt. Amin* und seine Frau Azadeh kochen Schwarztee für ihre Gäste. Im Hintergrund läuft ein Lied von Pink, Azadehs Lieblingsmusikerin.
Auf der großen Couch in dieser viel zu kleinen Wohnküche sitzen acht Studenten aus Jena. Sie kommen einmal im Monat zum Asylbewerberheim am Rande einer Stadt in Thüringen, um Bargeld gegen Gutscheine zu tauschen.

In einigen Landkreisen des Freistaates bekommen Menschen, die Asyl suchen, Gutscheine, die sie dann in ausgewählten Läden gegen Lebensmittel und Hygieneartikel eintauschen können. Alkohol, Zigaretten und Elektrogeräte können Asylbewerber nicht erwerben. 126 Euro im Monat für jeden Erwachsenen. Das sind 4,20 Euro am Tag. Hartz-IV-Empfänger bekommen für Nahrungsmittel das gleiche. Solange das Asylverfahren läuft, werden noch 40,80 Euro bar als Taschengeld ausgezahlt. Wird der Antrag allerdings abgelehnt und eine Duldung ausgesprochen, gibt es dieses Geld nicht mehr.

„Pure Arroganz“

Hassan hat die Gutscheininitiative mit ins Leben gerufen. Er selbst ist vor mehr als zehn Jahren aus dem Iran geflüchtet. Ihm fallen viele Gründe ein, warum man sich gegen die Unterstützung durch Gutscheine wehren sollte: „Es ist eine Stigmatisierung. Die Betroffenen können nicht kaufen, was sie wollen.“ Für Hassan ist es „pure Arroganz“: den Asylbewerbern werde unterstellt, dass sie mit Geld nicht umgehen könnten. Außerdem sei es eine Entmündigung und diene der Kontrolle. Nach dem Einlösen werden die Produkte und die Registriernummer des Gutscheins gespeichert.
„Sie können nicht einkaufen, wo sie möchten, sondern bekommen auch das vorgeschrieben“, erklärt Hassan. In der Regel gehören dazu ortsansässige Filialen von großen Supermarktketten, manchmal auch Kleidungsdiscounter und Drogerien.
Die etwa 20 Studenten aus Jena stehen mit ihrer Initiative noch am Anfang. Sie sammeln Einkaufslisten von Kommilitonen, rechnen aus, wie viel die Produkte kosten werden und tauschen daraufhin Gutscheine im gleichen Wert mit den Asylbewerbern. Dann arbeiten sie sich, meist zu acht oder zu zehnt, durch den Supermarkt und bezahlen mit den Gutscheinen. „Das Problem ist gerade noch, dass wir ein einfacheres System entwickeln müssen“, sagt Anna, eine der Studentinnen. Es ist schwer, im Voraus abzuschätzen, wie viele ihre Gutscheine eintauschen möchten. Außerdem wissen die Studenten erst am Tag des Tausches, wie viel Bargeld sie tatsächlich zur Verfügung haben. Das größte Problem ist, dass sie die Gutscheine nicht an die Spender übergeben können. Sie müssen in den Filialen vor Ort einkaufen, weil die Gutscheine in anderen nicht gültig sind.
Für die Asylbewerber bietet der Tausch viele Möglichkeiten, die sie sonst nicht hätten, denn Gutscheine sind nicht gegen Busfahrscheine, gegen Schwimmbad- oder Kinoeintrittskarten einlösbar. Möchte Amin seiner Tochter Saher ein Eis kaufen, muss er dazu auf das Taschengeld zurückgreifen. Aber das ausgezahlte Bargeld ist oft schon für andere Sachen eingeplant.
Neben der Lösung organisatorischer Schwierigkeiten diskutieren die Jenaer Studenten noch weitere wichtige Fragen: Sollen Menschen, die kein Taschengeld bekommen, mehr Geld tauschen dürfen? Was ist mit Kindern? Wo sollen sich die Gutscheinaktivisten und die Asylbewerber treffen? Es soll nicht nur ein finanzieller Austausch stattfinden, sondern auch ein Treffen zwischen Menschen. Anna erklärt: „Im Sommer ist es natürlich einfacher. Da können wir uns draußen an einem schönen Ort verabreden und ein Picknick machen. Momentan versammeln wir uns auf einem Parkplatz in der Nähe des Heims, das ist keine gute Lösung.“ Der „Handel“ mit den Gutscheinen ist nämlich nicht erlaubt.

Ellenlange Kassenzettel

Die Sonne scheint durch die großen Fenster. Amin und Azadeh leben hier mit etwa 100 anderen. Sie haben eine kleine Wohnung in der umgebauten Platte. Ein Schlafraum, den sie mit den Kindern teilen, ein Bad mit Dusche und die kleine Wohnküche – alles zusammen nicht mehr als 40 Quadratmeter. Die Möbel wollen nicht so richtig zusammenpassen, aber alles ist überdurchschnittlich ordentlich und sauber. Saher, die jetzt in den Kindergarten gehen darf, flitzt in das Schlafzimmer und holt einen Brummkreisel. Sie kommt zurück und fragt eine Studentin, ob sie ihr das mal zeigen soll. Dann bringt sie den Kreisel zum Brummen, guckt in die Runde und freut sich.
Ihre Mutter zieht aus einem der Schränke einen Sack und bietet den Gästen ein Produkt aus ihrer Heimat an. Keiner ist sich sicher, was es ist: eine getrocknete dunkelbraune Frucht, in der Kerne stecken. Sie holt ein Wörterbuch und schlägt den Begriff nach: „Es heißt Tamarinde.“
Ihr Mann, der aus dem Iran geflohen ist, weil er als Aktivist der grünen Bewegung verfolgt wurde, zeigt Fotos von seiner Familie. Als die Tassen leer sind und die Studenten sich durch all die Leckereien probiert haben, beginnt der Abschied. Dann steigen sie in die Autos und Saher winkt ihnen hinterher.
Ausgestattet mit ihren Listen ziehen sie durch den großen Supermarkt, suchen Nudeln, Gemüse, Tofublöcke, kistenweise Milch und Sojareisdrinks zusammen und begeben sich nach gut anderthalb Stunden konzentrierter Sammelei zur Kasse. Dann beginnt der Kassiermarathon. Nach dem zweiten randvollen Einkaufswagen atmet die Verkäuferin tief ein, als sie sieht, dass noch sechs weitere herangeschoben werden. Der Bon wird länger und länger. „Sechshundertsiebenundsiebzig Euro zwanzig.“ Einer der Studenten drängelt sich zum Kaugummiregal zurück, nimmt zwei Päckchen und legt diese auch noch dazu. Den Läden ist es nur gestattet, Wechselgeld unter einem Euro rauszugeben. Dann werden Gutscheine, die es im Wert von einem, fünf, zehn, zwanzig und fünfzig Euro gibt, über das Band gereicht.
Nachdem alle Lebensmittel und Hygieneartikel in den Autos verstaut sind, stehen die Studenten im Parkhaus, rauchen und essen ein Eis, bevor sie wieder nach Jena zurück fahren. Dort sortieren sie die Einkäufe in Kisten, damit jeder bekommt, was er bestellt hat, und rechnen mit dem meterlangen Kassenzettel aus, wie viel jeweils bezahlt werden muss. Langsam senkt sich die Sonne über der Stadt. Nach und nach trudeln alle ein, holen ihre Kiste ab und versprechen, im nächsten Monat wiederzukommen.
Zwischen den Gläsern mit Süßigkeiten dreht der kleine Wels indes Runden in seinem eigenen Glas. Er hofft darauf, nicht entdeckt zu werden, denn Tiere sind gemäß der acht-Seiten-umfassenden Hausordnung in Asylbewerberheimen nicht erlaubt.

* Namen von der Redaktion geändert.

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