Keine Bastion des Widerstands

Der Historiker Norbert Frei im Gespräch

Das Gespräch führte Laura Wesseler




Foto: privat

Professor Norbert Frei ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der FSU Jena und Mitverfasser des Buches „Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ (Blessing Verlag 2010). Mit Akrützel sprach er über die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an der Politik des NS-Regimes, Verklärungen in Nachkriegsdeutschland und die zuletzt geäußerte Kritik an dem Buch der Unabhängigen Historikerkommission.

Was wurde grundlegend Neues über das Auswärtige Amt in der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 und dann nach dem Zweiten Weltkrieg herausgefunden?
Viele Dinge in diesem Buch, gerade was die NS-Zeit angeht, waren von den Fakten her vorher schon bekannt. Wir haben sie hier in einen Gesamtzusammenhang eingeordnet. Dieser Zusammenhang besteht vor allem darin, dass wir die Entwicklung des Auswärtigen Amtes auch in der neuen Bundesrepublik nachzeichnen. Im Grunde befasst sich dieses Buch mit der Geschichte des Auswärtigen Amtes bis zum Jahr 2005. Also dem Zeitpunkt, als der damalige Außenminister Joschka Fischer die Historikerkommission einsetzte.

Worin liegt der Unterschied zu der bereits bekannten Forschung zu diesem Thema?
Wichtig ist erst einmal festzuhalten, dass wir uns am Anfang unserer Arbeit überlegt haben, dass es nicht angehen kann, dass man so tut, als würde man eine Institution im Dritten Reich gleichsam im Beziehungsverhältnis zum NS-Regime untersuchen. Unsere Ausgangshypothese war: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich war das Auswärtige Amt des Dritten Reiches. Das hört sich wie eine Banalität an, aber damit wird ein entscheidender Punkt gesetzt, der unsere Arbeit bestimmt hat. Wenn man so an die Sache herangeht, schreibt man nicht automatisch die Legende fort, dass das Auswärtige Amt eine „Bastion des Widerstandes“ gewesen sei.

Im Auswärtigen Amt gab es keinen Widerstand gegen Hitler? Dabei gehörten doch viele Diplomaten den „alten Eliten“ an, die eigentlich nicht mit den Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werden wollten.
Selbstverständlich gab es auch Widerstand. Wichtiger aber war von Anfang an die „Teilidentität der Ziele“, wie Manfred Messerschmidt das einmal für die Wehrmacht genannt hat. Auch das Auswärtige Amt stand der Weimarer Republik distanziert, wenn nicht ablehnend gegenüber. Es war ebenso für eine Revision des Versailler Vertrages wie die NS-Bewegung, und nach 1933 gab es im Auswärtigen Amt genauso wie in weiten Teilen der Gesellschaft eine Bereitschaft zur Mitwirkung und zur Unterstützung des Regimes. Das Auswärtige Amt war keine Institution, die in prinzipieller Opposition gestanden hätte.

Waren die deutschen Diplomaten von Anfang an in die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands einbezogen?
Das Interessante ist, dass das Auswärtige Amt vom ersten Tag an unter dem neuen Kanzler Adolf Hitler genauso funktioniert hat wie unter seinen Vorgängern. Nebenbei gesagt, der letzte Außenminister der Weimarer Republik war auch der erste Außenminister des NS-Regimes. Mit Konstantin von Neurath gab es also auch an der Spitze Kontinuität.
Das Auswärtige Amt hat sofort versucht, das negative Image, das sich durch die Entrechtung und Verfolgung von Linken und Juden im Ausland aufgebaut hat, mit den ihm möglichen Mitteln und Methoden zu bekämpfen. Nehmen wir den Boykott gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933: In New York haben damals 250.000 Menschen gegen die Diskriminierung und Verfolgung der Juden in Deutschland demonstriert. Das Auswärtige Amt und seine Vertretung in den USA haben versucht, entsprechend Gegenpropaganda zu machen.

Wie weitreichend war denn insgesamt die Beteiligung deutscher Diplomaten an der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Europa?
Das war keine einmalige Entscheidung, sondern ein Weg, auf dem sich das Auswärtige Amt immer wieder nützlich machte. Die ersten Schritte sind selbstverständlich noch nicht im Bewusstsein der letzten Konsequenz erfolgt. Als während des Krieges die eigentlichen diplomatischen Aufgaben immer weniger wurden, hat das Auswärtige Amt geradezu nach neuen Aufgaben gesucht. Und es hat diese auch in der Mitwirkung an der Judenpolitik und an den Deportationen in die Vernichtungsstätten „im Osten“ gefunden.
Sie haben eingangs erwähnt, dass mit Ihrer Arbeit der Mythos des Auswärtigen Amtes als „Bastion des Widerstandes“ widerlegt ist. Wie kam es überhaupt zur Entstehung dieses Mythos‘? Schließlich wurde zum Beispiel Ernst von Weizsäcker, ehemaliger Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, im Nürnberger Wilhelmstraßenprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Eigentlich hätte nach diesem Prozess das Ganze völlig klar sein und bleiben müssen. Und für den Rest der Welt war dies auch so. In Deutschland aber haben die alten Eliten alle Hebel in Bewegung gesetzt, die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Mitwirkung des Auswärtigen Amtes an den Verbrechen des Regimes wieder zu vernebeln. Das war auch deshalb so wichtig, weil es eben diese hohe Personalkontinuität – in die neu entstehenden Institutionen der Bundesrepublik hinein – geben sollte. Wenn es nicht gelingen würde, die Legende von dem „im Kern gesund“ gebliebenen Auswärtigen Amt zu entwickeln, dann hätte es auch wenig Legitimation für die alten Diplomaten gegeben, Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend zu machen.

Es muss doch Ermittlungen in der Nachkriegszeit gegen einzelne Diplomaten gegeben haben. Wie hat denn das Amt darauf reagiert?
In der Tat, diese Ermittlungen hat es gar nicht so selten gegeben. Auch einige Diplomaten wurden zur Rechenschaft gezogen, wenngleich es meist mit milden Strafen abging. In den fünfziger Jahren ist es aber gelungen, die strafrechtlichen Ahndungsbemühungen weitgehend zu ersticken. Und das Auswärtige Amt hat in Gestalt seiner sogenannten Zentralen Rechtsschutzstelle dann sogar noch mehr getan: Überall dort, wo Amtsangehörige oder andere ehemalige Funktionäre des Dritten Reiches Gefahr liefen verhaftet zu werden, weil gegen sie noch eine Anklage wegen Kriegsverbrechen vorlag, funktionierte der „Warndienst West“. Das Auswärtige Amt hat dann in Verbindung mit dem Deutschen Roten Kreuz die entsprechenden Personenkreise zum Beispiel vor einem Urlaub in Frankreich gewarnt – eines der deprimierendsten Stücke der Vergangenheitspolitik der fünfziger und sechziger Jahre.

Und im Laufe der Jahrzehnte ist niemandem aufgefallen, dass ehemalige Diplomaten NSDAP-Mitglieder waren oder diese Politik zumindest gestützt haben?
Natürlich ist an der einen oder anderen Stelle kritisch darauf hingewiesen worden. Es hat ganz frühe Forschungen in den fünfziger Jahren gegeben – meist von Überlebenden des Holocaust – und dann wieder seit den siebziger Jahren. Und schon 1951 existierte ein Bundestags-Untersuchungsausschuss, der auf diese problematische Personalkontinuität hingewiesen hat. Aber es gab auch in den Zeiten, als dieses Personal längst ausgeschieden war, nicht das Bedürfnis genauer hinzusehen. Und dass es überhaupt zur Einrichtung einer Historikerkommission gekommen ist, verdanken wir nur der Hartnäckigkeit einer älteren Dame: Marga Henseler, vormals Dolmetscherin im diplomatischen Dienst, hat sich darüber empört, dass im internen Mitteilungsblatt des Auswärtigen Amtes ein Mann geehrt wurde, den sie in ihrer Zeit dort kennengelernt hatte. Sie wusste genau, dass dieser Mann Mitverantwortung für Todesurteile in der besetzten Tschechoslowakei trug. Frau Henseler hat sich in einem zweimaligen Anlauf zuerst an Fischer und dann an Bundeskanzler Schröder gewandt. Sonst wäre es vermutlich auch 2005 nicht zur Einsetzung dieser Kommission gekommen.

Nach der Veröffentlichung Ihres Buches gab es in letzter Zeit vermehrt Kritik anderer Historiker an einigen Thesen ihres Buches. Unter anderem wurde Ihnen vorgeworfen, das Buch erwecke an manchen Stellen den Eindruck, dass das Auswärtige Amt die treibende Kraft beim Holocaust gewesen sei.
Diesen Eindruck erwecken wir nicht. Dieses Buch ist kein Buch über den Holocaust oder die deutsche Kriegsführung. Es geht darum, die spezifische Mitwirkung des Auswärtigen Amtes an diesen Ereignissen herauszuarbeiten. Und Tatsache ist: Das Auswärtige Amt war sehr viel aktiver, als es lange Zeit dargestellt worden ist. Was aber nicht heißt, dass etwa vom Auswärtigen Amt die Initiative zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ ausgegangen sei.

Weiterhin wurde Ihnen vorgeworfen, „die Gesamtheit des diplomatischen Dienstes abzuqualifizieren“.
Das ist, zumal mit Blick auf den diplomatischen Dienst der heutigen Bundsrepublik, eine absurde Perspektive. Es ging uns um die Rekonstruktion des Übergangs vom Dritten Reich in die Bundesrepublik – nicht um irgendwelche Werturteile. Wir haben versucht herauszufinden, wie sich dieser bis dahin noch kaum erforschte Transformationsprozess im einzelnen darstellte – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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