“Gute oder schlechte Lehre gibt es nicht”

Drei Projekte an der FSU versuchen sie trotzdem zu verbessern

Von Johanne Bischoff

Titel
Foto: Marco Fieber

Es ist Donnerstag 16 Uhr: Seminar, 30 Studenten, ein Dozent und keine Diskussion. Nur betretenes Schweigen, nach 89 Minuten Referat muss auf alles andere verzichtet werden. Die Texte vorzubereiten hat sowieso niemand geschafft, weil sie viel zu lang waren. Es beschleicht einen das Gefühl, dass die Dozenten keine Ahnung von guter Lehre haben, bei den Studenten scheint sich das in absoluter Lustlosigkeit niederzuschlagen. Doch es gibt durchaus schon Bemühungen, die Situation zu verbessern. Dass das nicht so einfach ist, wird deutlich, wenn man die Frage nach „guter Lehre“ stellt.

„Gute oder schlechte Lehre gibt es nicht“, sagt zum Beispiel Jan Fendler, Mitarbeiter im Universitätsprojekt „Lehrelernen“. So absolut, wie dies zu verstehen zu sein scheint, ist es nicht gemeint: „Es kommt immer auf die Lehr-Lernsituation, die Lehrenden, und die Studierenden an, auf die Lehransätze, die Inhalte und Bedürfnisse.“ Seit 2005 beschäftigt sich die Uni mit Hochschuldidaktik, seit 2008 im Projekt „Lehrelernen“.
Auch für die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter des Universitätsprojekts Lehr­evaluation, Anja Vetterlein und Erik Sengewald, ist die Definition von „guter Lehre“ problematisch: „Unserer Meinung nach ist gute Lehre ein Prozess, in dem gegenseitige Erwartungen erfüllt werden, Problempunkte müssen benannt und Anpassungen vorgenommen werden.“ Doch dazu sind Diskussionen und ein Maßstab zur Bewertung der Lehre vonnöten. Die Lehrevaluation wird auf zwei Ebenen durchgeführt: „Auf der niedrigsten Ebene in einer Lehrveranstaltung und auf der höchsten, wenn wir ganze Studiengänge betrachten“, erklärt Vetterlein. Insgesamt stellen die beiden Diplom-Psychologen fest, dass rein statistisch die Studenten mit der Lehre an der FSU zufrieden sind und dass die meisten mit der starken Strukturierung des Bachelors gut zurechtkommen. Doch Auswirkungen genau dieser Strukturierung, die im Bachelor in Form von Pflichtveranstaltungen und Anwesenheitslisten zu spüren sind,  lassen sich in der hochschuldidaktischen Ausbildung der Lehrenden nicht wiederfinden.


Ohne Zwang

Hier können nach dem Credo der Lehrfreiheit Seminare und Workshops des Projektes „Lehrelernen“ freiwillig besucht werden. Innerhalb der Veranstaltung unterzeichnen die Teilnehmer ein Abkommen darüber, dass die Auswertungen und Ergebnisse nicht ohne ihr Einverständnis nach außen getragen werden dürfen. Die Unsicherheit scheint groß zu sein. Denn so mancher Teilnehmer hat Angst, dass es als Eingeständnis der Schwäche in die eigene Lehrkompetenz gewertet werden könnte. „In anderen Ländern ist es etwas Besonderes, wenn man eine Auszeichnung für gute Lehre erhält. Bei uns in Deutschland soll gute Lehre selbstverständlich sein“, sagt Jan Fendler.  Für den Erziehungswissenschaftler bietet dieses Maß an Anonymität, dass sich eine angenehme Lernumgebung schaffen lässt, aber auch, dass ein Freiraum zum kritischen Hinterfragen der eigenen Lehre entstehen kann. Er arbeitet daran, auch in Deutschland mehr Transparenz zu schaffen: „So sind öffentliche Lernportfolios in unseren Nachbarländern Gang und Gäbe. Universiäten, Lehrende und Studierende können sich in diesen Dokumenten über die Lehrvorstellungen, Lehrinhalte und das Engagement der Lehrenden informieren.“
Es ist anzunehmen, dass sich gerade die Lehrenden, die sich für das Programm anmelden, schon einmal als Lehrperson hinterfragt haben und das ist der erste Schritt, um seine Veranstaltungen lernfreundlich zu gestalten. Die Universität ist natürlich daran interessiert, dass ihre Angestellten „gute Lehre“ machen, aber laut Fendler ist die Fortbildung nur sinnvoll, wenn sie ohne Zwang stattfindet.
Die hochschuldidaktischen Basisworkshops finden in drei Blöcken statt. Die Lehrenden können dabei Seminare zur Planung ihrer Veranstaltungen besuchen. Außerdem können sie lernen, wie sie diese durchführen, wie sie Prüfungen erstellen und die Studenten beraten können.
In einem erweiterten Programm werden 15 Teilnehmer zwei Jahre lang begleitet, vor allem Lehrende, die schon lange dabei sind. Jan Fendler und seine Mitarbeiter nehmen von jedem Teilnehmer eine Veranstaltung auf Video auf. Parallel dazu lassen sie von den Studenten in jener Veranstalung Fragebögen ausfüllen. Dann wertet er mit zwei Mitarbeitern des Projektes jedes Video und die Evaluationen aus und bespricht die Ergebnisse anhand des Gefilmten. Später werden Sequenzen aller Teilnehmer zusammengestellt und der Gruppe gezeigt. Die Szenen aus der Praxis dienen so als Lern- und Diskussionsgrundlage. Dabei achtet Fendler darauf, dass die Teilnehmer nicht in misslungenen Situationen gezeigt werden. Die Mitarbeiter des Universitätsprojektes wollen durch positive Verstärkung zur Wiederholung ermutigen und geben gleichzeitig Tipps, wie es noch besser gemacht werden kann. Vor allem scheint dem Team wichtig zu sein, dass sie nicht jedem Lehrenden einen Lehrstil aufdrücken, sondern dessen Vorgehensweise so ausgebaut wird, dass er sich damit sicher fühlt und lehren kann.


Ratschlag Lehre

Unabhängig von den Bemühungen der Universität hat das soziologische Institut den internen Diskurs schon begonnen. Einmal im Jahr findet der „Ratschlag Lehre“ statt. Dabei handelt es sich um eine Veranstaltung, „die sich mit der Lehrpraxis und dem Lernalltag beschäftigt“, erklärt FSR-Mitglied Jörg Hänold. Die Idee kam ursprünglich von den Lehrenden, jedoch schlief das Projekt ein und wurde 2010 durch den FSR Soziologie wieder angestoßen. Nach langwierigen Vorbereitungen konnten ungefähr 100 Studenten und knapp 30 Dozenten zur Teilnahme animiert werden. Jörg Hänold fasst den Wunsch des FSR Soziologie zusammen: „Es erschien uns als wichtig, weil es immer wieder Vorurteile auf beiden Seiten gibt.“ Für Studenten sei es immer wieder schwierig nachzuvollziehen, warum Seminare so aufgebaut sind, wie sie es sind, oder warum Referate gehalten werden müssen. „Dabei haben wir versucht, eine Gelegenheit zu geben, sich auch einmal in die Perspektive des Lehrenden zu versetzen. Es sollte in angenehmer Atmosphäre auch mal den Dozierenden erklärt werden können, warum Texte nicht gelesen werden oder die Mitarbeit manchmal schwierig ist.“ Das Ziel der Veranstaltung sollte das Aufbrechen dieser beiden Fronten sein. Ein nützlicher Nebeneffekt war auch, dass die Dozenten untereinander darüber reden konnten, was die Kollegen eigentlich machen. „Es passiert ganz selten, dass sich Lehrende gegenseitig helfen oder beieinander hospitieren“, hat Jörg Hänold während der Veranstaltung festgestellt. Allerdings, merkt er auch an, „kann man von einer zweistündigen Veranstaltung nicht erwarten, dass sie alle Probleme löst, aber zum Brückenbauen kann sie definitiv beitragen.“ Im Endeffekt habe man gemerkt, dass die an der Lehre Beteiligten diejenigen sind, die die Probleme in die Hand nehmen müssen, und dass dann auch eine Verbesserung erwirkt werden kann.
Meistens sind es schon kleine Hinweise, die eine Lehrveranstaltung verbessern können: Zum Beispiel ist es wichtig, dass die Ziele und Abläufe der Lehrveranstaltung transparent sind. „Als Dozent muss man Stille aushalten. Die meisten geben nach 0,7 Sekunden auf – formulieren ihre Frage um oder geben dann sogar die Antwort vor“, merkt Fendler an. Aber Studenten müssen Zeit zum Nachdenken haben. Durch die Videoaufnahmen ist außerdem klar geworden, dass „diese Angst vor Stille in Vorlesungen nachteilig ist: Wenn Lehrende etwas an die Tafel schreiben und dabei weiter reden, können nicht alle das Gesagte verstehen.“ Also sollten sie erst schreiben und danach reden. Natürlich muss man respektvoll miteinander umgehen, „aber das ist an der Universität kein Problem. Man begegnet sich auf Augenhöhe“, sagt Fendler. Als Letztes weist er darauf hin, dass Ironie nicht funktioniert: „Darauf muss man unter allen Umständen verzichten. Es ist einfach unnötig, so Missverständnisse zu provozieren.“ Für die Mitarbeiter des Universitätsprojektes Evaluation steht fest, dass Dozenten am besten mit den Studenten ins Gespräch kommen sollten: „Wer ein Problem anspricht, hat auch eher die Chance auf eine Lösung.“


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