Tiefergelegte Synapsen

Ritalin & Co. als Gehirndoping für Uni-Prüfungen

Von Stefan Montag



Die neue Lernhilfe: Ritalin, Betablocker oder Levadopa?

Foto: Katharina Schmidt

Vor der Prüfung schnell ein paar Pillen einwerfen und schon läuft es rund. Die eigene Leistung frisieren und den großen Wurf landen. Ist es tatsächlich so einfach? Um sogenannte „Smart Pills“ wie Ritalin hat sich ein regelrechter Hype entwickelt. Inzwischen ist aber Ernüchterung eingekehrt.
Alle vermeintlich leistungssteigernden Medikamente wurden eigentlich für ganz andere Aufgaben entwickelt: das berüchtigte Ritalin für Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Beta­blocker gegen Herzinfarkte, Levadopa gegen Parkinson und so weiter. Speziell bei Ritalin können noch kaum Aussagen über mögliche Langzeitfolgen gemacht werden – besonders nicht bei Gesunden.

echte Hilfe ist, ist die Wirkung auf andere Menschen mit vielen Fragezeichen versehen. „Eine konzentrationssteigernde Wirkung von Ritalin konnte bislang bei Gesunden nicht nachgewiesen werden. Zudem scheint die Wirkung eher subjektiver Natur“, so Privatdozent Dr. Uwe Berger vom Institut für Psychosoziale Medizin. „Das ganze Themengebiet ist noch kaum erforscht, aber die Diskussion um Gehirndoping, oder neutraler: „cognitive enhancements“, ist in vollem Gange, obwohl die Ausmaße noch nicht genau bekannt sind“, so Berger weiter.
Genaue und verlässliche Erhebungen zur Verbreitung von Gehirndoping in Deutschland gibt es nicht. Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Uni Bremen spricht von „deutlich unter einem Prozent“ der Studenten. Er verweist auf die Rezeptpflicht der entsprechenden Medikamente und darauf, dass die Präparate im Internet „nicht billig“ sind. Er spricht von einer Wirkung Ritalins „im Sinne einer psychischen Stimulierung. Sie werden nach der Einnahme länger wach bleiben und weniger schlafen. Sie werden sich belastbarer und konzentrierter fühlen.“ Aber das Gefühl der Belastbarkeit sei meist subjektiv. „Die Selbstwahrnehmung wird gestört. Sie können stundenlang lernen und am Ende haben sie kaum etwas davon behalten. Die Gefahr der Selbstüberschätzung ist groß.“
Berger vermutet, dass leistungssteigernde Mittel besonders bei Medizinstudenten ein Thema sein könnten. „Nicht wenige Medizinstudenten studieren das Fach, weil jemand in der Familie bereits Mediziner ist. Daher verfügen diese Studenten über das Know-How und eventuell auch den Zugang zu den Präparaten“. Als Beispiel nennt er Betablocker, die die Herzfrequenz regulieren und damit eine Überaufregung vor und während einer Prüfung verhindern können. Dies kann jedoch zu einer gefährlichen Unterversorgung bis hin zum Kreislaufzusammenbruch führen. Zudem wird körperliche Erregung dann auch da verhindert, wo sie erwünscht ist, zum Beispiel beim Sport und beim Sex.
In einem Artikel der Fachzeitschrift „Gehirn und Geist“ vom November 2009 ist zu lesen: „Auch wer die kleinen Stimmungs- und Leistungsschwankungen des Alltags durch Kaffee, Schokolade, Ginkgo-Präparate oder maßvollen Alkoholkonsum positiv zu beeinflussen versucht, handelt damit gewiss nicht unmoralisch.“ Glaeske sieht diese Sorglosigkeit insgesamt kritisch. „Man kann nicht davon ablenken, dass es Doping ist, was wir woanders, beispielsweise im Sport, verurteilen.“
Dass die Lebensmittel- und Pharmaindustrie langfristig gezielt Richtung „leistungssteigernde Produkte“ gehen wird, ist nicht unwahrscheinlich. In der letzten „Unicum-Tüte“ gab es „Prüfungstropfen“, eine kleine Dose eines österreichischen Energiedrinks „für die Handtasche oder den Schreibtisch“ und sogar eine Salami mit dem Aufdruck „Energy“. Eine bekannte Bremer Brauerei verkauft neuerdings sogar mit Koffein versetztes Bier.
Doch was hilft verlässlich für die Prüfung? Viele versuchen es mit Zuckerhaltigem, doch dessen Effekt auf die Leistungsfähigkeit ist nur von sehr kurzer Dauer. Besser sind hier Kohlenhydrate wie Müsli oder Vollkornbrot, die erst nach und nach in Glukose umgewandelt werden. Bei Traubenzuckertabletten wird davor gewarnt, dass der Zuckerspiegel im Blut schnell wieder abfällt. Die Konzentration rutscht dann in den Keller. Für das in Energiedrinks enthaltene Taurin gibt es bisher keine zuverlässigen Wirkungsnachweise. Sehr empfehlenswert ist hingegen Kaffee. Kein oben genanntes Medikament „hat annähernd eine so positive Wirkung wie Kaffee. Kaffee ist bei mäßigem Genuss praktisch nebenwirkungsfrei und wirkt obendrein nachweislich Demenz vorbeugend“, so Berger. Ausdrücklich empfohlen werden außerdem die „Allzweckwaffen“ Schlaf und Bewegung. Erst im Schlaf verarbeiten wir das Gelernte. Alkohol wirkt dabei aber kontraproduktiv. Wer wirklich lernen will, muss auch genügend schlafen (sieben bis neun Stunden). Sportliche Betätigung sollte man trotz Prüfungsstresses nicht vergessen. Dann ist man ausgeglichener und lernt besser.

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