Der akademische Männerclub

Professorinnen sind noch immer eine Seltenheit an der Uni Jena – die Gründe dafür sind vielfältig

Von Ulrike Schiefelbein und Sarah Striedl




Seltener Anblick in der Professorenschaft
Foto: Marco Fieber

Nicht nur zur Fußball-WM herrscht an der Uni Jena ein Testosteron-Überschuss. Wer an der Physikalisch-Astronomischen oder der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät studiert, wird keine einzige Professorin zu Gesicht bekommen – und das obwohl an letzterer beispielsweise etwa genau so viele Studentinnen wie Studenten immatrikuliert sind.

Ein Blick in die Statistik der Uni Jena zeigt, dass mit zunehmender akademischer Qualifikation immer mehr Frauen auf der Strecke bleiben. Bereits bei der Promotion sind Wissenschaftlerinnen deutlich unterrepräsentiert. Doch das wesentliche Defizit findet sich bei der Habilitation. Ganz oben in der akademischen Hierarchie lassen sich fast nur noch Männer finden. Elke Wendler, die an der FSU das Ehrenamt der Gleichstellungsbeauftragten für die gesamte Uni bekleidet, meint, das sei „das Problem der gesamtdeutschen Wissenschaftslandschaft“. Im Jahr 2008 lag der Frauenanteil der Professorenschaft im deutschen Hochschulraum bei nur 17 Prozent. Natürlich ist diese Quote auch vom Fach abhängig: Die Philosophische Fakultät der Uni Jena „triumphiert“ beispielsweise mit 16 Prozent Professorinnen.

Befristete Stellen erschweren die Familienplanung

Die Gründe für die Unterrepräsentation von Professorinnen sind vielfältig. Zum Beispiel wird Kindererziehung in Deutschland oft noch immer als reine Frauensache verstanden. So brechen viele junge Akademikerinnen ihre wissenschaftliche Karriere vor der Professur ab, weil sie Zeit und Energie in die eigene Familiengründung und Mutterschaft investieren. In Deutschland sind befristete Teilzeitstellen bis zur Professur die Regel. Dies führt zu Unsicherheiten, die eine Familienplanung erheblich erschweren. Viele Frauen entscheiden sich deshalb zugunsten der Familie gegen eine wissenschaftliche Karriere.
Auch lässt sich feststellen, dass der Wissenschaftsgeist in Deutschland immer noch männlich geprägt ist. „Die spezifische Situation der Frauen wird noch nicht genug berücksichtigt“, so Wendler. Zum Beispiel orientiere man sich bei der Vergabe von Professuren immer noch zu sehr an der sogenannten männlichen „Normalbiografie“. Melanie Steffens, Professorin für Soziale Kognition und Kognitive Psychologie an der Uni Jena, glaubt, dass man sich eher an gleichgeschlechtlichen Rollenmodellen orientiere. Da sich Männer nach viel mehr männlichen Vorbildern in höheren Positionen richten könnten, hätten sie öfter einen lückenlosen Karriereverlauf.
Frauen hingegen grenzten sich im Hochschulbetrieb eher ab. Sie verfügten deshalb seltener über einen stromlinienförmigen Lebenslauf, der für eine Berufung jedoch verlangt wird. Darüber hinaus trage die mangelnde Präsenz von gleichgeschlechtlichen Vorbildern in der Professorenschaft dazu bei, dass so wenige Frauen die akademische Laufbahn einschlagen.
Außerdem betreiben nach Steffens Männer mehr Netzwerkarbeit, die wichtig für die wissenschaftliche Karriere sei. „Beim Veröffentlichen von Artikeln, bei der Bewilligung von Forschungsprojekten oder in Berufungskommissionen hat man es leichter, wenn bereits ein persönlicher Kontakt besteht.“
Die eigentlichen Berufungsverfahren sind ein weiteres Problem. Universitäten streben bestimmte Forschungsprofile an, wodurch das Feld der Berufungskandidaten zusätzlich spezifiziert wird. „Die Wahrscheinlichkeit, eine passend spezialisierte, qualifizierte Person zu finden, die gut in das Forschungsprofil passt und auch noch weiblich ist, ist natürlich geringer“, meint Gleichstellungsbeauftragte Elke Wendler. Deshalb plädiert sie dafür, „öfter mal eine höhere Flexibilität zu zeigen und genauer zu prüfen, ob das Forschungsspektrum einer hochqualifizierten Frau nicht doch eine nützliche oder gar zukunftsweisende Erweiterung oder Neuausrichtung für die Universität sein könnte.“

Leistung wird nicht richtig vermittelt

Gisela Mettele, Professorin für Geschlechtergeschichte an der FSU, sieht ein Problem auch in der „Selbstsabotage“ vieler Frauen. Sie würden sich tendenziell mehr hinterfragen, sollten aber beispielsweise vor einer Berufungskommission offensiver auftreten. Ihrer Meinung nach müssen Frauen in der Wissenschaft nicht unbedingt mehr als ihre männlichen Kollegen leisten, um anerkannt und erfolgreich zu sein. Vielmehr scheiterten sie oft daran, ihre Leistung wie Männer entsprechend zu vermitteln. Steffens betont: Während letztere eine signifikant bessere Meinung von ihren Kompetenzen hätten und zu einer „gewissen Selbstüberschätzung“ neigten, trauten sich Frauen nicht genug zu und kommunizierten das auch so. Steffens nimmt an, dass eine Vielzahl psychologischer Mechanismen das geschlechtliche Missverhältnis in der Professorenschaft begünstigen. In Situationen wie Anhörungen in Berufungskommissionen könne es passieren, dass Frauen weniger kompetent erscheinen. Sie nähmen ein Publikum, das keine deutlichen, zeitnahen Reaktionen auf einen Vortrag zeigt, negativer wahr als Männer. Auch würde man bei Akademikerinnen mit Kindern eher zum Nachteil der Bewerberin attribuieren, „sie muss ja nebenbei noch ein Kind erziehen“, während man bei Vätern denke, „der hat jetzt eine Familie zu versorgen“.
Auf dem Papier ist Gleichstellung ein erklärtes Ziel der FSU. Laut Berufungsordnung sollen Frauen bei der Ausschreibung von Professuren besonders berücksichtigt werden. Teilweise betreibt man sogar Headhunting nach geeigneten Kandidatinnen. Doch selbst die gezielte Jagd kann keine Wunder wirken, wenn es nicht genügend weibliche Habilitierte gibt. Deshalb muss der Kampf um die­ Frauen auch schon auf früheren Karrierestufen einsetzen.

Förderprogramme greifen noch nicht

Prorektorin Amélie Mummendey, Professorin für Sozialpsychologie, leitet die Graduierten-Akademie der Uni Jena. Die­se unterstützt Programme zur Förderung von Doktoranden, unter anderem werden Überbrückungs- und Wiedereinstiegsstipendien vergeben. Mit solchen sollen Frauen gefördert werden, die ihre Dissertation aufgrund von Schwangerschaft und Mutterschutz unterbrechen mussten.
Die ProChance2008-Initiative soll dafür sorgen, dass auch nach der Promotion die Nachwuchswissenschaftlerinnen nicht alleine gelassen werden. Zu ihrem Programm zählt unter anderem die gezielte Förderung der Forschungsvorhaben von Frauen und solcher zu Gleichstellungsthemen. Die Nachfrage nach den Stipendien hält sich laut Mummendey jedoch in Grenzen. Die dafür zur Verfügung stehenden Mittel reichen allerdings auch nicht aus, um einen größeren Bedarf zu decken. So könne z. B. durch ProChance derzeit jährlich nur ein Stipendium pro Fakultät vergeben werden.
Größere Erfolge kann die FSU im Bereich der Familienfreundlichkeit verzeichnen. In Sachen flexibler Kinderbetreuung sei die FSU laut Wendler bereits ein Vorbild für andere Unis. Im Mai 2008 wurden die Anstrengungen der FSU zur Umsetzung der Gleichstellung und Familienfreundlichkeit mit der Auszeichnung „Total E-Quality“ honoriert.
Zwar scheint sich die Situation der Frauen an der FSU nach und nach zu bessern, doch das liegt wohl weniger an den einzelnen Projekten der Uni als vielmehr an den finanziellen Anreizen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft zum Beispiel legt bei der Beantragung von Forschungsgeldern besonderen Wert auf den Frauenanteil in den Projekten und bei der Mittelvergabe des Landes Thüringen an die FSU werden Frauen im wissenschaftlichen Personal doppelt gewichtet.
Für die Zukunft sei eine vermehrte Unterstützung der Frauen nach ihrer Promotion geplant. Einigkeit besteht darüber, dass sich zum Erreichen der Gleichstellung nicht nur die Gesellschaft ändern müsse, sondern auch die Frauen selbst. Ein bisschen mehr Vertrauen in die eigene Leistung würde vielen gut tun. Wendler appelliert ausdrücklich an die Studentinnen, sich frühzeitig zu überlegen, ob eine wissenschaftliche Karriere für sie infrage kommt, und sich gegebenenfalls rechtzeitig Rat und Hilfe einzuholen.

Umdenken setzt ein

Steffens resümiert, dass es bezüglich der Professorinnen-Quote an der Uni Jena „schon schlecht“ aussehe. Gleichzeitig ist sie optimistisch. Schließlich habe es vor gut 100 Jahren noch nicht einmal Studentinnen gegeben. Der Frauenanteil in der Professorenschaft lässt sich nicht schlagartig steigern, zumal er auch in Teilen durch die gesamtdeutsche Hochschulstruktur bedingt ist. Sicherlich lässt sich feststellen, dass ein Umdenken seitens der Uni bereits einsetzt. Die gute Familienbetreuung der Uni Jena ist ein wirksames Mittel, um Frauen auf dem Weg zur Professur eine größere Chance zu geben. Außerdem hat man einzelne Förderprogramme für Frauen initiiert und auf dem Papier den Gleichstellungsgedanken festgehalten.
Dennoch sollte dies kein Anlass sein, sich darauf auszuruhen und abzuwarten, ob die Projekte fruchten. Denn die Zahlen bleiben vor allem im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt alarmierend und lassen sich nicht als bloße Strukturprobleme des deutschen Hochschulbetriebs wegreden. Mettele meint, „solange wir keine 50:50-Verhältnisse erreichen, müssen wir Frauen in höheren akademischen Positionen gezielt fördern“. Die gesamte Quote der Professorinnen an der Uni Jena beläuft sich, wie die letzte Erhebung aus dem Jahr 2008 zeigt, auf etwa zehn Prozent. Im Jahre 2013 möchte man 15 Prozent erreichen. Wie gering selbst dieser Anteil ist, zeigt sich im Vergleich mit anderen deutschen Unis, die die besorgniserregende Unterrepräsentation von Frauen in der Professorenschaft augenscheinlich offensiver anpacken. An der Freien Universität Berlin lag die Quote im vergangenen Jahr übrigens bei 29 Prozent.

2 Kommentare zu „Der akademische Männerclub“

  1. Hallo,

    ich studiere an der Uni München VWL (Master), komme aus Berlin mit dem Bachelor. In meiner Studienrichtung Wiwi ist das Frauen-Männer-Verhältnis an beiden Unis relativ gut im Vergleich zu euren Werten. Wie sieht das Gefälle in den Studiengängen bei euch aus?

    Grüße
    Marco Kalinger

  2. @ Namensvetter: Das Verhältnis bei den Studierenden ist sehr ausgewogen, an der Uni Jena sind sogar 60% Studentinnen. Die Schere geht erst mit Beginn der Promotion drastisch auseinander, deswegen auch der Artikel.!

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