Insel der Ahnungslosen

Die “Festung Europa” und die deutsche Asylpolitik

Von Anne Dünger



Die Empörung sucht sich verschiedene Ausdrucksformen, wie hier beim Protest gegen die Asylpolitik des ehemaligen australischen Premiers John Howard.

Foto: woowoowoo / flickr.com

Am 24. Mai 2010 veröffentlichte Amnesty International Deutschland seinen Jahresbericht. Die Mahnschrift von Amnesty war dieses Mal auch an die „Festung Europa“ adressiert, und vor allen anderen: an Deutschland. Die Bundesregierung wurde darin wiederholt massiv für ihren Umgang mit Flüchtlingen gerügt. Amnesty wirft Deutschland vor, durch seine rigorose Asylpolitik massive Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen, und zwar durch Abschiebungen von Asylsuchenden in Länder, in denen ihnen Folter und Misshandlung drohen.

Wovon ist aber die Rede, wenn der Begriff der „Festung Europa“ gebraucht wird? Seitdem sich die europäischen Staaten im Schengener Abkommen zu Beginn der 1990er Jahre auf die Öffnung ihrer inneren Grenzen geeinigt haben, können rund 400 Millionen Europäer diese Binnengrenzen ohne Kontrollen übertreten. So aber wurde eine stärkere Überwachung und Abdichtung der europäischen Außengrenzen notwendig. Zolldelikte, staatenübergreifende Kriminalität und illegale Migrationsbewegungen gehören zu den Problemen, denen sich die Europäische Union an den Rändern ihres Gebietes zu stellen hat. Die Maßnahmen zur Sicherung der EU-Grenzen haben sich seit 2001 immer weiter verschärft, und sie reichen von einer immer stärkeren Abschottung des europäischen Kontinents bis hin zu Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Asylbewerbern, die meist unbeobachtet und außerhalb des Bewusstseins der meisten EU-Bürger stattfinden.
Ein Beispiel für die rigorose Sicherung des Bollwerks an den Außengrenzen Europas ist das Projekt „Frontex“ (frz. für Frontières extérieures). Dieses wurde Ende 2004 auf Beschluss des EU-Rats als Agentur „für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Europäischen Union“ gegründet. Seine Aufgabe ist es, Lücken in der Befestigung der europäischen Grenzen zu finden – und damit mögliche Flüchtlingsströme in Richtung EU vorherzusagen. Diese „Risikoanalyse“ soll helfen, die Außengrenzen der EU vor dem Eindringen einer großen Anzahl an Flüchtlingen zu schützen. Für den Fall, dass dennoch einmal große Flüchtlingsströme die EU-Randstaaten erreichen, ist Frontex aber auch für militärische Schnelleinsatzkommandos zuständig. Diese werden in offiziellen Notfällen ausgesendet, um Flüchtlingsboote schon auf hoher See abzufangen und in die Herkunftsstaaten zurückzuschicken. Auch Massenabschiebungen von Asylanten werden von Frontex finanziert und ausgeführt. Durch ihre teilweise massive militärische Selbstinszenierung, aber auch durch fragwürdige Praktiken und Menschenrechtsverletzungen bei der Abwehr von Flüchtlingen an den Außengrenzen Europas ist Frontex massiv in die Kritik geraten.
Nicht nur Amnesty International beklagt die Methoden der EU-weit finanzierten Agentur, auch ein Bericht des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) wirft ihr Verletzungen der Menschenrechte vor. Politisch verfolgte Flüchtlinge haben auch auf hoher See das Recht, einen Asylantrag zu stellen, wenn ihr Leben in Gefahr ist. Frontex jedoch zwingt die überfüllten Boote zur Umkehr, ohne die einzelnen Fälle zu prüfen und finanziert stattdessen Abschiebelager in Drittländern, die für Folter und Misshandlung von Gefangenen bekannt sind.
Frontex ist ein politischer Ablasshandel, eine finanzielle und organisatorische Entschädigung für die Staaten an den Außengrenzen der Festung Europa – Hilfe für die Burgwächter der Festungsmauer. Diese Länder sind seit dem sogenannten Dublin-II-Abkommen 2003 dazu verpflichtet, alle Asylanträge, die von Flüchtlingen auf ihrem Land gestellt werden, sowie auch die Unterbringung und die Asyl- und Abschiebungsverfahren finanziell zu tragen. Damit sparen Haupteinwanderungsländer wie Deutschland oder Großbritannien Millionen an Kosten für Bürokratie und Unterbringung von Asylbewerbern, wogegen ärmere Mittelmeerstaaten durch die Dubliner Verordnung an den Rand ihrer Belastbarkeit gebracht werden. Dass das im Extremfall regelrecht zu Verletzungen der Menschenrechte von Asylanten führt, wird gerade am Falle Griechenlands klar. Das Land ist mit der Aufnahme der Grenzflüchtlinge derartig überfordert, dass ein deutsches Gericht Ende 2009 aus Gründen der Verantwortbarkeit eine „Rücküberführung“ von Asylbewerbern dorthin ausgesetzt hat.
Auch die deutsche Politik, Asylbewerberheime in abgelegenen Gegenden zu unterhalten, und Asylbewerber in ihrer Mobilität (Residenzpflicht) und im Anschluss an die Restbevölkerung größtenteils zu behindern, dient nicht nur der Sicherheit der Bevölkerung oder gar der Flüchtlinge: Juristische Kommentare erwähnen, dass die deutsche Asylpolitik ganz klar der Abschreckung dient. Wenn es Asylbewerber überhaupt bis in die Bundesrepublik schaffen, werden sie keineswegs im Sinne der bürgerlichen Grundrechte behandelt, die Deutschland für seine Bevölkerung beansprucht. Diese Nachlässigkeit verschärft sich dadurch, dass sich die Länder in der EU seit dem vergangenen Oktober auf diplomatische Zusicherungen der Herkunftsländer von Asylbewerbern verlassen, wenn sie deren Abschiebung prüfen. Da es hier um Länder geht, in denen Folter und Misshandlung von politischen Gefangenen an der Tagesordnung sind, bringt der Glaube an diese Aussagen Tausende von Asylbewerbern in Lebensgefahr, so Amnesty: Sie seien „das Papier nicht wert, auf dem Sie geschrieben werden“. Es sollte dringend diskutiert werden, ob dieser Satz auch für die deutsche Asylpolitik gilt.


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