Sind wir jetzt gescheiter(t)?

Die Probleme der Bildungsstreikbewegung

Von Johannes Wander und Philipp Böhm

Der Streik entdeckt neue Fronten. Foto: Katharina Schmidt

Masterstudienplätze für alle, elternunabhängiges Bafög, Reformierung des Bachelorsystems. Schlagwörter, die uns Studenten über das gesamte letzte Jahr begleitet haben. Zu verdanken haben wir das einer Bewegung, die für allerhand Anstoß gesorgt hat: dem Bildungsstreik.
Nachdem im Sommer infolge der Schülerstreiks auch zahlreiche Studenten auf die Straße gegangen waren, um für ein besseres Bildungssystem zu demonstrieren, versammelte sich die Bewegung im Spätherbst erneut, mit ähnlichen Zielen, aber anderen Rahmenbedingungen. Während der Streik im Sommer wenig Resonanz in der Öffentlichkeit gefunden hatte, stieß man im zweiten Anlauf auf eine hellhörig gewordene Presse und Politik. Den bereits einige Tage und Wochen andauernden Besetzungen in Österreich folgte eine Schar von Demonstrationen und Besetzungen der Hörsäle in Deutschland. Hier wurden die letzten Besetzungen vor Silvester aufgelöst, in Österreich wird nach wie vor besetzt.

Fehlende Transparenz

Im deutschsprachigen Ausland hatte man es geschafft zahlreiche Menschen, nicht nur Studenten, zu mobilisieren und für die eigene Sache einzuspannen. Solidaritätsbekundungen aus aller Welt erreichten vor allem Wien und die Besetzung wurde Herzenssache, selbst für Menschen, die auf einem ganz anderen Kontinent lebten. Es stellt sich die Frage: Was haben die, was wir nicht haben? Wer es sich leicht macht, wird auf die knapp 50.000 Studenten mehr hinweisen, die an der Uni Wien im Vergleich zur FSU studieren.
Vergleicht man die Besetzung an der Uni Wien mit der in Jena allerdings genauer, so fällt zunächst auf, dass in Wien wesentlich mehr Öffentlichkeitsarbeit geleistet wurde. Mit einer gut ausgebauten Internetpräsenz ließ man weltweit Interessierte an dem Protest teilhaben und nutzte soziale Netzwerke von facebook über twitter bis hin zu StudiVZ, um auf sich und seine Ziele aufmerksam zu machen. Das macht den Bildungsstreik als Bewegung transparenter und nimmt Interessierten die Scheu mitzumachen. Dies, so die Jenaer Besetzerin Kirsten Limbecker, war ihrer Meinung nach ein wesentliches Problem vor Ort: fehlende Transparenz und der Eindruck einer „abgeschlossenen Gruppe“ der Streikenden. Weiterhin gelang es in Wien eine große Zahl von Studenten vor Ort einzubinden. Während sich in Jena bis zu 100 Besetzer über ihre Ziele austauschten, fanden sich in Wien über 2000 Studenten zusammen, die ein ernsthaftes Interesse an Veränderung hatten. Auch Organe wie die Vollversammlung wurden erfolgreich genutzt, während in Jena nur knappe 400 Kommilitonen für eine derartige Veranstaltung begeistert werden konnten.
Alles in allem hat es den Anschein, als ob es den Österreichern gelungen wäre, zum einen eine Bewegung zu gründen, der sich viele der Betroffenen zugehörig fühlen, und zum anderen für das Anliegen, Bologna zu reformieren, eine Öffentlichkeit über die Universität hinaus zu schaffen. Der Stura-Vorstand sieht das ganz ähnlich: „Wenn sich alle gesellschaftlichen Gruppierungen beteiligt hätten, hätte der Streik auch Aussicht auf Erfolg gehabt“, so David Schinkel. „Das große Manko war einfach, dass sich nicht das gesamte politische Spektrum angesprochen fühlte.“ Seine Kollegin Mathilde Schäfer ergänzt: „Eigentlich müsste unsere Bildungskritik viel mehr Gesellschaftskritik sein.“ Doro Forch vom Hochschulpolitischen Referat hält dagegen: „Für die einen waren die Forderungen zu moderat, für die anderen zu radikal. Ich glaube, es wurde ein guter Mittelweg gefunden.“
Allerdings spricht das derzeitige Ergebnis des Bildungsstreiks eher gegen ihre Einschätzung. Zahlreiche kleine, zwar nicht unbedeutende, aber letztlich nur partielle Erfolge lassen sich an verschiedenen Fakultäten verbuchen. Der große Durchbruch mit zentralen Forderungen blieb aus.

Viele Ideen, keine Umsetzung

Laut der Besetzerin Kirsten Limbecker wurden die gesammelten, ausformulierten Forderungen als E-Mail und Brief an alle möglichen Stellen der Universität versendet. Auf die Frage, ob denn auch die Unileitung ein Exemplar erhalten hätte, kann sie kein klares Ja geben. „Die Leute waren sich nicht einig, wie sie an welche Stelle herantreten sollten. Da wurden so viele Ideen ausgearbeitet und dann gab es keinen Ansatz zur Umsetzung“, bringt Mathilde Schäfer vom Stura-Vorstand die Problematik auf den Punkt.
Auf den Plenarsitzungen der Besetzer trat dieser Zwist immer wieder deutlich zutage: auf der einen Seite die, die auf pragmatische Forderungen, Kooperation und Gespräche mit anderen Gremien setzen und ihre Ziele auf dem Wege bestehender Partizipationsmöglichkeiten verwirklichen wollen. Auf der anderen Seite die, die mithilfe von Protest Druck ausüben wollen und deren Forderungen sich nicht nur auf die Bildung beschränken, sondern gesamtgesellschaftlicher Natur sind. Gerade zu Beginn der Besetzung dominierten auch interne Debatten die Plena: Wie sollten Entscheidungen getroffen werden? Durch Mehrheitsentscheid oder per Konsensprinzip? Derartige interne Streitigkeiten schreckten viele Interessierte ab und führten auch dazu, dass viele der „alten“ Aktiven aus dem „Sommerstreik“ sich vom „Winterstreik“ distanzierten.
Fragt man Teilnehmer des Streiks nach den Ursachen für die schwache Resonanz, so wird erklärt, dass in Zeiten des Bachelor/Master-Systems eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem gar nicht mehr möglich sei. Selbst wenn man als Bologna-Student an den Protesten teilnähme, könne man sich gar nicht frei machen von dem Druck der Anwesenheitspflicht in Vorlesungen und Seminaren. Die Folge ist, dass „viele sich gerne solidarisieren würden, aber einfach keine Zeit haben, an dem Streik oder der Besetzung teilzunehmen. Daher auch die gähnende Leere, die zeitweise in den besetzten Hörsälen herrschte. Viele mussten zwischendurch einfach immer wieder zu Lehrveranstaltungen“, so Kirsten Limbecker.
Doro Forch vom Hopo-Referat verweist auch auf die zahlreichen Klischees, mit denen die Besetzer von Anfang an konfrontiert wurden: Viele Studenten hätten bei den Beteiligten sofort an die „langhaarigen, linken Spinner“ gedacht.
Als großes Problem stellte sich nicht zuletzt die schwierige Beziehung zwischen dem Stura und der Gruppe der Besetzer heraus. „Die Unileitung weigerte sich mit uns zu sprechen“, berichtet Kirsten Limbecker. Der Rektor wollte die Kommunikation ausschließlich über den Stura führen, da er den Besetzern die Legitimität absprach. Diese sahen den Stura allerdings nicht als Vermittler. „Wir sahen uns als Gruppe von Studierenden der FSU durchaus legitimiert unsere Forderungen zu vertreten“, sagt Kirsten.

Welcher Weg?

Ein weiteres Problem der Bewegung lag in der Protestform: „Viele hatten zwar grundsätzlich Verständnis für die Kritik am Bildungssystem, konnten aber mit der Protestform nichts anfangen“, meint Doro Forch. Dabei stellt sich die Frage, was genau denn nun die Protestform und ihre Probleme gewesen waren: Besetzung? Streik? Demo?
Besetzung ist ohne Frage die zentrale Form des Protests, allerdings tat sie bisher niemandem weh. „Der Rektor wies uns immer wieder darauf hin, dass wir den Lehrbetrieb mit unserer Besetzung massiv stören würden. Dozenten oder Studenten, die im Laufe der Besetzung Veranstaltungen in dem Raum gehabt hätten, haben sich allerdings nie gemeldet oder beschwert“, erzählt eine Besetzerin.
Der Streik als Protestform richtet sich generell gegen jemanden oder etwas, das mittels Arbeitsniederlegung bestreikt wird. Allerdings trifft ein „Streik gegen Bildung“ in seiner momentanen Form weder Rektor noch Senat, höchstens vielleicht den Hausmeister. Mit dem Nachteil leben müssen in erster Linie die Streikenden sowie andere Studenten, die allerdings nicht die Zielgruppe des Streiks sein sollten.
Übrig bleibt die Demonstration: im Grunde ein guter Ansatz, weil auch außerhalb der Universität agiert wird und man die Solidarität anderer Bevölkerungsgruppen erwirbt. Realistisch gesehen ist dieser Protest aber zu kurzlebig, um tatsächliche Änderungen im Bildungssystem zu bewirken.
Interne Konflikte zwischen Pragmatikern und radikaleren Studenten, fehlende Kommunikation und der Spagat zwischen Konfrontation und Kooperation – es zeigt sich, dass die Jenaer Studentenbewegung mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Ob sie diese Probleme lösen kann, wird wohl maßgeblich die Wirkung der folgenden Streiks bestimmen. Denn dass es auch im neuen Jahr weitergehen soll – zumindest darüber besteht Einigkeit

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