Basis der Veränderung

Studentisches Aktionsbündnis darf Seminarraum „besetzen“

Von Kristin Haug

Dem Hamsterrad kurzzeitig entkommen: die Frei(t)räumer.
Foto: Kristin Haug

Jörg und Stephanie liegen auf einer 90er-Jahre-Eckpolstercouch im Seminarraum 124 des Carl-Zeiß-Gebäudes. Alte Matratzen liegen auf dem Boden, Regale stehen herum und viele Tische, auf denen benutztes Geschirr liegt. Die Wände sind mit Postern und Aushängen beklebt, es stehen Wünsche und Ziele für bessere Studienbedingungen darauf.
Der Seminarraum 124 ist besetzt vom Jenaer Bildungsstreikbündnis. Die Aktivisten haben ihn von der Uni erhalten – im Tausch gegen Hörsaal 6 und die Seminarräume 113 und 114, die das Bündnis im Zuge des Bildungsstreiks Mitte Juni besetzt hielten. Die Soziologiestudenten Jörg und Stephanie gehören zu den Aktivisten und erholen sich im besetzten Raum vom Uni-Alltag, von Anwesenheitspflichten und Hausarbeiten, für die zu wenig Zeit einkalkuliert wird. „Wir sind Versuchskaninchen“, klagt Stephanie, die zu den ersten Studenten an der FSU gehört, denen ein Bachelor-Abschluss vorgeschrieben wurde. Die starren Fristen und der geringe Kontakt zu Dozenten verhinderten es, ordentliche Hausarbeiten zu schreiben. Jörg kritisiert, dass ihm der Bachelorabschluss als akademischer Titel verkauft werde, dieser allerdings keine Berufsqualifikation darstelle.
Der Frei(t)raum, wie das Bündnis den Seminarraum getauft hat, soll nun die Basis der Veränderung sein – sechs Wochen können die Besetzer ihn nutzen, um zu arbeiten und sich zurückzuziehen. „Wir führen unsere Arbeitskreise fort“, sagt Jörg. In dem Raum könne man ungezwungen miteinander über die Probleme an der Universität diskutieren und „gute“ Lösungen dafür finden. So werde an Forderungen gearbeitet, die man dem Senat präsentieren wolle.
„Der Raum ist für jeden offen“, sagt Stephanie. „Jeder kann hier reinkommen und mitdiskutieren.“ Aufgrund der losen Struktur schwanke die Anzahl der Aktivisten enorm – eine genaue Anzahl sei nicht festzumachen. „Uns ist wichtig, unabhängig vom Stura zu agieren“, meint Jörg. „Dort muss man dazu gehören, um etwas machen zu können.“ Die Wahl in das studentische Gremium sei dem Soziologiestudenten zu umständlich und zöge sich zu lange hin. Effektiver sei es daher, einfach zum Bündnis zu stoßen und mitzumachen. Nur über die Finanzierung bestehe noch Unklarheit, doch Jörg wolle für seine Flyer zur Not auch mit eigenem Geld aufkommen.
In die Zukunft blicken die Besetzer optimistisch und sie hoffen, dass sie den Frei(t)raum auch nach der Sechs-Wochen-Frist weiter nutzen können oder einen neuen Raum von der Uni erhalten. Von möglichen Erlahmungserscheinungen, die die vorlesungsfreie Zeit mit sich bringen könnte, lassen sie sich nicht abschrecken. Ziel sei es, permanent einen Raum von der Uni für die Projekte des Bündnisses zu erhalten. „Dafür setze ich mich auch während der Ferien ein“, sagt Jörg.

Allgemein

Schreibe einen Kommentar

*