Genuss und Askese

Die Jenaer Suchtberatung für illegale Drogen „Chamäleon“

Von Theresa Angelis

Foto: Katharina Schmidt

Jeder Mensch hat ein Recht auf Rausch“, sagt Anita Reißmann von der ambulanten Drogenhilfe „Chamäleon“ des DRK. Der Konsum von legalen und/oder illegalen Drogen beinhalte immer die Gefahr, vom Genuss ungewollt in die Sucht zu gelangen.
„Dennoch können keine Angaben darüber gemacht werden, unter welchen Bedingungen Suchtgefahr besteht bzw. welcher Konsum unbedenklich ist“, sagt Reißmann und spricht vom „Schlüssel-Schloss-Prinzip“. Nicht nur die Droge bringe ein gewisses Suchtpotenzial mit, es hänge auch sehr vom Wesen des Einzelnen ab, wie er auf die spezifische Wirkung anspricht. Genau dort liege die Gefahr, in eine Abhängigkeit zu rutschen, so die Sozialpädagogin und Suchttherapeutin, die vor allem in den Bereichen Beratung, ambulante Nachsorge und psychosoziale Substitutionsbegleitung tätig ist. Außerdem vermittelt sie Entgiftungen und Therapien. Die vielseitigen Aufgaben der ambulanten Drogenhilfe umfassen Prävention an Schulen, Infoveranstaltungen, Integrationshilfen und ein Kontaktcafé mit Angeboten der Schadensminimierung (safe use, safer sex, duschen, Wäsche waschen etc.).

Genussfähigkeit wird unmöglich

Das größte Problem, wenn es um Drogenkonsum geht, sei Alkohol, und deshalb spiele er auch im Mischkonsum der Klientel der ambulanten Drogenhilfe eine wichtige Rolle, wobei „Chamäleon“ Ansprechpartner für den Bereich der illegalen Drogen ist. Denn in Jena gibt es alle illegalen Drogen – „zumindest in diesem Punkt haben wir West-Niveau erreicht“, ironisiert Reißmann. Ihre Klienten reichen von Schülern und Studenten über Hartz-IV-Empfänger bis hin zu Arbeitnehmern und Verantwortungsträgern – in ihrem Konsumverhalten sind sie sich, sobald eine Sucht entwickelt wurde, sehr ähnlich. Die Genussfähigkeit ist unmöglich geworden und ein Verlangen, sich die jeweilige Substanz regelmäßig zuzuführen, tritt an diese Stelle. Besonders bedenklich sei der Drogenkonsum bei Jugendlichen, da er dem Veränderungsprozess im Gehirn während der Pubertät und somit der ungehinderten Persönlichkeitsentwicklung entgegensteht. Durch ihre langjährige Arbeit in der Beratungsstelle hat Anita Reißmann die Erfahrung gemacht, dass der Blick auf die Lebensumstände oftmals überraschend verständlich macht, wo die Sucht-Ursachen liegen. Andere Motive, Drogen zu nehmen, seien vor allem bei Jugendlichen der Wunsch, leichter Kontakt mit seinen Mitmenschen aufzunehmen und besser in Kommunikation zu kommen, oder die Dynamik und die Geborgenheit einer Gruppe – als Familienersatz.
Ob an der Uni oder in der Wirtschaft – überall dort, wo es auf höchsten Einsatz ankommt – nennt Reißmann auch den Leistungsdruck als Grund für den Griff zur Droge. Leistung an sich ist in unserer Gesellschaft allgemein anerkannt, Doping hingegen nicht. Ein Klient der Drogenhilfe beschrieb seine Erfahrung mit Heroin einmal als „den wärmsten Flash der Welt“ -der aber jäh zu Ende ist, wenn die Realität zurückkehrt. Es bedarf teilweise langjähriger Beziehungsarbeit mit dem Klienten, um ihm den Schritt in die Abstinenz zu ermöglichen. Zwischenmenschliche Beziehungen seien in unserer süchtelnden Konsumgesellschaft zu sehr auf der Strecke geblieben.
Auch der lockere Umgang mit Cannabis sei nicht mehr zeitgemäß, sagt Reißmann, da der Wirkstoffgehalt um ein Vielfaches gestiegen sei. Sie spricht sich klar gegen die vieldiskutierte Legalisierung aus, denn in ihrer Arbeit mit suchtkranken Menschen wolle sie drogeninduzierte Psychosen und andere Folgeerscheinungen nicht mitverantworten. „Es ist nie zu spät, etwas zu ändern!“, betont Reißmann. Es gelänge einem Drogenabhängigen zwar genauso gut wie einem Chamäleon, sich unbemerkt in die Umwelt einzufügen, er könnte sich aber ebenso wandeln.

Am 26. Juni ist Weltdrogentag. Das „Chamäleon“ ist mit einem Infostand in der Stadt vertreten.

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