Die falsche Wahl

Der Stura ignoriert die Anfechtung seiner Wahl

Von Kristin Haug

Rita Meißner ist außer Atem. Manchmal schüttelt sie den Kopf, hält dann kurz inne, holt tief Luft und fängt wieder an zu tippen. Ganz vorne im Rat-haussaal sitzt sie neben den ehemaligen Stura-Vorständlern Marc Emmerich, Lysett Wagner und Felix Tasch. Die Geschäftsführerin der Studentenvertretung schreibt so schnell sie nur kann. Sie muss das Protokoll der konstituierenden Stura-Sitzung aufnehmen. Das ist nicht so leicht, denn so eine Sitzung ist eine schwierige Angelegenheit – vor allem wenn es darum geht einen neuen Vorstand zu finden.

Der alte Vorstand leitet die neuen Mitglieder des Stura komissarisch weiter.
FOTO:Kristin Haug

Und so war es auch wieder an diesem Montag im Oktober. Die Sitzung verlief wie gewohnt turbulent. Nach einführenden Grußworten des Oberbürgermeisters, des Rektors und von Rolf Pfeiffer- Will vom Studentenwerk scheiterte der Stura nach drei Wahlgängen daran, drei Personen an die Spitze des Gremiums zu stellen. Lediglich die  Politikwissenschaftsstudentin Julia Langhammer erhielt die nötige Mehrheit für den Posten.

Erik Bodenstein von den Jusos, der sich dafür aussprach den Erstsemestern mehr zu bieten und den Kampf gegen die Verwaltungsgebühren wieder aufzunehmen, scheiterte ebenso wie Marcel Helwig. Der Lehramtsstudent setzte sich bereits in den vergangenen Semestern für bessere Bedingungen am Institut für Erziehungswissenschaften ein. Als einziger Vorstandskandidat sprach er sich für eine Aufwandsentschädigung von 500 Euro monatlich aus. Die konservativen Kandidaten Robert Wilhelm und Patrick Schneider erhielten beim zweiten Wahlgang mit vier und fünf Stimmen die geringste Zustimmung aus dem Gremium.
Doch nicht nur die Sitzung wurde hitzig geführt. Bereits im Mai sorgte die Stura-Wahl für viel Aufsehen. An der FSU wurde ein harter und dubioser Wahlkampf zwischen Juso- und RCDS-Vertretern geführt (Akrützel berichtete in Nr. 255). Im Juni und Juli wurde schließlich gewählt und ausgezählt – die neuen Studentenvertreter standen fest: neun Jusos, acht Konservative, sieben Stura-Aktive und 13 weitere Studenten. Die Wahl war gegessen, oder etwa doch nicht?
Nein, die Wahl ist noch lange nicht vorbei, denn sie wird nun von zwei Studenten angefochten. Über diese Anfechtungen muss nun eine – vom Stura gewählte – Schiedskommission entscheiden. Diese besteht aus zwei Juristen und einem Soziologen, die als unabhängige Institution der alternativen Streitschlichtung dient. Zum Streit kam es nämlich zwischen RCDSlern und dem Stura im Hinblick auf die Wahlwerbung. Im Juni habe der Stura Flyer drucken lassen, auf denen er gegen den RCDS wettert, so Maximilian Steinhaus von der Schiedskommission. „Damit hat er aktiv politische Wahlwerbung betrieben und das darf er nicht.“
Frank Dörfler, der vom Stura beauftragt wurde mit der Schiedskommission zu verhandeln, hält allerdings dagegen: Flyer wurden schon oft gefälscht. Damit will er sagen, dass nicht das Studentengremium, sondern andere Gruppen den Flyer in Auftrag gegeben hätten. Das mutet seltsam an, ist doch der Flyer ganz offiziell in der Nachrichtenrubrik auf der Stura-Homepage zu finden.
Doch nicht nur aus diesem Grund wird die Wahl angefochten. Besonders fragwürdig ist die Wahlordnung des Stura. Diese existiert nämlich gar nicht, so Maximilian Steinhaus von der Schiedskommission. In der aktuellen Ordnung wird auf die alte Stura-Satzung von 1994 verwiesen, die das letzte Mal 2003 verändert worden ist. Diese wäre allerdings nicht für jedermann einsehbar. Frank Dörfler vom Stura gibt zwar zu, dass es keine gültige Wahlordnung gibt – ein gültiges Wahlsystem allerdings schon. Bei Streitpunkten könne man sich schließlich auf die Bestimmungen der Uni berufen.
In diesen aber kommt ein Kumulierungsverbot zum Tragen, so Maximilian Steinhaus, und dieses sei ungerecht. Nach dem Wahlsystem für den Stura hat jeder Wähler so viele Stimmen, wie in seinem Wahlbereich Vertreter in den Stura entsandt werden, bei den Juristen sind es beispielsweise drei. Das Kumulierungsverbot besagt nun, dass die Wähler ihre gesamten Stimmen nicht nur einem Kandidaten geben können. Dieser kann von jedem Wähler nur eine Stimme erhalten.

Ruft der Stura keine Neuwahlen aus,
muss er vor Gericht

Für eine so genannte Wahlvorschlagsliste, wie etwa die Juso- oder die RCDS-Liste, werden hingegen alle Stimmen jedes für die Liste kandidierenden Bewerbers zusammengezählt. Erst danach wird diese Summe mit der Stimmenzahl der Einzelkandidaten verglichen. Je größer die Bewerberzahl auf der Liste ist oder je mehr Sitze und damit Stimmen zu vergeben sind, desto höher kann auch die Gesamtsumme ausfallen. Deswegen haben diejenigen, die in Listen antreten, grundsätzlich höhere Chancen in den Stura gewählt zu werden als Einzelkandidaten. So erging es auch Kläger Philipp Scholz, der mit 69 Stimmen keinen Sitz im studentischen Gremium erhielt und nun die Wahl anficht. Frank Dörfler sieht im Kumulierungsverbot keine Ungerechtigkeit. Man könne als Einzelperson ja auch auf einer eigenen Liste antreten. „Die Regeln waren klar und wir können jetzt die Stimmen nicht nochmal nach einem anderen System auszählen, damit die Einzelkandidaten anders behandelt werden. Das wäre den Wählern gegenüber unfair.“ Die Schiedskommission aber drängt nicht auf eine Neuauszählung, sondern auf eine Neuwahl. Doch der Stura will dies schlicht nicht ernst nehmen. Der Wahlvorstand fühlt sich an einen solchen Beschluss der Schiedskommission nicht gebunden, da diese, so Dörfler, nicht die Kompetenz habe, so etwas zu entscheiden. Ein Blick in die Stura-Satzung hingegen offenbart, dass die Schiedskommission tatsächlich befugt ist, über Satzungsstreitigkeiten oder Wahlbeschwerden zu entscheiden.
Zählt das Urteil der Schiedskommission, dann müsste der Stura Neuwahlen ausrufen oder vom Verwaltungsgericht die Richtigkeit der Wahl feststellen lassen. Tut er das nicht, wollen die Antragssteller vor Gericht ziehen und die Neuwahlen einklagen. „Das wäre eine Katastrophe“, sagt Frank Dörfler, „schließlich hatten wir die höchste Wahlbeteiligung seit fünf Jahren.“ Dennoch glaubt er nicht, dass der Stura vor Gericht verlieren könnte. Auch der Uni scheint eine schnelle Konstituierung des studentischen Gremiums am Herzen zu liegen. So betonte Rektor Dicke auf der Sitzung, es dürfe in Jena keine stura-freie Zone geben. Und das, obwohl Rechtslage und Wahlprozedere des Sturas seit fünf Jahren ungeklärt ist.

Allgemein

5 Antworten auf Die falsche Wahl

  • Nicht verwunderlich ist, dass der Stura seine eigenen Regeln nicht kennt, soweit sie überhaupt existieren. Sich nun auf eine Rekordwahlbeteiligung (mitunter) zu berufen, um eine Neuwahl abzulehnen, erscheint befremdlich. Fakt ist: die Wähler geben ihre Stimmen stets einem Kandidaten. Die Listenfunktion ist dabei ein seltsames Anhängsel und überdies rechtswidrig, da sie mit der Wahlordnung nicht vereinbar ist und zudem gegen die aktive und passive Wahlrechtsgleichheit verstößt.

    Ob nun 10 oder 15 % Beteiligung: im Endeffekt sind fair ausgewerte 7 % besser, als 15 %, deren Stimmen in einem undurchsichtigen Gewirr gewertet wurden.

  • Tja, wundern sollte einen beim Stura schon lange nichts mehr… Wie durch ein Wunder ist der Verweis auf den neutralitäts-verletzenden Flyer nach Erscheinen des Akrützels plötzlich von der Homepage verschwunden… Auf einmal ist der Stura wohl doch der Urheber?!?

    Für alle, die es nachvollziehen wollen: Einfach bei Google die Suchbegriffe “stura uni jena rcds klarstellung” eingeben, auf den “Cache”-Link klicken und dann ein wenig scrollen – da ist die alte “Klarstellung” immer noch da!

  • Habe mir die ” 7 Populismus-Sünden des RCDS” jetzt auch mal auf der StuRa-Website angesehen.
    Mir fallen da spontan nur zwei Sachen zu ein:
    – sehr scharfzüngig, intelligent aber auch sehr polemisch formuliert.
    – aber v.a. eigentlich doch nur eine Klarstellung der noch viel krasseren Vorwürfe des RCDS. Von den Populismus-Sünden habe ich keinen Flyer auf dem Campus während des Wahlkampfes gefunden. Dafür diese extrem unsachlichen Flyer des RCDS, wo der StuRa als linksextremer Finanzverschwender tituliert wurde.

    Der StuRa soll sich ja wohl gegen Verschwendungsvorwürfe wehren dürfen und auch gegen Studiengebühren Position beziehen dürfen – selbst in Zeiten der Wahl. Ansonsten wäre er ja wohl funktionslos. Wenn der RCDS für Studiengebühren ist, dann kann man das auch kritisieren. Der RCDS soll mal für Studiengebühren unter den Kommilitonen werben, wenn er davon so überzeugt ist.

    Nochwas anderes: Einen Vorkommentator verstehe ich nicht:
    Wenn jeder Wähler nur einen Kandidaten und keine Juso- oder RCDS-Liste wählt, wieso ist es dann neutralitätsverletzend wenn der StuRa sich gegen den RCDS wehrt? Den Wahlbewerber “RCDS” dürfte es nach der Anschauung meines Vorkommentators doch gar nicht geben. Na gut – ich lass es mal. Ich muss es nicht verstehen – ich kenn mich mit dem Juristischen nicht aus.

    Komisch finde ich auch, dass der RCDS den StuRa nun juristisch angreift. Der StuRa hat schließlich auch nicht den Prof. Ohler verklagt, der einfach den RCDS zur Wahlwerbung zu sich eingeladen hat. Wieso das wohl einfach so durchgehen konnte? Ich hätte anstelle des StuRa ein Verfahren gegen den Prof angestrengt.

    Ich verstehe den Kläger Philipp Scholz auch nicht. Wenn er Kandidat in der rechtswissenschaftl. Fakultät war – wieso hat er dann nicht viel früher auf seine “Chancengleichheit” gepocht und hat Prof. Ohler verklagt?
    Als Jura-Student hätte er ja, so zumindest meine Vorstellung, wohl auch gewusst wie.

    Ist Maximilian Steinhaus Vorsitzender der Schiedskommision? Den hätte ich gerne mal gefragt warum der StuRa nicht politisch aktiv sein darf. Ich verstehe das nämlich nicht.

    Komisches Spiel – die ganze Sache. Im Übrigen auch der StuRa ist komisch. Warum versteckt man sich hinter juristischen Winkelzügen – wenn man doch einfach sagen könnte:

    Ja, wir machen Politik. Damit kann nicht jeder einverstanden sein. Das soll man ja auch nicht. Ich bin verdammt froh, dass der StuRa Politik macht. Ansonsten hätten die wohl den Robert Wilhelm gewählt.

    Und warum kann man nicht sagen: Jura-Student Scholz verklage doch mal den Prof. Ohler. Dann können wir weiterreden. Außerdem warum hat der gute Mann keine Liste gebildet?

  • Am vorhergehenden Kommentar kann man deutlich sehen, wie Herr Dörfler mit seinen aus der Luft gegriffenen Äußerungen für absolute Verwirrung sorgt. Gleich der obigen Reihenfolge hier ein Versuch, etwas Licht ins Dunkel zu bringen:

    1. Der StuRa-Flyer war direkt vor deren Büro aufgestellt.

    2. Der StuRa durfte die Vorwürfe klar-, d.h. richtig stellen. Das muss in sachlicher Hinsicht geschehen, also schlicht durch nackte Nennung der Zahlen. Als Gremium hat er aber die Pflicht, während des Wahlkampfs gegenüber allen Wahlbewerbern neutral zu bleiben. Sätze über den “Zynismus, mit dem deine Stimme zur Gremienwahl erlogen werden soll” verletzen diese Neutralitätspflicht.

    Ansonsten darf der StuRa natürlich “politisch aktiv” sein, er darf aber eben keine “politische Wahlwerbung” vor der StuRa-Wahl betreiben. Da besteht ein gewichtiger Unterschied.

    3. Die Veranstaltung bei Prof. Ohler hat mit der Wahlprüfung gar nichts zu tun. Warum soll ein Kandidat diesen verklagen? Es geht um gleichheitswidrige Vorschriften im Wahlrecht, nicht um die einzelne Veranstaltung mit Herrn Althaus.

    Im Übrigen hat Prof. Ohler nicht zur Wahlwerbung eingeladen, der RCDS hat diese vielmehr absprachewidrig in der Vorlesung aufgedrängt (nachzulesen in einem Akrützel aus dem SoSe).

    4. Es geht nicht darum, als Einzelkandidat eine “Einzelliste” aufzustellen. Herrn Dörflers Äußerungen sind da völlig irreführend. *Einzel*kandidaten treten per definitionem allein an, werden aber aufgrund der Summenbildung bei den Listenkandidaten eklatant benachteiligt. Dieses Phänomen wurde bisher leider übersehen, wird aber nun gerügt und hoffentlich geändert.

    Ich hoffe, dass die Situation damit insgesamt etwas besser nachvollziehbar ist.

  • Nur mal zur Klarstellung:

    1. Der RCDS hat keine Wahlanfechtung eingereicht. Die Wahlanfechtung wird von unabhängigen Personen durchgeführt. Es gibt auch keinerlei Absprachen.

    2. Der RCDS ist nicht für eine Wiederholung der Wahl. Die Wähler haben gesprochen und wir akzeptieren das für uns positive Ergebnis. Der Wahlkampf wurde von vielen Seiten und auch von uns sehr hart, vielleicht zu hart, geführt. Allerdings hat dies zu einer steigenden Wahlbeteiligung geführt.

    3. Die Einmischung des alten Sturas war rechtlich und auch demokratisch nicht in Ordnung. Vielmehr hätten sich die JuSos und Stur-A-ktiv als Ziel unserer Kritik verteidigen müssen. Das Wahlwerbung mit dem Logo des Sturas und mit Geld der Studenten gemacht wird ist ein unverzeilicher Fehler, der nach einer Entschuldigung schreit. Allerdings glauben wir nicht, dass dies wahlentscheidend war. Unsere Studenten sind nicht so einfach gestrickt, dass sie sich von so etwas in großer Zahl beeinflussen lassen. Vielleicht hat dies nach dem Motto: “Getroffene Hunde bellen” sogar genutzt.

    4. Das Fehlen einer Wahlordnung ist nicht akzeptabel. DIes zeigt, dass ein frischer Wind im Stura dringend notwendig ist. Dafür sind wir ja nun auch da. Allerdings war allen Bewerbern vorher der Wahlmodus bekannt und niemand hat sich öffentlich beschwert. Man kann und sollte über diesen Modus diskutieren. Nun aber die ganze Wahl zu wiederholen, was viel Zeit und Geld kostet und zudem die Studentenvertetung für Monate lahm legt ist keine Antwort.

    5. Was im Bezug auf die Veranstaltung mit Prof. Ohler im Akrützel steht ist nachweislich falsch. Herr Ohler wusste, dass der RCDS die Veranstaltung öffentlich als Veranstaltung des RCDS bewerben wird. In der Veranstaltung sollte keine Wahlwerbung erfolgen. Dies ist nicht geschehen. Stein des Anstoßes ist ein 2m x 80cm großes Banner des RCDS, was im Hörsaal stand. Dies fand Prof. Ohler nicht gut. Wir haben uns bei ihm dafür entschuldigt. Der Ministerpräsident hat ausschließlich über die zur Vorlesung passenden Inhalte gesprochen. Prof. Ohler war sehr interessiert an diesem Vortrag und hat auch anderen Hochschulgruppen angeboten ihm Referenten anzubieten. Leider hat dies niemand getan. Die überwältigende Resonanz für die Veranstaltung und das positive Feedback in der Veranstaltung haben uns bestätigt. Zudem konnten alle in der Vorlesung ihre Meinung sagen, was u.a. Frank Dörfler auch getan hat. Niemand sollte glauben, dass Studenten so dumm sind nur wegen so einer Veranstaltung den RCDS zu wählen. Vielmehr ist es hier gelungen die Lehre ein wenig aufzulockern und jeder ist aufgerufeb es uns nach zu machen.

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