Noch nicht systemrelevant

Die Schulschließungen während der Corona-Pandemie beeinflussen auch Lehramtsstudierende. Wie anpassungsfähig ist das Praxissemester?

von Julia Keßler

Die Universität ist stolz auf ihr Jenaer Modell der Lehrerbildung. Neben dem Referendariat gehört auch das Praxissemester zu den Meilensteinen dieses Modells, auf die sich viele Studierende freuen und die zum Weitermachen motivieren.
Im Praxissemester arbeiten Studierende fünf Monate in Schulen, hospitieren und halten selbst Unterricht. Es soll ein Korrektiv sein, ein Anlass, die eigene Berufswahl noch einmal zu hinterfragen. Wie sehe ich mich als Lehrperson? Macht mir Unterrichten überhaupt Spaß? Kann ich allen Facetten des Berufs gerecht werden? Die meisten Studierenden fühlen sich in ihrer Studienwahl bestätigt und für die wenigen, die sich gegen eine Weiterführung des Lehramtsstudiums entscheiden, ist die Hürde, den Studiengang zu wechseln, gering – das Praxissemester funktioniert also.
Das Sommersemester 2020 ist aber ein besonderes, denn die Corona-Pandemie sorgte wenige Wochen nach Beginn des Praxissemesters für Schulschließungen. Für viele Studierende war das mit Unsicherheit verbunden, denn für sie stand die erste authentische Lehrerfahrung auf dem Spiel. Zusätzlich gibt es von der Universität Vorgaben, wie viele Stunden hospitiert und selbst gehalten werden müssen, um das Praxissemester zu bestehen.

Lehrer im Homeoffice.
Foto: Dominik Itzigehl

„Ich hatte großes Glück und wurde von Anfang an ins Homeschooling mit eingebunden und auch in der folgenden Präsenzzeit durfte ich viel Unterricht selbst halten“, resümiert Christine Post. Sie studiert Mathematik und Biologie und absolviert gerade ihr Praxissemester an einer Thüringer Regelschule. „Von Schulseite fühle ich mich sehr gut aufgehoben.“ Man müsse sich aber bewusst sein, dass es eben kein normaler Schulalltag sei. Christine kann aber insbesondere der Präsenzlehre in Kleingruppen auch etwas sehr Positives abgewinnen: „Ich halte eigentlich jede Stunde mehrmals, da sieht man direkt, wie unterschiedlich die Gruppen
reagieren und kann den Unterricht selbst überarbeiten. Das ist super spannend.“
Die universitäre Betreuung sieht Christine hingegen kritisch. „In den sieben Wochen der Schulschließung kam von der Uni gar nichts.“ Gegen Ende dieser Zeit habe es zwar eine Rundmail gegeben, in der gefragt wurde, wie die Studierenden an den Schulen eingebunden würden, aber gut betreut fühlte sie sich dennoch nicht. Die Situation veränderte sich schlagartig, als die Schulen schrittweise wieder geöffnet wurden. „Ich konnte mich vor Emails gar nicht mehr retten, ständig kamen neue Anweisungen, weil sich Anforderungen und Fristen änderten oder neue Aufgaben hinzukamen.“
Ähnliche Erfahrungen hat auch Laura (Name von der Redaktion geändert) gemacht, die ihr Praxissemester an einem Thüringer Gymnasium absolviert. Sie bezeichnet ihre Praktikumsschule als „Volltreffer“ und will freiwillig noch bis zu den Herbstferien dort bleiben. In einem Begleitseminar wurde aber nach mehreren Wochen die Prüfungsleistung geändert, alle Arbeit, die bis dahin geleistet wurde, war hinfällig. Als sie sich darüber beschwerte, gab es kaum Rückhalt vom Praktikumsamt und von der Dozentin fühlt sie sich seither nicht mehr ernstgenommen.
Beiden ist aber bewusst, dass sie trotzdem viel Glück hatten. „Ich habe Kommilitonen, die hatten Ende April noch keine Schule von innen gesehen, da kann man dann leider nicht mehr von Praxiserfahrung sprechen,“ stellt Laura fest. Auch Christine bestätigt, viele Beschwerden über die Situation an den Schulen von anderen Studierenden gehört zu haben.
Trotz aller Kritik an einzelnen Lehrveranstaltungen zeigen beide viel Verständnis für die Situation, mit der Schulen und Universität konfrontiert wurden. Für alle sei die Erfahrung neu und die meisten seien sehr bemüht, betonen sie. So reagierte die Universität auf die Rückmeldungen der Studierenden, die in ihren Schulen weniger gut eingebunden wurden, und reduzierte die Anzahl der Stunden, die hospitiert und selbst gehalten werden müssen. Auch eine Verlängerung des Praxissemesters ist von Universitätsseite problemlos möglich. Ob dies aber für alle Studierenden eine echte Alternative darstellt, ist fraglich, denn das Praxissemester ist unbezahlt, macht aber viele Nebenjobs aufgrund fehlender Zeit und Flexibilität unmöglich. Diese finanziellen Schwierigkeiten werden durch das coronabedingte Wegbrechen vieler Nebenjobs noch verschärft.
Dennoch blicken sowohl Christine als auch Laura insgesamt positiv auf ihre Praxissemestererfahrung. Beide haben bereits eine Ausbildung bzw. ein Studium abgeschlossen und fühlen sich nun in ihrer Neuorientierung bestätigt. Das liege aber nicht daran, dass der Beruf systemrelevant und damit krisensicher sei, betonen sie. „Ich habe für mich festgestellt, dass das genau meins ist. Das ist das, was ich machen möchte“, resümiert Christine. Das positive Feedback der Schule und der Lernenden motiviert sie nun für die weiteren Semester an der Universität.

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