Blut und Goethe

Mit ihrer Groteske Der Schwarze Nazi ist den Jenensern Tilman und Karl-Friedrich König ein anspruchsvoller Streifen gelungen, der die Frage aufwirft, wer zu sagen hat, was „deutsch“ ist.

Von Christoph Renner

Als Schwarzer kannst du perfekt Deutsch sprechen und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen; und trotzdem gaffen sie dich an, im Bus und auf der Straße. Sikumoya Mumandi, gespielt von Aloysius Itoka, ist ein Flüchtling aus dem Kongo und wohnt in einer sächsischen Kleinstadt. Er ist die Hauptfigur der Film-Groteske Der Schwarze Nazi der Jenaer Regisseure Tilman und Karl-Friedrich König.
Verzweifelt versucht Sikumoya sich an die Deutschen anzupassen, arbeitet mit Akribie an seinem Akzent. „Treue ist tief“, wiederholt er immer wieder vor dem Spiegel. Auch nach dem zehnten Mal spricht er die deutsche Treue in seinen Ohren nicht tief genug aus.
Sikumoya läuft auf seinem Weg zum Einbürgerungskurs am Stand der NPO (Nationale Patrioten Ost) vorbei. Der Beamte im Arbeitsamt versichert ihm, dass sein Abschluss in Deutschland nichts wert sei.
Dann ein dramaturgischer Bruch von strittiger Originalität: Sikumoya wird von Nazis zusammengeschlagen, fällt ins Koma. Als er aufwacht, ist er ein anderer Mensch, geht zur NPO und wird dort „Integrationsbeauftragter“.
Der Schwarze Nazi ist ein Film der Brüche. Gebrochen wird mit der neonazistischen Ideologie sowie der Vorstellung, dass es „das Deutsche“ gäbe.
Die härteste Diagnose des Films ist, dass der Flüchtling seine einzige Chance, in Deutschland akzeptiert zu werden, darin sieht, sich seinen Peinigern anzupassen. Sikumoya ist frustriert, dass ihn seine Mitmenschen nicht akzeptieren. Selbst als er Mitglied der NPO und deutscher Staatsbürger ist, sagt man ihm dort: „Du bist kein Deutscher!“ Was deutsch sei, fragt Sikumoya. „Deutsches Blut“, ist die Antwort. Sikumoya entgegnet, dass er im Koma eine Bluttransfusion bekommen habe, „von einer sächsischen Frau“.
Sikumoya läuft mit Schlägertrupps durch die Straßen und zwingt Leute, ein deutsches Gedicht zu rezitieren; das scheitert schon beim Erlkönig. Macht uns unsere Kultur aus? Wohl kaum, denkt man, wenn Sikumoya Jung-Nazi Steve bei seinen Eigenkompositionsversuchen auf der Gitarre ermuntert. Die bestehen aus zwei Akkorden und der Zeile: „ Oma und Opa, ihr wart Helden.“
Die Reminiszenz auf den Nationalstaat wird als Utopie entlarvt: Sikumoya zwingt Parteimitglieder, in einem Feuertopf alles zu verbrennen, was sie an undeutschen Dingen bei sich tragen. Die Hüllen fallen, das Smartphone landet im Feuer, bis der Nazi nur noch im arisch weißen Pumper dasteht.
Brüche zeigen sich auch in der künstlerischen Gestaltung des Films; lustige und dramatische Szenen wechseln einander schlaglichtartig ab. Im einen Moment küsst Sikumoya seine Lebensgefährtin zu klassischer Musik, im nächsten dröhnt es dem Zuschauer in den Ohren, wenn Sikumoya im Bus von Mitfahrern angestarrt wird.
Seine stärkste Szene hat der Film, als Mumandi sich bei seinen Nazi-Peinigern rächt, die gerade Rechtsrock in einem Auto hören. Er schmeißt eine Buttersäurepatrone in den Wagenraum und verschließt von außen die Tür. Die Männer scheinen kurz vor dem Erstickungstod zu stehen. Man denkt an die Gaskammern von Auschwitz. Während die Kamera zwischen dem regungslosen Gesichtsausdruck Sikumoyas und den sich windenden Nazis wechselt, spricht er in Gedanken die letzten Zeilen aus Goethes Osterspaziergang: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“
Er öffnet die Wagentür, die Nazis kriechen heraus. „Du bist doch ein echter Kamerad“, sagt Steve und Sikumoya erwidert: „Ich bin nicht dein Kamerad, ich bin Sikumoya.“
Goethe gab es schon vor 80 Jahren, er schützte weder damals noch heute vor Verbrechen. Es ist eine individuelle Moralfrage, ob man das „Mensch-Sein“ aus dem Osterspaziergang ernst nimmt, sich vor dem eigenen inneren Abgrund verschließt und ein Verbrechen begeht oder nicht.
Andere Menschen auf der Basis irgendwelcher Ausschlusskriterien herabzuwürdigen, davor ist Sikumoya im Schwarzen Nazi nicht gefeit. Aber er deutet Goethe im richtigen Moment anders als viele „Biodeutsche“, die in seinem Genie ein Argument für die deutsche Überlegenheit gesehen haben wollen. Er vereinnahmt Goethe nicht, er nimmt ihn an.
Heute überrascht es keinen mehr, wenn der „bessere Deutsche“ Sikumoya heißt statt „Kamerad“.

Der Schwarze Nazi läuft ab dem 19.05. im Schillerhof.

Foto: Christoph Renner

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