Zwerge haben kurze Beine

In meiner Kindheit wurde ich einige Male böse verarscht. Vielleicht hat das bleibende Schäden hinterlassen, denn später bin ich ein passionierter  Lügengeschichtenerzähler geworden. Einige Prachtexemplare aus meiner verlogenen Vergangenheit, in der ich Schrott geglaubt habe oder Schrott habe glauben lassen.

Von Christoph Renner

 

Gartenzwerg und Hirntumor

In meiner Grundschule gab es auf dem Flur einen Gartenzwerg. Deutsche Leitkultur; mit grüner Latzhose und Laterne in der Hand. Einmal führte ich zu Zwecken der Belustigung einiger Mitschüler einen performativ-koitalen Akt an dem hässlichen Teil aus. Zwei Oberstreber rannten natürlich gleich zur Lehrerin: „Frau K., Christoph hat den Zwerg gefickt!“ Die zitierte mich zu sich, machte eine Karpfenmine, schnappte nach Luft: „Ich hatte mal einen Schüler, der hat auch so komische Sachen gemacht, hatte sich gar nicht mehr im Griff. Es stellte sich später heraus, dass er einen Hirntumor hatte.“ Die nächsten Wochen lebte ich in Todesangst. Hatte ich einen Tumor, und deshalb den Zwerg gefickt? Später gestand Frau K. ein, dass sie sich die Geschichte nur ausgedacht hatte. Zu spät, Hypochondrie wurde mein  Lebensbegleiter. Letztes Jahr habe ich erst ein MRT machen lassen… Ich habe keinen Hirntumor, Frau K.!
Verbrecherjagd auf den Hausmeister

In der zweiten Klasse erzählte mir ein Mitschüler, unser Hausmeister  wäre ein gesuchter Mörder und an der Schule untergetaucht. Der Hausmeister stank bestialisch und schrie gern Kinder an. Nach der Schule kletterten wir über den Zaun und legten uns auf die Lauer, um ihn zu überführen. Zwei siebenjährige Jungs, die zu viel TKKG gelesen hatten. Meistens versteckten wir uns hinter der Hecke und lugten nur mit dem Kopf über die Zweige hinweg auf das Zielobjekt, das immer wieder große Müllsäcke über den Schulhof bugsierte. Für mich war klar: Da waren zerstückelte Leichen drin! Wir waren kurz vor dem großen Fang! Irgendwann entwickelte der Hausmeister einen unverständlichen Hass gegen uns beide, wie wir da immer wieder über die Hecke linsten. Vielleicht war’s auch Verfolgungswahn, aber irgendwann fing er an, uns anzuschreien und verfaulte Äpfel nach uns zu werfen. Nach wochenlanger, vergeblicher Observation eröffnete mein Mitschüler mir, er habe sich die ganze Mörder-Sache nur ausgedacht, damit wir etwas erleben. Ich war super enttäuscht, denn ich hatte uns schon in den Nachrichten gesehen: „Zwei siebenjährige Jungs überführen Mörder.“

Irgendwann verliert man in seinem Leben die kindliche Naivität. Bei mir war dieser Punkt gekommen, als ich erkennen musste, dass ich keine Heldenfigur aus einem Kinderkrimi von Thomas Brezina war. Später konzentrierte ich mich lieber darauf, die Gutgläubigkeit meiner Mitmenschen auf die Probe zu stellen.

„Mortimer hatte gestern Nacht seinen ersten Samenerguss.“

Geschichtsunterricht, achte Klasse. Wir sollten in Gruppen Referate vorbereiten und dabei sollte jede Gruppe Protokoll darüber führen, wer wann wie mitgearbeitet hatte. Fand ich bescheuert und schwang mich zum Schriftführer auf. In meinem Arbeitsprotokoll arbeiteten alle Gruppenmitglieder jede Stunde mit größtem Aufwand. Als sei das nicht schon Lüge genug, erdachte ich noch einen fiktiven Mitschüler namens Mortimer. Mortimer arbeitete nie mit. Am schlimmsten war es an einem Donnerstag, da musste ich zu Protokoll geben: „Mortimer hatte gestern Nacht seinen ersten Samenerguss und konnte sich deshalb überhaupt nicht konzentrieren.“ Ich werde niemals das Gesicht meiner Mutter im anschließenden Elterngespräch vergessen.

„Der Hahn ist der Henne Untertan.“

Ich machte selten meine Hausaufgaben, auch in der Oberstufe. In Deutsch sollten wir einmal über das literarische Werk der Autoren Ulla Hahn und Botho Strauß recherchieren. Frau S., unsere Deutschlehrerin, war  Hardcore-Feministin, und jedes Buch, das wir lasen, hatte irgendwie mit der Unterdrückung oder Befreiung der Frau zu tun. Ich sollte an die Tafel kommen und meine Hausaufgabe über Ulla Hahn vorstellen. Ich hatte nichts recherchiert und musste daher improvisieren und antwortete: „Ulla Hahn zählte zur Generation der 68er und setzte sich massiv für die Emanzipation der Frau ein. Ihr Erstlingswerk, Ulla Hahn – Der Hahn ist der Henne Untertan, zeugt davon.“ Es folgte großes Gelächter. Dann fragte ich, ob ich nach Ulla Hahn auch noch was über Botho Strauß sagen sollte. Frau S. winkte ab.
Bienen und das Handynetz

Ich habe drei Jahre in Tübingen studiert. Tübingen war grün, richtig ökospießergrün. Eine Freundin von mir dort studiert Biologie und ist eine furchtbare Besserwisserin – und es damit verdient, mal richtig verarscht zu werden. Wir kamen auf einer Party darauf zu sprechen, wie schlecht das Handynetz in Tübingen sei. Ich sagte dazu, dass das Bürgermeisteramt vor einigen Jahren gemeinsamen mit dem Ökologischen Institut der Universität ein Projekt gestartet hätte, um die Bienenvorkommen auf der Schwäbischen Alb zu schützen. Das Handynetz schade den Bienen; sie verlören die Orientierung und fänden nicht mehr zu ihren Waben zurück (das stimmt sogar fast). Daher hätte man die Flugrouten der Tiere untersucht, und das Netz an bestimmten Punkten gedrosselt. Zwei Jahre lang glaubte sie die Story, erzählte es all ihren Biofreunden. Als ich sie an einem Abend mit der Wahrheit konfrontierte, wollte sie mir erst nicht glauben, dass ich sie verarscht hatte. Zu ihrem Geburtstag schenkte ich ihr ein Kinderbuch – Biene Maja.

 

Zeichnung: Martin Emberger
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