Voller Konservierungsstoffe

Ein Erlebnisbericht von Johanne Bischoff und Anna Zimmermann

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 Foto: Maximilian Gertler

Das Semester beginnt. Wieder lernt man neue Kommilitonen kennen, hat die üblichen Verdächtigen in der Vorlesung. Dann endlich das Seminar zu „Regulierungsrecht (Vertiefung)“, das im Vorlesungsverzeichnis so spannend schien. Doch was ist das? In der hinteren Reihe sitzt einer, Hemd, Jackett, die Haare lässig nach hinten gegelt und eine riesige frisch genähte Narbe auf der rechten Wange. „Burschenschafter“, schießt es einem durch den Kopf. Schublade auf, Kommilitone rein, Schublade zu, fertig. Wieder einer von den ewig Gestrigen: nationalistisch, konservativ, sexistisch und nahe am Alkoholikerdasein, wohnt er sicherlich in einem herrschaftlichen Haus, bekommt Praktika in Topunternehmen hinterhergeworfen und ist auf der Suche nach einer Gattin mit akademischen Ambitionen, damit sie ihn auch in Zukunft als Hausfrau ein wenig mit Foucault zur Quiche Lorraine unterhalten kann. Bis dahin schwingt er seinen Degen, trägt zu bestimmten Anlässen ein mehrfarbiges Bändchen schräg über der Brust und ab und an einen Hut. Wenn es nach einigen Litern Bier nötig ist, kotzt er in emaillierte Brecheimer.
Vorurteile gibt es zuhauf. Wie wahr oder falsch sie sind, ist nicht immer eindeutig zu klären. Zum einen, weil die Verbindungsszene vielfältig ist: Neben Burschenschaften existieren in Jena Corps, eine Landsmannschaft, eine Sängerschaft, Damen- und christliche Verbindungen. Zum anderen ist nicht immer leicht zu erkennen, welches Merkmal worauf basiert. Mit dem Trinken beispielsweise ist das so eine Sache: Natürlich wird in einer Studentenverbindung gezecht. Allerdings wird häufig entgegnet: Ob man auf einer Party bechert oder auf einem Verbindungshaus, sei dann ja egal. Anders kann allerdings der Rahmen sein, in dem getrunken wird. Nicht nur „auf dem Haus“, sondern auch während „der Kneipen“ spielt Bier eine zentrale Rolle. Zu Beginn und am Ende jedes Semesters begrüßen Studentenverbindungen ihre Bundesbrüder mit einer Kneipe, einem durchritualisierten geselligen Zusammensein. Eingeladen sind in jedem Fall aktive Mitglieder, Alte Herren und potentielle neue Bewerber. Letztere heißen in der Verbindungswelt Füxe. Alte Herren sind Mitglieder, die das Studium beendet haben und das Verbindungsleben nicht mehr aktiv mitgestalten.

Bis dass der Tod sie scheidet

Die Stufen, die der Einzelne in seinem Verbindungsleben durchläuft, sind in allen Bünden relativ ähnlich. „Wenn man hier herkommt, ist man erst einmal Spefux. In dieser Phase kann man sich einen ersten Eindruck verschaffen“, erklärt Jan M.*, Senior des Corps Thuringia. „Wenn man sich dann dafür entscheidet bei uns Mitglied zu werden, bekommt man das Fuxenband und beginnt seine Ausbildung.“ Dazu gehören historische Kenntnisse über die eigene Verbindung und über die Stadt. Bei sogenannten schlagenden Verbindungen kommen tägliche Fechtstunden hinzu. Von „Schauergeschichten darüber, dass Füxe geknechtet werden und Arbeiten verrichten müssen“, distanziert sich Jan. Die Fuxenzeit wird als Probezeit verstanden. Sie bietet für die Bundesbrüder die Möglichkeit zu erkennen, ob der Fux würdig ist; gleichzeitig kann sich dieser ein differenzierteres Bild von der Gemeinschaft machen. Beide Seiten müssen sich dann überlegen, ob sie diesen Bund eingehen wollen. Um zum Burschen zu werden, muss eine schriftliche oder mündliche Prüfung absolviert werden und in schlagenden Verbindungen die Fuxenpartie mit scharfen Degen gefochten werden. Ist der Fux dann zum Burschen aufgestiegen, bekommt er in den meisten Verbindungen ein anderes Band und hat sich am Leben auf dem Verbindungshaus zu beteiligen. Nach einigen Semestern als „aktiver Bursch“ geht dieser dann in die Inaktivität über. Oft ist das auch an einen Auszug aus dem Verbindungshaus gekoppelt, um für die Neuen Platz zu machen. Mit dem Abschluss des Studiums wird aus dem Burschen ein Alter Herr.

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Foto: Maximilian Gertler

Mit dem Erhalt des Abschlusszeugnisses erschöpft sich das Verbindungsleben also keineswegs, vielmehr eint alle die Vorstellung von einem Lebensbundprinzip. Dieses zielt darauf ab, dass Mitglieder auch über die Studienzeit hinaus der Verbindung treu bleiben und sich finanziell für sie engagieren. „Wir schließen einen umgekehrten Generationenvertrag“, sagt Felix Ewald, Senior, also Vorsitzender der Aktiven des Jenenser Wingolfs. Die christliche Studentenverbindung nimmt männliche Studenten auf, die sich zum Christentum bekennen; welcher Konfession sie angehören und ob sie überhaupt getauft worden sind, spielt dabei keine Rolle.

Band als Eintrittskarte

Dass die Anwärter studieren oder studiert haben, ist Voraussetzung: „Wenn jemand dabei wäre, der kein Student ist, dann könnten wir ja auch ein ganz normaler Verein sein und das wollen wir eben nicht“, begründet Benjamin Brunner, Mitglied der Sängerschaft St. Pauli. Unterschiedlich wird in den Verbindungen mit Studienabbrechern verfahren. Oft werden diese Mitglieder dann strikt ausgeschlossen. Die Prämisse des Lebensbunds wird damit befolgt, dass in diesen Fällen eine eingeschränkte Mitgliedschaft ermöglicht wird. Andere handhaben dies freier: Für die Salana Jenensis geht es darum, die Erfahrung des Studiums überhaupt erfahren und verstanden zu haben.
Aus dem Studienprinzip erklärt sich zum Teil auch die Vorstellung von einflussreichen Netzwerken, innerhalb derer Alte Herren jungen Verbindungsbrüdern begehrte Praktika und Jobs in angesehenen Firmen zuschustern. Vom Vorwurf der Vetternwirtschaft sprechen sich schlussendlich alle Verbindungen frei. Jan vom Corps Thuringia betont: „Nur weil ich ein Band trage, bekomme ich das Praktikum nicht zwangsläufig. Ich muss trotzdem die Leistung bringen.“
Für den Pauliner Brunner, der neben seiner Verbindungsmitgliedschaft regionalpolitisch bei der CDU aktiv ist, muss jeder Bundesbruder dies selbst entscheiden. „Ich verstehe das als Hilfe.“ Er empfindet es eher als etwas Ehrenvolles, einem Bundesbruder unter die Arme zu greifen. „Wenn ich weiß, ich bin in derselben Verbindung wie ein junger Bursch, schau ich mir dessen Bewerbung natürlich an.“ Allerdings sei es nicht so, dass man immer gleich zum Alten Herren rennt: „Jeder sucht sich erst einmal, was ihn interessiert. Wenn man dann Schwierigkeiten hat, kann man um Unterstützung bitten.“
Dass professionelle Netzwerke aufgrund des traditionellen Aufbaus über mehrere Generationen hinweg entstanden sind, ist also nicht zu leugnen. Couleurbesuche, also Treffen bei den verschiedenen Verbindungen einer Stadt, prägen die regionale Verbindungslandschaft. Durch Besuche befreundeter Verbindungen aus anderen Städten werden die Kontakte auch bundesweit ausgedehnt. In Kartellen, Verbänden und Dachverbänden organisiert, pflegen sie ein umfangreiches Beziehungsgeflecht.
Trotz der unterschiedlichen, teils politischen Ausrichtungen und Grundprinzipien gibt es Elemente, die sich in allen Verbindungen wiederfinden. Dazu zählen der Werdegang eines Verbindungsmitglieds vom Fux zum Alten Herren, die Aufteilung in Chargen und Ämter wie Bierwart oder Fuxmajor und die äußere Erscheinung mit Kappe, Band und Zipfel. Jede Verbindung hat ihre eigenen Farben, ein Wappen und einen Zirkel, der meist die drei Anfangsbuchstaben der Grundprinzipien zu kalligraphischen Schnörkeln zusammenführt.

Couleurtand

Abgesehen vom Band herrscht bei vielen Verbindungen eine mehr oder weniger strikte Kleiderordnung, dazu gehört in den meisten Fällen zumindest ein Hemd. Auf vielen Häusern herrscht Kragenpflicht. Innerhalb eines Bundes duzen sich die Mitglieder, Studenten anderer Verbindungen werden üblicherweise gesiezt. Aus diesen Konventionen, die vielen Nichtverbindungsstudenten unbekannt sind, ergeben sich schnell Gerüchte über geheime Rituale innerhalb der Szene.

Tatsächlich geheim ist aber wenig. Nicht einmal der Erkennungspfiff der Pauliner Sängerschaft, eine alte Tradition aus der Zeit, in der Studentenverbindungen verboten waren, ist ein Geheimnis und wird von Brunner gerne vorgeführt. Nur die internen Angelegenheiten wie Finanzen werden auf Konventen behandelt, an denen nur Verbindungsbrüder teilnehmen dürfen und über deren Inhalte mit Außenstehenden nicht gesprochen wird. Es ist lediglich klar, dass Verbindungen von Alten Herren finanziert werden – über die Höhe der Beträge wird meist geschwiegen. So werden auch die Häuser finanziert, in denen die Aktivitas vieler Verbindungen lebt. Ein solch traditionsreiches Haus ist auch die „Grüne Tanne“, vor der 1815 die Urburschenschaft gegründet wurde.
Allgemein entspringen studentische Verbindungen den Entwicklungen des frühen 19. Jahrhunderts. Viele Überzeugungen und Traditionen liegen also in dieser Zeit begründet. Auch die des Fechtens. Sie spielt bei einem Teil der Jenaer Verbindungen heute noch eine fundamentale Rolle. Sind sie pflichtschlagend, ist es für die Mitglieder zwingend notwendig, täglich auf dem Paukboden zu stehen und sich im Fechten zu üben. „Das Fechten ist in der Studentenschaft schon im 18. Jahrhundert weit verbreitet. Es bestand eine ständige Duellbereitschaft der Studenten, die sich bei der kleinsten, eingebildeten Beleidigung ihrer Ehre beraubt fühlten und dies dann auf diese Weise zu klären versuchten“, erklärt Gisela Mettele, Professorin für Geschlechtergeschichte an der FSU. Sie hält der Urburschenschaft zumindest zugute, dass sie sich dafür eingesetzt hat, die willkürlichen Raufhändel einzuschränken. Sie hätten eine zivilisierende und regelnschaffende Funktion gehabt.
Heutzutage müssen die meisten Mitglieder pflichtschlagender Verbindungen zwei bis fünf Mensuren austragen. Dabei stehen sie einem gleichstarken Kontrahenten gegenüber. Jan vom Corps Thuringia betont, dass man nicht „gegeneinander“, sondern „miteinander“ ficht. „Früher sprach man anstelle vom Fechtprinzip vom Satisfaktionsprinzip. Das ist aber heute hinfällig, weil ich meine Ehre nicht mit einem Duell herstellen kann – das wäre auch völliger Blödsinn“, pflichtet ihm sein Corpsbruder Bastian E.* bei. Trotz Angst und Bedenken empfinden aber viele die Partien als Bereicherung. „Für mich persönlich war es eine wichtige Erfahrung“, erinnert sich Christopher Trabant, Mitglied des Corps Saxonia: „Am Ende steht die Gemeinschaft im Vordergrund. Man spürt den Rückhalt und hat gleichzeitig das Gefühl, seinen Mann gestanden zu haben.“ Bei den Mensuren wird Schutzkleidung in Form einer Metallbrille und eines Kettenhemdes getragen. Als Trefferfläche zählen das Gesicht und der Kopf. „Es geht uns aber nicht darum, dass wir den anderen verletzen wollen. Ich würde sogar sagen, dass eine Mensur dann gut war, wenn das Gefecht so regelkonform war, dass kein Beteiligter etwas abbekommen hat“, sagt Jan.
In Jena haben sich die schlagenden Verbindungen zum Jenenser Waffenbund zusammengeschlossen. Weil es nicht üblich ist die Pflichtmensuren gegen eigene Bundesbrüder zu schlagen, wird unter allen anderen ein gleichwertiger Fechtpartner ausgewählt. Bastian findet: „Wenn man in dieser Extremsituation noch in der Lage ist sich an Regeln zu halten, zeigt das ein sehr hohes Maß an Charakterbildung und Fairness.“ Neben den pflichtschlagenden Verbindungen existieren auch solche, die fakultativ schlagen oder das Kämpfen gänzlich ablehnen. „Vor dem Hintergrund unserer christlichen Grundprinzipien kommt es für uns gar nicht in Frage zu fechten“, begründet Felix Ewald, dass er und seine Bundesbrüder beim Jenenser Wingolf nicht-schlagend sind.

Alte Hohe Dame

Aktuell bestehen in Jena zwei Studentinnen-Bünde. In ihren Strukturen sind sie den männlichen Vorbildern trotzdem ziemlich ähnlich. „Bei uns heißen die Status Fähe, Dame und Hohe Dame“, erläutert Nadine Pisarski von der 2002 gegründeten akademischen Damenverbindung Amazonia. „Damals haben sich drei Mädels zusammengeschlossen und wollten eine eigene Verbindung gründen, weil sie die der Herren kennengelernt hatten“, erzählt sie. Während der Recherche hätten sie damals festgestellt, dass es studentische Damenbünde schon seit etwa 100 Jahren gibt. „Unsere Gründungsdamen haben dann Statute und Regelwerke gewälzt und sich überlegt, was in unseren stehen soll. Sicher haben wir da gewisse Traditionen übernommen.“ Dabei haben sie in ihrer Satzung vermerkt, dass nur Frauen aufgenommen werden dürfen. Für Nadine ist dies die beste Form: „Ich glaube, dass es in gemischten Verbindungen ganz oft zu Konflikten kommt. Dann ist eine mit einem zusammen und dann doch nicht mehr. Das gibt in der Regel Probleme.“ Mit dieser Einstellung ist sie unter Jenaer Verbindungsmitgliedern, egal welcher Form sie angehören, nicht allein. Es gibt schlicht und ergreifend keine, die beiden Geschlechtern offen steht. Christopher spricht von der „wahren Freundschaft unter Männern“. Er empfindet die Gemeinschaft als weniger anfällig für Spannungen, gerade auf der emotionalen Ebene: „Ich bin davon überzeugt, dass keine Frauen aufgenommen werden sollten. Trotzdem würde ich mich nicht als frauenfeindlich bezeichnen. Historisch gesehen sind studentische Verbindungen männlich.“
Mettele hat sich mit dem Männlichkeitsbild in Burschenschaften beschäftigt. Sie führt es auf den Entstehungsprozess zurück: „Die Urburschenschaft gründete sich 1815 und war quasi einer der wichtigsten Katalysatoren für die deutsche Nationalbewegung. Die Vorstellung ergibt sich aus der Verbindung von Männlichkeit, Wehrhaftigkeit und Staatsbürgerlichkeit.“ Weil sie sich 1813/14 am Kampf für das Vaterland beteiligten und bereit waren, dafür zu sterben, beanspruchten sie das Recht an der politischen Gemeinde und am Staat teilzunehmen. Zumindest im 19. Jahrhundert seien Frauen darum zu Randfiguren der entstehenden Nationalbildung geworden.
Und auch heutzutage sei bei den Frauen in diesen Kreisen dieses Bild vorherrschend. „Das heißt ja nicht, dass sie passive Mäuschen sind. Aber die Grundlage ist eben ein komplementäres Geschlechtermodell: Frauen sind zuständig für das Caritative, Fürsorgliche. Sie tragen gewissermaßen das Hausfrauendasein in die öffentliche Arena.“ Oft hat das auch etwas damit zu tun, dass in konservativen Kreisen das Bild vorherrscht, Frauen könnten und sollten nicht mit Waffen umgehen. „Eine Frau mit einem Schmiss, das finde ich einfach nicht schön“, hört man nicht selten.

Foto: Maximilian Gertler

Foto: Maximilian Gertler

Neben dem Fechten hebt Mettele noch andere „männliche Rituale“, wie den hohen Alkoholkonsum, der für Frauen dieser Gründungsphase schlicht und ergreifend unschicklich war. Auch der raue Umgangston und die Existenz derber „Herrenwitze“ seien Zeichen einer maskulin geprägten Lebenswelt. Die Frau als das vermeintlich „Zarte“ könne in diese Struktur gar nicht integriert werden. Mettele ist der Meinung, dass die Mitglieder heutiger Verbindungen „gar nicht in einer solchen wären, wenn sie dieses Frauenbild nicht übernehmen würden.“
Lars Peter Engels, Mitglied der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller, sieht dieses Vorgehen auch als Schutz der Gemeinschaft: „Es kann sich ja jeder vorstellen, was passiert, wenn man in eine Gruppe
von 20 Männern zwischen 19 und 26 zwei junge Frauen tut.“ Es geht ihm nicht um die Ausgrenzung der Frauen, doch seiner Erfahrung nach sind viele Verbindungen gescheitert, die sich diesem zeitgemäßen Schritt gestellt haben. „Ein Vorwurf, den ich auch von Freundinnen regelmäßig höre, ist, dass wir im Endeffekt zur Erhaltung der aktuellen Struktur und Diskriminierung von Frauen beitragen, weil wir Frauen aus unseren ,tollen‘ Netzwerken und Seilschaften ausschließen würden.“ Dem widerspricht er vehement: „Nur weil wir Frauen nicht aufnehmen, exkludieren wir sie nicht aus unseren sozialen Netzwerken“, sagt Lars: „Damit würden wir uns selbst nur begrenzen.“ Neben ihrem antiquierten Rollenverständnis ist es vor allem ihr Vaterlandsbegriff, der den Verbindungen vorgehalten wird. Aber genau in diesem Punkt unterscheiden sie sich.

Deutsche Abstammung

Da sich die Burschenschaften mit dem Bestreben nach der Gründung eines einheitlichen deutschen Staates 1815 konstituiert haben, ist das Konzept vom Vaterland auch heute noch in ihrem Selbstverständnis verwurzelt, was sie von anderen Bünden abhebt. Besonders Corps, die sich dem Toleranzprinzip verschrieben haben, stößt der Vorwurf, als Sammelbecken für rechtsradikales Gedankengut zu fungieren, regelmäßig auf. „Das ist ein Punkt, der uns immer wieder vorgehalten wird“, distanziert sich Corps-Mitglied Jan. In seiner Verbindung, wie auch in den meisten anderen in Jena, ist die Herkunft kein Aufnahmekriterium. Armine Lars sagt: „Wir bekennen uns einerseits zur Bundesrepublik Deutschland als Staat und andererseits zum deutschen Volk als Bekenntnisgemeinschaft.“ Damit ist ihm der Nationalstaatsgedanke viel näher als den meisten anderen Verbindungsstudenten.
Dieses Kriterium würde aber zum Beispiel einen Sohn türkischer Eltern, der sich zum deutschen Volk zugehörig fühlt, trotzdem nicht ausschließen.
Grundsätzlich schätzt auch Katharina König, Sprecherin für Antifaschismus der LINKEN, die Burschenschaften als nicht rechtsradikal ein: „Es gibt vereinzelt Leute, die nicht nur konservativ, sondern schon rechts sind. Das trifft dann aber nicht zwangsläufig auf die gesamte Burschenschaft zu.“ Die Mitglieder der Burschenschaft Germania sind jedoch dezidiert an einer „deutschen Herkunft“ der möglichen Mitglieder interessiert. Torben Braga erörtert: „Wenn jemand sich zu Deutschland bekennt und deutscher Abstammung ist, kann er bei uns aufgenommen werden.“ Ob derjenige dann aus Polen, Estland oder Russland komme, sei dann aber irrelevant. „Solche Abstammungsvoraussetzungen schaffen die Gefahr zur Blut-und-Boden-Ideologie, die für Nazis sehr einfach zu vertreten ist“, fasst König zusammen. Sie wünscht sich, dass Burschenschaften sich mehr dafür stark machen, ihre Regeln so aufzustellen, dass es Nazis erschwert wird, in diesen Bünden aktiv zu werden. Um dem zu begegnen, sind die Jenaer Burschenschaften schon um 2007 aus der Deutschen Burschenschaft (DB) ausgetreten. Der Dachverband erlebte nach der Öffnung für österreichische Burschenschaften 1971 einen Rechtsruck. Später, in den 1990er Jahren, führte ein Aufruf der NPD zu einer Eintrittswelle von Rechtsgesinnten in Burschenschaften.
Beim Versuch diese Entwicklungen aufzuhalten, war der liberalere Zweig letzten Endes erfolglos.
Aktuell gibt es wieder Bestrebungen, eine neue übergeordnete Struktur nach eigenen Vorstellungen zu konzipieren – Ziel ist ein neuer Dachverband. Veränderungen gibt es in den Studentenverbindungen also schon, sie brauchen nur viel Zeit. Damit entspricht die Vorstellung von einem konservativen Männerbund in großen Teilen der Realität. Traditionelle Werte, die Bindung an die deutsche Nation und das Hochhalten von Disziplin bilden den Kern der Verbindungsszene.
Obwohl Anknüpfungspunkte existieren, ist Rechtsextremismus darin nicht verankert. Sexismus jedoch schon. Ein dichotomes Bild von Geschlechterrollen ist fester Bestandteil des Wertekanons sowohl männlicher als auch weiblicher Studentenverbindungen.
* Name der Redaktion bekannt.

 

Allgemein

Eine Antwort auf Voller Konservierungsstoffe

  • Aha, und Frau Piesarski schließt also also, dass es innerhalb von gleichgeschlechtlichen Verbindungen auch gleichgeschlechtliche Liebe, Beziehung und “Drama” gibt? Konservative Heten-Einstellung von vor 100 Jahren!
    Dass die Nationalstaat-Gründung antisemitische Bücherverbrennungen auf der Wartburg beinhaltet haben, ist für die Christen und die Konservativen auch irrelevant- obwohl sie doch geschichtlich so bewandert sind?
    Diese Erklärungen hören sich für mich nur nach leeren sachlichen Thesen an, die irgendwie entschuldigen sollen, dass diese Personen eben auf nationale, konservative Deutschtümelei, Sexismus, Saufen und Rückwärtsgewandtheit stehen.

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