Zurückgedrängt, aber besser organisiert

Auffällig unauffällig – Jenas rechte Szene aktuell

Von Jan-Henrik Wiebe, Kay Abendroth, Johanne Bischoff




Blick durch den Zaun in den Hof des Braunen Hauses.Foto: Jan-Henrik Wiebe

Jena auf den Titelseiten. Jena in den Nachrichten. Jena ist, wie wir inzwischen wissen, die Geburtsstätte einer Terrorzelle, die jahrelang aus dem Untergrund morden konnte. Jetzt fragen sich einige, wie das kommen konnte. Der JG-Stadtmitte wird die Tür eingerannt, diesmal nicht von der sächsischen Polizei, sondern von zahlreichen Journalisten. Auch ein Teil der ZDF-Aspekte-Redaktion ist nach Jena gekommen, um sich mit dem deutsch-bengalischen Autor Steven Uhly aus München, der nicht so oft in den Osten der Bundesrepublik kommt, umzusehen. Der Beitrag stellt Jena als einen Ort der Angst dar, an dem sich Menschen mit Migrationshintergrund nicht frei bewegen können. Auch das Akrützel hat sich in Jena umgeschaut.
„Optisch fallen die Neonazis kaum noch auf“, erzählt Thomas Grund, Streetworker aus Winzerla. Auch bei ihm geben sich Journalisten die Klinke in die Hand. Er erzählt von den neunziger Jahren, als beispielsweise Uwe Böhnhardt mit SS-Uniform durch Winzerla lief – heute kaum noch vorstellbar. Ihr Auftreten hat sich seit dieser Zeit deutlich gewandelt. Nur noch vereinzelt sind sie mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln zu sehen. Stattdessen tragen sie jetzt Marken wie Thor Steinar, Consdaple und Ansgar Aryan. Letztere kommt aus dem thüringischen Oberhof und wird ausschließlich in einschlägigen Läden der rechten Szene und über das Internet vertrieben: Mode von Nazis für Nazis.

Entschlüsseln und enttarnen

Zu ihren Zahlencodes gehören 88 für „Heil Hitler“, 18 für „Adolf Hitler“ und 28 für „Blood and Honour“, eine verbotene internationale Neonazi-Vereinigung. Die Zahlen stehen für die jeweiligen Buchstaben im Alphabet. Weit verbreitet auf Kleidungsstücken sind auch Runen oder Namen von SS-Divisionen.
„Viel hat sich geändert“, fährt Streetworker Grund fort, vor allem die Jugendkulturen haben sich gewandelt. Sie seien vielfältiger geworden. Und: „Linke haben schon lange keine Probleme mehr, außer sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber das kann überall in Deutschland passieren.“ Er arbeitet auch mit Jugendlichen, die im rechten Sumpf zu versinken drohen. Diese wenden sich anfänglich meist mit alltäglichen Problemen wie Arbeitslosigkeit oder Drogen an ihn, danach – wenn eine Vertrauensbasis geschaffen wurde – werde die Ideologie thematisiert. Mit den gefestigten Kadern werde jedoch nicht gesprochen, beschreibt Grund seine Arbeit.
Bei einem aufmerksamen Spaziergang durch die Stadt fallen schnell Schmierereien wie „FN Jena“ oder „FS Jena“ auf: kleine, sogenannte Stencils, wie sie in der Graffiti-Szene heißen. Mit einer Schablone sind sie schnell gesprüht, aber schwierig wieder wegzubekommen. Auch an Laternenpfählen und Mülltonnen sieht man ihre Spuren.
Erst vor wenigen Wochen waren in Lobeda-West wieder mehrere Schablonen-Sprühereien zu sehen, die Deutschland in den Grenzen von 1937 zeigten und mit dem Spruch „Deutschland ist größer als die BRD“ versehen waren. Verantwortlich dafür ist offenbar das „Freie Netz“ (FN), welches daneben seine Internetadresse sprayte. Von langer Dauer war die Propaganda allerdings nicht. Unbekannte übersprühten sie und ein paar Tage später wurde die Wand neu gestrichen – in hellbraun.
Das „Freie Netz“ ist eine relativ neue Organisation, die sich im Internet zusammenfindet und propagiert, Graffiti und Stencils sprayt sowie meist spontane Demonstrationen und Fackelmärsche organisiert. Das FN ist unter anderem in Jena, Kahla und Saalfeld vertreten. Die sogenannten Freien Kräfte organisieren sich aber auch über Bundesländergrenzen hinweg. Seit Ende Oktober ist es auf der Webseite jedoch still geworden. Mit dem FN Jena in Verbindung gebracht werden auch Ralf Wohlleben und André Kapke. Wohlleben war stellvertretender Landesvorsitzender und Pressesprecher der NPD Thüringen. Am Morgen des 24. November wurde Wohllebens Haus in Jena-Ost von der Polizei durchsucht. Festgenommen wurde er nicht. Gegenüber dem Thüringer Anzeiger gab er an, mit dem Neonazi-Trio Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt keinen Kontakt gehabt zu haben. Laut Katharina König, Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke und selbst auch antifaschistisch engagiert, seien die beiden in Jena geborenen Neonazis Wohlleben und Kapke inzwischen nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Sie vermutet aber, dass die beiden weiterhin im Hintergrund agieren. Vor nicht allzu langer Zeit bewohnte Kapke das Braune Haus in Alt-Lobeda.

Die Gartenparty ist vorbei

Dort fanden bis August 2009 regelmäßig Kameradschaftsabende, Konzerte, Lagerfeuer und Schulungen statt. Versiegelt und geräumt wurde das Haus wegen Baufälligkeit und nicht genehmigter Bautätigkeiten. Seitdem darf das Braune Haus nicht mehr betreten werden. Sowohl Streetworker Grund als auch seine Kollegen aus Lobeda erzählen, dass die Versuche der Rechten , unpolitische Jugendliche auf der Straße anzuwerben, wesentlich weniger geworden seien. Über den Sommer stand ein Militärzelt aus NVA-Beständen im Garten, das inzwischen wieder abgebaut wurde. Neben einem Dixi-Klo im Garten stehen eine kreisförmige Bank um eine Feuerstelle und ein Fahnenmast, an dem eine schwarz-weiß-rote Flagge einsam im Wind weht. Diese Farben waren die offiziellen „Reichsfarben“ von 1933 bis 1945.
Das Haus wurde im August 2002 durch einen Mietkauf-Vertrag von Maximilian Lemke übernommen und könnte damit im nächsten Jahr für einen symbolischen Euro sein Eigentum werden. Dann müssten die Rechten keine Miete mehr zahlen und könnten das gesparte Geld in die Renovierung stecken.
Das Haus war Versammlungsort mehrerer Organisationen: Neben der NPD und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ traf sich dort der „Nationale Widerstand Jena“. Letzterer war auch Mitglied im „Thüringer Heimatschutz“ (THS). Der Dachverband sei zwar nicht aufgelöst worden, aber fast alle seine ehemaligen Mitglieder seien jetzt im FN aktiv. Seitdem bekannt wurde, dass Tino Brandt aus Rudolstadt, der das Netzwerk mitaufbaute, ein V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes ist, wurden die Aktivitäten weniger und das FN gründete sich als eine Art Nachfolgeorganisation.
Der Einfluss des THS reichte damals bis in die Burschenschaftsszene. Nachdem rechtsextreme Mitglieder von der Burschenschaft Jenensia ausgeschlossen wurden, gründeten diese die Normannia. Bei einer Veranstaltung stellten Mitglieder des THS den Saalschutz. Mit dabei waren André Kapke und Tino Brandt. Als das Verbindungshaus wiederholt Angriffen Unbekannter ausgesetzt war, kam die Kündigung des Vermieters.
Bei den Wählern in Jena können die Rechten kaum noch punkten. Weniger als zwei Prozent wählten die NPD in Jena-Stadt bei der Landtagswahl 2009. Dies war das schlechteste Ergebnis der Rechten in ganz Thüringen. „Der Kreisverband Jena-Saale-Holzlandkreis umfasst circa 25 Mitglieder“, sagt der Pressesprecher der NPD-Thüringen, Patrick Wieschke.
Laut Wischke distanziere sich die NDP von den Taten, die der Nazi-Terrorgruppe zugeschrieben werden, mit dem Hinweis, dass die drei nie parteipolitisch aktiv gewesen seien. „Das sind Berufskriminelle, die mit unserer politischen Linie überhaupt nichts gemein haben.“ Er selbst wurde 2002 vom Landgericht Mühlhausen zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten wegen Anstiftung zu einem Anschlag auf einen türkischen Imbiss in Eisenach verurteilt.
Kriminell auffällig wurden Neonazis auch in Jena. Zu dem aktuellen Fall der Böhnhardt-Zschäpe-Mundlos-Gruppe darf sich die Polizei nicht mehr äußern: „Befehl von oben“, sagt die Pressesprecherin Steffi Kopp. In einer offiziellen Statistik der Polizei wird aber deutlich, wie präsent die rechte Gewalt trotz sinkender Zahlen noch ist. Die Tabelle erfasst Straftaten in den Landkreisen Jena, Weimar, Weimarer Land und Saale-Holzland in einer gemeinsamen Statistik. So gab es im Jahr 2010 in acht Fällen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung, im Jahr davor waren es noch 19. Auch die Zahlen der Propagandadelikte sind von 125 auf 82 zurückgegangen. Straftaten der Volksverhetzung sind hingegen nur leicht gesunken – von 18 auf 15. Jedoch wurde erst vor wenigen Wochen ein „junger Punk übel zusammengeschlagen. Der lag sechs Tage im Krankenhaus“, erzählt Katharina König. Schon im April dieses Jahres wurden zwei Vietnamesinnen von einer Frau in der Emil-Wölk-Straße angegriffen.
Anwohner, die in der Nähe der Gaststätte Besie in Jena-Ost wohnen, berichten von Schlägereien, die regelmäßig vor dem Lokal stattfänden. Die Polizei zu rufen trauen sie sich nicht mehr. Zu viel Angst haben sie vor den Besuchern, die unübersehbar aus dem rechtsextremen Milieu kommen. Doch nicht nur hier seien Neonazis anzutreffen, auch in zwei, drei anderen Kneipen könnten sie ab und an in größeren Gruppen ihren Abend verbringen, weiß König.
Angst vor Neonazis in Jena hat Konrad Erben nicht. Er war bis August 2011 Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen, ist jetzt bei der SPD und engagiert sich gegen rechts. Aufgewachsen ist er im Winzerla der neunziger Jahre als Kind mit dunkler Hautfarbe. Dort erlebte er das volle Programm: „Von Pöbeleien über tätliche Angriffe war das relativ breit gestreut. Aber das härteste war im Prinzip der Umgang an der Schillerschule in der zweiten Klasse.“ Die Schulleitung sei passiv geblieben, sodass ihm nichts anderes als ein Schulwechsel zur Waldorfschule übrig blieb. „Ich hatte überhaupt keine Ruhe mehr. Und das nur aufgrund der Hautfarbe.“ Doch in den letzten zehn Jahren hat sich seiner Ansicht nach vieles getan. Dafür macht er vor allem die Stärkung der Zivilgesellschaft verantwortlich und auch, „dass die radikalere linke Szene einfach so stark ist, dass die Rechten da kein Land mehr sehen.“

Arbeit im Fußballumfeld top

Einen großen Anteil an einem weitgehend nazifreien Fußballstadion sieht König in der Arbeit des Fanprojektes des FC Carl Zeiss. „Zum einen ist das Fanprojekt richtig gut. Und auch die Horda-Azzuro ist einfach top“, lobt sie. „Und dann die Hintertor-Perspektive, die sich aus der Fußballfankultur heraus gegründet hat und ganz klar sagt ,Wir wollen explizit die rassistischen und antisemitischen Positionen im Fußball angehen‘.“
Ein spezifisches Problem mit Neonazis habe Jena nach Meinung von Konrad Erben nicht mehr. Was bleibt, ist der Alltagsrassismus. Dem stimmen auch die Streetworker aus Winzerla und Lobeda zu. Die Jugendlichen würden viel von ihren Eltern lernen und diese Äußerungen nicht hinterfragen.
„56 Prozent der Thüringer sind der Meinung, dass Deutschland gefährlich überfremdet ist“, zitiert Katharina König den aktuellen Thüringen-Monitor von 2011. „Und wir haben in Thüringen circa zwei Prozent Ausländeranteil. Mir würde das Angst machen.“
Dennoch sind die Erfolge in Jena vorhanden und nicht zu übersehen. Ein engagierter Oberbürgermeister und viele Einwohner der Stadt machten dies möglich. Die Neonazis konnten mit der Zeit ihre Strukturen verbessern, jedoch nicht die Straße erobern. In Angst leben die von uns befragten Migranten und ausländischen Gaststudenten in Jena nicht, dennoch berichten ein paar, die schon länger hier wohnen, von wiederholtem Rassismus im Alltag.

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