Ganz Deutschland diskutiert am Thema vorbei. Ganz Deutschland? Nein! Eine von unbeugsamen Autor:innen bevölkerte Redaktion hört nicht auf, herrschenden Diskursnarrativen Widerstand zu leisten und spricht über das, was wirklich wichtig ist: den Platzverweis!
Text von Dario Holz (Pro) und Markus Manz (Contra)
Foto von Vivien Brenk
Pro
Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte von Platzverweisen, im besten Sinne. Wären Adam und Eva nicht aus dem Paradies verbannt worden, würden heute acht Milliarden Menschen in totaler Langeweile und Selbstunwirksamkeit den Garten Eden belagern. Aber selbst der bloßen Existenz der Menschheit ging ein Platzverweis astronomischer Größe voraus: Die Auslöschung der Dinosaurier durch einen platzschaffenden Meteoriten erlaubte es uns erst, das Licht der Welt zu erblicken. Es ist also schwer zu übersehen, dass die Entstehungsgeschichte der Menschheit nur dank Platzverweisen stattfinden konnte. Das unerschöpfliche Potenzial hinter dieser Kulturtechnik wurde bereits früh erkannt und eingesetzt: Im antiken Athen verbannte man regelmäßig unliebsame oder zu mächtige Bürger:innen aus der Stadt – ganz basisdemokratisch per Votum. Später wurden Platzverweise im Qualitätsmanagement populär: beispielsweise bei der Verbannung Napoleons nach schlechter militärischer Führung. Aber so groß muss man gar nicht denken, auch im Alltäglichen erfreuen sich Platzverweise großer Beliebtheit. Endlos redende Schwiegereltern? Platzverweis! Faule Langzeitstudierende? Platzverweis! Eigenbedarf? Platzverweis! Es ist offenkundig: Ohne den Platzverweis hätten wir es nicht so weit geschafft. Schon John Lennon, der sich immer stark für den Weltfrieden einsetzte, warnte mit „Imagine there’s no Platzverweise“ vor einer Welt, in der ohne diese gelebt werden müsste. Der Platzverweis ist keine evolutionäre Sackgasse, er ist beständiger Begleiter des Fortschritts und wird uns auch in Zukunft den Weg in eine bessere Welt leiten, denn „Ein Leben ohne Platzverweis ist möglich, aber sinnlos“.
Contra
Sergio Ramos, Napoléon Bonaparte oder der Mönch von Lützerath. Unsere Promis kennen und fürchten ihn: Den guten alten Platzverweis. Eine feine Sache, würde man meinen, wenn es nur gegen die Reichen und Schönen ginge. Die bittere Realität: Auch wir – der Pöbel – sind betroffen. Anstatt sich als basierte Kulturtechnik mit emotional schlecht regulierten Männern zu begnügen, schickt der Verweis Obdachlose in die Kälte, Demonstrant:innen nach Hause und subversive Subjekte aus dem Klassenzimmer. Der Platzverweis ist ein reaktionäres Element, er ist, ich sage es ganz offen, der wichtigste Handlanger des Kapitals! Und warum ist er das genau? Erstens: Wo es drauf ankommt, ist er eine Snitch. Schon der italienische Renaissance-Dichter Dante Alighieri wusste: Der Platzverweis hat verräterische Absichten. Nach seiner Verbannung aus Florenz verarbeitete er die Begegnung mit dem Herrn Verweis in der göttlichen Komödie. Zusammen mit anderen Renegaten wie Brutus und Judas Iskariot fristet er dort ein tristes Büßerdasein im untersten Höllenkreis. Zweitens: Der Platzverweis schert sich nicht um die Folgen, er fragt nicht nach Konsens oder der individuellen Situation seiner Opfer, sondern verweist den lieben langen Tag nur munter vor sich hin. Er ist seiner Natur nach Egoman, und deshalb galt auch Bertolt Brecht: „Erst kommt der Platzverweis, dann kommt die Moral“. Drittens: Der Platzverweis liebt die bestehende Eigentumsordnung. Ihm ist egal, warum ein Raum jemandem gehört. Er muss nur wissen, dass er gerade nicht dir gehört, um dich schnurstracks vor die Tür zu schicken. Hannah Arendt ruft zum Denken ohne Geländer auf, was auch nur eine hübsche Art ist zu sagen, dass der Platzverweis gehen muss. Friede den Plätzen, Krieg den Verweisen!
Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 452, November 2025

