Dominas, Eierköpfe und Reinigungskräfte

“Turandot” und “Bajazzo” am Nationaltheater in Weimar

Von Johannes Weiß

Foto: DNT/Anke Neugebauer

Einfallsreich ist sie ja, das muss man Lydia Steier zugestehen. Für die erste Überraschung sorgte die Nachwuchsregisseurin bereits mit der Entscheidung, Ferruccio Busonis eher unbekannte „Turandot“-Oper zusammen mit dem etablierten „Bajazzo“ Ruggero Leoncavallos aufzuführen. Das gewohnte, ja fast schon kanonisierte Gespann eines solchen Doppelabends bildet der „Bajazzo“ nämlich mit Pietro Mascagnis Einakter „Cavalleria rusticana“. Statt dessen sieht der Zuschauer in Weimar seit Mitte September nun also eine zweite „Turandot“ – neben der wesentlich populäreren Fassung Puccinis in der überzeugenden Inszenierung von Andrea Moses.

Auf den ersten Blick scheint Steier auf ähnlich sinnenfrohe Weise wie Moses mit der Sage von der chinesischen Prinzessin umzugehen, die allen Brautwerbern drei Fragen stellt und falsche Antworten mit dem sofortigen Tod bestraft. Der kaiserliche Hof wird zu einem Kuriositätenkabinett voll illustrer Gestalten: Da sind etwa die in bunte Röcke gekleideten Eunuchen unter ihrem androgynen Anführer Truffaldino (Frieder Aurich); durchnummerierte „Doktoren“, die im wörtlichen Sinne wie Eierköpfe wirken; jede Menge weiß und schwarz geschminkte Clownsgestalten; abgeschlagene Köpfe, die aus den Treppenstufen hervorragen und eifrig mitsingen. Fette Kartoffelchips-mampfende Besucher verfolgen neugierig die Geschehnisse, auch ein kleinwüchsiger Diener, eine Domina mit menschlichem Haustier und später sogar eine obskure Gestalt im Zauberrettich-Kostüm fehlen nicht. Über allem thront der Kaiser Altoum (Renatus Mészár) mit den beiden Ministern Pantalone (Philipp Meierhöfer) und Tartaglia (Ji-Su Park), allesamt knollennasige Glatzköpfe, die auf hohen, von ihren langen schwarzen Mänteln verborgenen Gestellen stehen und von halbnackten goldenen Jünglingen durch die Gegend geschoben werden.

Das alles mag nett anzusehen sein, doch irgendwann stellt sich doch die Frage, was denn nun eigentlich dahintersteckt. Und spätestens da wird die bunte Szenerie zur kargen Wüstenlandschaft. Zugegeben, auch ohne Eunuchenchor ließe sich kaum übersehen, dass es hier weitgehend um ein Spiel mit den Geschlechterrollen geht: Der hohe Treppenaufgang im kaiserlichen Palast entpuppt sich als überdimensionaler Damenschuh, die Sklavin Adelma (Janine Metzner), im 20er-Jahre-Look mit Anzug und Zigarettenspitze, macht sich an ihre Herrin Turandot (Sonja Mühleck) heran; diese wiederum peitscht und prügelt in ihrem unkontrollierten Männerhass auf einen am Boden liegenden Untergebenen ein.

Das Happy End löst schließlich alle Differenzen in eine bejubelte Hochzeit mit dem draufgängerischen Prinzen Kalaf (Thomas Piffka) auf. Mit dem anschaulichen In-Szene-Setzen des Geschlechterkampfs hat Steier sicherlich einen angemessenen und vielversprechenden Zugang zu Busonis Oper gefunden; doch beschränkt sich das Regiekonzept letztlich auf Andeutungen und Zitate, hinter denen sich wenig wirklich Aussagekräftiges, wenig Zwingendes verbirgt.

Nach diesem farbenfrohen Wirbel schillernder Gestalten wird der nun folgende „Bajazzo“ um einiges konkreter: In einer langen Schaufensterfront sind Weihnachtsartikel, Kleider und ein Schwarz-Weiß-Fernseher zu sehen, der eine Teleshopping-Sendung in Endlosschleife zeigt. Ein mit Clownsemblem geschmücktes Schild verkündet: „Pagliaccios, your good friend“. Die fahrende Komödiantentruppe aus Leoncavallos Original besitzt in Steiers Inszenierung also ihr eigenes Warenhaus in einer US-amerikanischen Kleinstadt der 50er-Jahre. Kinder im Baseball-Dress verfolgen den Sohn (Leander Heidel) der Unternehmerfamilie, den jedoch der auf seinen Krücken daherhinkende Mitarbeiter Tonio (Alexander Günther) im letzten Moment rettet. Bald füllt sich der Platz mit den bieder gekleideten Bürgern der Stadt, die sich an den Späßen der Belegschaft und an den vielen Luftballons erfreuen und die abendliche Weihnachtsgala kaum erwarten können. Mit diesem „Xmas spectacular“ ist übrigens nichts anderes als der eigentliche Handlungshöhepunkt gemeint, nämlich die Theatervorstellung, während der ein von Eifersucht zerfressener Schauspieler seine untreue Ehefrau auf offener Bühne ermordet. Steier macht daraus eine Warenpräsentation, in der weihnachtlich gekleidete Damen Tragetaschen mit dem Pagliaccio-Logo emporhalten und in der die Leistungsfähigkeit des angebotenen Parfüms von den Hustenanfällen der faszinierten Zuschauer unter Beweis gestellt wird.

Keine Frage, die Regisseurin setzt durchaus einfallsreich und konsequent ihre Idee um, die Handlung von einem beschaulichen Dorf Kalabriens in einen Konsumtempel der Nachkriegszeit zu verlegen. Jetzt müsste man nur noch wissen, warum eigentlich. Neue Sichtweisen auf das Stück eröffnet der gezwungen wirkende Schauplatzwechsel jedenfalls nicht. Ebensowenig der Umstand, dass der Kaufhaus-Besitzer Canio (Pieter Roux) im Kostüm des Weihnachtsmanns erscheint und am Ende seine Gattin Nedda (Jana Havrana) mit einer Plastiktüte erstickt. Deren Geliebter Silvio (Uwe Schenker-Primus), hier eine tätowierte Reinigungskraft, wird hingegen gemeinsam mit einem unbeteiligten Zuschauer von Canio niedergeschossen. „La commedia è finita!“

Es bleibt wohl dabei, dass die Kombination der beiden Opern aus dem Dunstkreis der Commedia dell’arte die interessanteste Neuerung des Abends ist. Doch für alle Musikfreunde gibt es auch eine gute Nachricht: Die Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Martin Hoff zeigt zusammen mit Chor und Ensemble eine beeindruckende Leistung, und da kein nennenswertes Regiekonzept vorhanden ist, steht einem ungestörten Genuss nichts im Wege.

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