Ende der Einsamkeit?

Kann man Einsamkeit durch Technologie besiegen? Was passiert, wenn eine ganze Generation mit Chatbots aufwächst?

Text von Stephan Lock
Grafik von Google Gemini (KI-generiert)

Menschen wollen einander nahe sein – das ist ein Grundbedürfnis. Durch die Flut an Messenger-Apps, Kommunikationssoftware und Foren, ist die Gesellschaft schon längst an dem Punkt angelangt, wo Technologie aus dem sozialen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Unternehmen, die soziale Technologien bereitstellen, miteinander im Wettbewerb um die Kunden stehen. Um langfristig auf dem Markt zu überleben, müssen sie dabei gewinnorientiert wirtschaften.  Studienergebnisse deuten darauf hin, dass jegliche Art der Nutzung digitaler Produkte durch Jugendliche mit einem Anstieg von Einsamkeitsgefühlen einhergehen kann – ganz gleich, ob aktiv interagiert oder nur passiv konsumiert wird. Insofern kann das Versprechen von Anwendungen wie Tinder und Facebook zwar “Verbindung” lauten, allerdings kann dies auch Vereinsamung bedeuten. Je nach Art des Geschäftsmodells wird das Konzept Einsamkeit monetarisiert, mal auf eine mehr, mal auf eine weniger ethische Art und Weise.

Die wahren Entscheider

Die Annahme, dass der Wettbewerb die Durchsetzung von Technologien von vorne bis hinten regelt, greift zu kurz, wenn man nur die Entscheider und die älteren Bevölkerungsschichten als Nachfrager berücksichtigt. Einen wichtigen Faktor für die langfristige Etablierung sozialer Technologien stellen Kinder dar.

Viele Fragestellungen um neue Technologien, die Erwachsene beschäftigen, sind für viele Jugendliche, und insbesondere Kinder, kein Fokuspunkt. Vielmehr liegt es in ihrer Natur, Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind, und lieber direkt auszuprobieren. Wenn eine Technologie es schafft, von Kindern adoptiert zu werden, dann wird diese zur neuen Normalität, weil eine ganze Generation damit aufwächst. 

Bereits aus Studien zum 20. Jahrhundert geht hervor, dass im zeitlichen Verlauf die Menge und Sendungslänge von an Kinder gerichteten Produktionen stieg. Dies lag daran, dass die Kinder bereits das Fernsehen in ihren Alltag aufgenommen hatten, sodass erkannt wurde, welches Potenzial die Produktion von speziell an Kinder gerichteten Sendungen bieten würde. Im Falle sozialer Medien eroberten Teenager die Plattformen für sich, noch bevor die Risiken der Nutzung ernsthaft zur Debatte standen.

Aufwachsen mit KI

Die nächste Stufe sind Chatbots. Sie werden immer besser darin, menschliche Nähe zu simulieren. Im Vergleich zu früheren digitalen Technologien werden Chatbots zunehmend besser darin, das Gefühl einer echten sozialen Interaktion vorzutäuschen. Gleichzeitig sind sie geduldiger, immer verfügbar und widersprechen nicht. Erste Studien und Nutzungsdaten zeigen, dass bereits heute ein relevanter Teil von Jugendlichen regelmäßig mit KI-Companions spricht. Einige davon benutzen Chatbots, um sich mentale Unterstützung einzuholen und sprechen mit der KI über emotionale Themen.

Genau hier beginnt die Frage über Ambivalenz. Chatbots können Einsamkeit kurzfristig lindern – aber langfristig genau die Fähigkeiten verkümmern lassen, die durch echte zwischenmenschliche Konflikte erlernt werden: Frust aushalten, Empathie entwickeln, Kompromisse schließen. Zwar sind Kinder durchaus in der Lage zu erkennen, dass ein Chatbot “nicht echt” ist – jedoch nehmen sie die digitale Interaktion oft unbefangener in ihr Leben auf als Erwachsene. 

Es gibt jedoch einen Vorteil, den es bei früheren Technologien nicht gab: KI ist (noch) reine Software. Schulen können sie sperren, Eltern zum Umgang erziehen oder Webfilter setzen, Gesetzgeber Altersgrenzen verordnen – zumindest theoretisch. Die entscheidende Frage ist nicht, ob Chatbots Nähe simulieren können – das können sie bereits. Die Frage ist, ob man als Gesellschaft früh genug Grenzen ziehen sollte, bevor eine Generation groß wird, für die ein immer-zustimmender Gesprächspartner normaler ist als ein echter Streit mit dem besten Freund. Denn die Zehnjährigen von heute entscheiden gerade mit – ganz ohne böse Absicht und ganz ohne Kommission – wie menschliche Nähe morgen aussehen wird.

Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 453, November 2025


Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen