Positiv leben

Eine HIV-Infektion sieht man den Menschen nicht an, durch Medikamente sind sie nicht ansteckend. Trotzdem sind die Ängste und Vorurteile groß.

Von Tarek Barkouni

„Ich laufe doch nicht als Virenschleuder durch die Gegend“, sagt Edgar, schüttelt den Kopf und erzählt von Ärzten, die ihn nur mit Gummihandschuhen anfassen. Edgar ist einer von 84.700 HIV-positiven Menschen in Deutschland, sein Leben hängt von einer Pille ab. Gleichzeitig kämpft er mit Vorurteilen und Repressionen. Die Angst vor einer Infektion mit dem HI-Virus ist groß und das Wissen um die Krankheit gering. Menschen vermeiden Kontakt oder verweigern ihm den Handschlag, als ob er ein Schild tragen würde: Ich bin ansteckend, Vorsicht! Dass er das dank seiner Medikamente nicht ist, weiß kaum jemand.

Die Menschen haben die Bilder der achtziger und neunziger Jahre im Kopf, sagt Katrin Heinrich vom Verein AIDS-Hilfe Weimar & Ostthüringen. Zu diesem Zeitpunkt breitete sich das Virus in den westlichen Ländern aus und tötete Tausende. Die Bilder der Erkrankten waren allgegenwärtig: Eingefallene Gesichter und ausgemergelte Körper, die von den Krankheiten gezeichnet waren. Es herrschte ein Klima der Angst, insbesondere in den queeren Szenen, die besonders betroffen waren. Viele verloren Freunde, mussten hilflos zusehen, wie das Virus langsam deren Immunsystem zerstörte. In Deutschland erreichte die Infektionsrate 1986 ihren Höhepunkt. 6.000 Menschen steckten sich damals mit dem Virus an, im Jahr 2015 waren es 3.200 Neuinfektionen. Es sind heute häufig verunreinigte Spritzen für den Drogenkonsum, die für die Infektion verantwortlich sind.

Eine Infektion ist nicht heilbar, sie lässt sich nur behandeln. Erst die Entwicklung von Medikamenten Mitte der Neunziger ließ Hoffnung aufkommen. Heinrich erklärt: „Mit den heutigen Medikamenten lässt sich gut leben und auch alt werden, es gibt kaum Nebenwirkungen.“

Die sogenannte antiretrovirale Therapie senkt die Viruslast im Körper unter die Nachweisgrenze. Aids, die von der HIV-Infektion verursachte Krankheit, bricht durch die Behandlung nicht mehr aus und man ist nicht mehr ansteckend.

Seit 20 Jahren ist Edgar HIV-positiv. Bei wem er sich angesteckt hat, weiß er nicht. „Normalerweise habe ich ein Kondom benutzt, aber es gab Situationen, in denen ich ohne Kondom Sex hatte, so ist das Leben“, erinnert er sich. Die Infektion hat sein Leben erstmal nicht verändert: „Ich dachte einfach, ich lebe mein Leben so weiter. Damals wusste ich, dass ich noch einige Jahre ohne Krankheitserscheinungen habe.“ Sein damaliger Partner, eine Stütze zu der Zeit, war bereits HIV-positiv und erfuhr als einer der Ersten von Edgars Infektion.

„Die Frage, wem erzähle ich von der Infektion, beschäftigt alle“, sagt Edgar und erzählt von der Angst vor ablehnenden Reaktionen. Auch er hat zuerst abgewartet, mehr Menschen von seinem Schicksal zu erzählen. Seit etwa zwei Jahren geht er aber offen mit dem Thema um, hilft anderen Infizierten sich, nachdem sie positiv getestet wurden, zu orientieren und kämpft gegen die Vorurteile der Menschen. „Ich möchte mich nicht mehr verstecken.“ Besonders schlechte Erfahrungen im Medizinbereich ärgern ihn: „Gerade die müssten es doch besser wissen!“ Er erzählt von einem Zahnarztbesuch: Mehrere Lagen Gummihandschuhe und Mundschützer hätte die Zahnarzthelferin bei einer einfachen Zahnreinigung getragen.

Man steckt sich nicht so leicht mit HIV an, erklärt Heinrich. Nur über Blut, Sperma, Vaginal- und Darmsekret wäre das möglich. Die Haut und Schleimhaut des Mundes sind robuste Schutzschilde gegen die Infektion, wenn eine der infektiösen Flüssigkeiten beispielsweise im Mund oder auf dem Körper landet. Alle anderen Körperflüssigkeiten sind schlicht ungefährlich. Rumknutschen, Fummeln und Oralsex, alles kein Problem. Beim Sex solle man trotzdem immer ein Kondom benutzen, empfiehlt sie.

Ein grundsätzliches Wissen über HIV ist bei den Menschen vorhanden und Untersuchungen zeigen, dass die Vorurteile gegenüber den Erkrankten abnehmen. Dennoch ist die Unsicherheit im Umgang immer noch groß. Mehr als die Hälfte aller HIV-positiven Menschen berichtet von Diskriminierungen. Was Menschen im alltäglichen Umgang beachten sollten? „Gar nichts“, findet Edgar, „eine Übertragung ist im Alltag ausgeschlossen.“

Heute lebt Edgar in einer Beziehung mit einem HIV-negativen Mann und kann, wegen der Medikamente, auch kondomlosen Sex haben. Sein Partner hat von der Infektion schon beim Kennenlernen erfahren. Natürlich gab es ein Gespräch über die Krankheit, die Risiken und die Behandlung. Für beide ist das Virus nicht mehr schlimmer als eine chronische Krankheit. „Im Beziehungsalltag ist das kein Thema, nur die Pille am Tisch erinnert uns manchmal daran.“

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