Anbetung der Asche / Patti Smith in der Kulturarena

von Niclas Seydack

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Neil Young, The Who, die Rolling Stones – alle sind sie da. Zumindest auf den T-Shirts der Konzertgäste. Der Blick ins Publikum macht deutlich: Heute heißt’s Halbglatze statt Undercut.

Patti Smith also, eine der Ikonen der Punk-Bewegung gibt ein Stelldichein in der diesjährigen Kulturarena. Schon der erste Song steckt die Erwartungen für gesamten Abend: Nette Country-Beats auf Zimmerlautstärke. Die Konzertgäste sind außer sich. Zumindest ein Fuß wippt bei jedem mit und einige nicken, als gäben sie zu jedem Takt ihr Einverständnis. Schließlich hat man endlich mal wieder die Kinder zu Hause gelassen und kann „abhotten“, mal so richtig „die Sau rauslassen“. Andere haben ihre Kinder einfach mitgebracht. In deren Gesichter kann man überdeutlich einzelne Silben ablesen: „Wann ist das endlich vorbei?“

Vor und nach jedem Song fordert Patti Smith den Weltfrieden, eine globale Umweltbewegung und dass alle Menschen Brüder und Schwestern werden. Das skandiert sie heute, das wollte sie sicher schon vor 40 Jahren. Patti Smith beschwört in jeder Sekunde, mit jedem Satz und jeder Bewegung die Vergangenheit herauf und widmet nahezu jedes Lied einem verstorbenen Freund. Für die habe sie sogar auf dem Jenaer Friedhof gebetet. Alles an diesem Auftritt ist, um es mit einem Wort zu sagen: altersmilde.

Klar, die Patti ist ja auch schon 68. Aber das ist auch Keith Richards und der ist vor ein paar Jahren von einer Kokosnusspalme gefallen, zieht sich noch immer alles rein, was Rausch verspricht und knallt nach jedem Konzert die Groupies. Oder macht zumindest auf der Bühne noch den Eindruck, als würde er.

Patti Smith dagegen besitzt ein Repertoire von exakt vier Moves, die sie in hypnotisch-eintöniger Art und Weise wiederholt: Verträumt die Arme heben, verträumt die Arme senken, verträumt mit den Armen einen Kreis beschreiben und winken. Winken, winken und winken – sieht ein bisschen aus wie bei der Queen.

Als Smith hinter die Bühne geht, um „ein technisches Problem“ zu beheben, singt Gitarrist Lenny Kaye und wird postwendend aus den hinteren Reihen angepöbelt: „Mach des Maul zu da! Wir wollen die Patti sehn!“ Weiter aufbegehrt wird erst als der Regen einsetzt und ein älterer Rocker verlangt, die Schirme wieder zuzuklappen – er sehe ja gar nichts mehr! Die Diskussion nebenan über die nächste Getränkerunde („Weißweinschorle oder Caipi?“) ist lauter als Smiths Klagen über die Welt. Ein Altrocker hat die Augen geschlossen. Unbekannt bleibt, ob er genießt oder eingeschlafen ist. In keinem Fall will man ihn stören, sicher schwelgt er gerade in alten Zeiten, denkt ans Hasch rauchen und freie Liebe am Strand in jenem Sommer Neunzehnhundert-Irgendwann.

Ähnlich wild geht’s auch im Fotograben zu. Nur während der ersten zwei Songs darf fotografiert werden, nur von der rechten Bühnenseite aus und immer anständig hinter der orangenen Linie bleiben – angeordnet von der „Godmother of Punk“ persönlich. Punk ist hier nur die Herrentoilette. Aufs Händewaschen wird kollektiv verzichtet, man kommt sich bei der Suche nach der Seife fast reaktionär vor.

Ausgelassen wie Vierjährige beim Midnightsale des neuen Fisherprice-Feuerwehrtrucks werden die Jenaer dann bei großer Spoken-Word Improvisationskunst: „Schiller was here – Goethe was near!“ Smith beteuert, ihren Tourmanager angefleht zu haben, wieder Station in Jena machen zu dürfen. Danke, Patti, danke. Bei einem Witz über das Gras rauchen wird gelacht, als hätte Mario Barth über Schuhe kaufen gefrotzelt. Punk-Dompteurin Patti Smith hat das Publikum vollends im Griff. Und es wird brav mitgeklatscht, im Viervierteltakt und auf Anweisung der Meisterin. Das ist Rock’n’Roll der Kategorie Maffay, Scorpions oder Heinz-Rudolf Kunze.

Der titelgegebene Song des aktuellen Albums Banga erreicht mit seinen eingängigen Refrain („Say Banga!“) die rebellische Sprengkraft der Hausfrauen-Durchhalteparole Chakka aus den frühen 00er Jahren. Und selbst ihr größter Hit Because the night klingt, als würde ihn eine Freizeitband auf dem Schützenfest covern, gelähmt von Demut vor der guten, alten Zeit.

Die 68-jährige Smith, die mittlerweile auch fotografiert, malt und Lyrikbänder herausgibt, hat sicherlich Großes geleistet für den Punk, für das Spoken-Word und sicherlich auch für die Emanzipation der Frau in der Kunst. Aber Patti Smith, 2014 in Jena – so klingt es, wenn Musik ihre Mindesthaltbarkeit schon seit langer Zeit überschritten hat.

3 Kommentare zu „Anbetung der Asche / Patti Smith in der Kulturarena“

  1. Ich hoffe du mußtest die Karte nicht bezahlen. Offenbar warst du nicht ganz freiwillig da.
    Ich war bei einem anderen Konzert, hatte einen
    Heidenspaß und sage Danke Patti und Band.

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