Eine Auseinandersetzung mit gendersensibler Sprache
Foto: Sarah Salzmann
Immer häufiger machen Frauen, Transsexuelle und jene,
die sich mit keinem der biologischen Geschlechter identifizieren, von sich reden.
Der „Fußgänger“ wird zugunsten der „zu Fuß Gehenden“ aus der Straßenverkehrsordnung verbannt
und selbst von der Bibel gibt es inzwischen eine „gerechte Ausgabe“.
Gendersensible Sprache rückt langsam, aber stetig in den Fokus der Öffentlichkeit.
Für die einen ist sie schon Pflicht, für die anderen eine Verunstaltung der deutschen Grammatik.
Mit ihrer strikten Umsetzung stehen Stura und Gleichstellungsreferat an der FSU noch immer auf einsamen Posten.
Die deutsche Sprache ist eine männliche Sprache. Wir spielen in Mannschaften, teilen brüderlich und schreiben Doktorarbeiten. Vor allem aber verwenden wir auch dann die grammatisch männliche Form, wenn eigentlich alle Geschlechter angesprochen werden sollen: das generische Maskulinum. Im Grundgesetz steht zum Beispiel: „Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“ Das gilt natürlich für Lehrerinnen genauso, schließlich steht vier Artikel davor: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Viele Feministinnen sehen diese Gleichberechtigung aber durch das generische Maskulinum gefährdet. Sie fragen, warum Frauen stillschweigend akzeptieren sollten, dass sie in der deutschen Sprache unsichtbar sind. Nur mitgemeint zu sein, das reicht ihnen nicht. Sprache beeinflusst das Denken. Wenn immer nur die männliche Form genannt wird, ist folglich das erste Bild, das im Kopf entsteht, das eines Mannes. Schreibt eine Journalistin von „Professoren“, denkt die Leserin zunächst an männliche Personen. Das, so die Argumentation, sei besonders prekär angesichts der bestehenden beruflichen Diskrepanz zwischen den Geschlechtern. Der weitaus größere Teil der Lehrstühle an deutschen Universitäten ist noch immer männlich besetzt. Durch die Sprache würden Stereotype verstärkt, was sich wiederum auf die Realität auswirke – ein Teufelskreis.
Kreativität gefragt
Feministische Sprachkritikerinnen haben vor allem zwei Ziele: Frauen in der Sprache sichtbar zu machen und eine Symmetrie zwischen den Geschlechtern herzustellen. Dafür bedienen sie sich einer Vielzahl von Methoden. Mit der Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ ist wohl jede vertraut. Diese Strategie lässt sich auch auf alle anderen einseitige Bezeichnungen anwenden. Das Problem ist nur, dass dadurch alle Texte verlängert werden, vor allem, wenn es sich um längere Aufzählungen handelt: „An dem Protest nahmen Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Politikerinnen und Politiker teil.“
Kürzer ist das generische Femininum. Wo sonst die männliche Form für beide Geschlechter steht, erfüllt diese Funktion nun die weibliche Form. Dieser Artikel zum Beispiel bedient sich letzterer Methode. Falls sich einige Feministen oder Leser in den vorangegangenen Absätzen ausgeschlossen gefühlt haben, liegt das an der Gewöhnung an die männliche Form. Der Moderator Michael Ostrowski sorgte 2006 beim
13. Eurovision Song Contest für einige Verwirrung, als er konsequent von Finalistinnen, Musikerinnen und Zuschauerinnen sprach, obwohl ebenso Männer anwesend waren. Solche Beispiele für die Verwendung des generischen Femininums sind allerdings noch rar. Wortneuschöpfungen wie „die Salzstreuerin“ sind damit aber nicht gemeint – ein Salzstreuer ist ein Gegenstand und kümmert sich wenig um Gleichberechtigung. Auch wird diese Methode selten so auf die Spitze getrieben wie in der „Gremienführerin“ des Stura, einer Infobroschüre über wichtige Institutionen der FSU, in der Prof. Dr. Klaus Dicke als „Rektorin“ betitelt wird.
Da die erste Vorgehensweise recht umständlich und die zweite sehr ungewohnt ist, wird nach Alternativen gesucht. Diese sind zahlreich, am häufigsten wird jedoch das sogenannte Binnen-I verwendet. Aus Mitarbeitern werden dann beispielsweise MitarbeiterInnen.
Die anderen Geschlechter
Inzwischen gibt es Ansätze, die sogar noch weiter gehen. Denn diejenigen, die sich mit keinem der biologischen Geschlechter identifizieren, werden in der deutschen Sprache meist nicht explizit erwähnt. Auch sie sollen durch gendersensible Schreibweisen berücksichtigt werden. Das wird durch Verwendung von Sonderzeichen wie in Student_innenrat, wie ein Teil des FSU-Stura sich inzwischen nennt, oder alternativ Student*innen versucht. Der Unterstrich bei der Gender-Gap und das Sternchen stehen dabei für die anderen Formen des sogenannten „sozialen Geschlechts“ (auf englisch: „gender“) wie zum Beispiel Transsexuelle, die es neben dem Mann-Frau-Schema auch noch gibt.
Ein Problem, das sich an dieser Stelle ergibt, ist die gesprochene Sprache. Ein Unterstrich oder ein Sternchen lassen sich genauso schwer mitsprechen wie das Binnen-I. Darum wird oft versucht, das Geschlecht komplett aus der Sprache zu nehmen. Häufig wird von „Studierenden“ gesprochen. Diese Form schließt, im Gegensatz zur Bezeichnung „Studenten“, alle Geschlechter ein. Ein Rechtsanwalt kann als Rechtsvertretung bezeichnet werden und eine Mannschaft als Gruppe. Viele Wörter sind auch von sich aus bereits neutral, wie Personen, Menschen und Kinder. Einfache Umformulierungen können ebenfalls für Neutralität sorgen. „Der Täter ist unbekannt“ wird so zu „Es ist unbekannt, wer die Tat begangen hat“.
Neben der Sichtbarmachung besteht ein weiteres Ziel in der Vermeidung geschlechtsspezifischer Beleidigungen wie „Sei doch nicht so ein Mädchen!“. Insbesondere in männlich dominierten Fachgebieten wie den Naturwissenschaften kommen „flapsige Sprüche“, wie Prof. Dr. Dorothee Haroske, Gleichstellungsbeauftragte der FSU, sie nennt, durchaus noch vor. „Früher hätte ich gesagt, solche Sprüche sind ausgestorben. Gerade durch die Debatte um Brüderle bin ich aber mit einigen Kolleginnen ins Gespräch gekommen und habe mitbekommen, dass es das doch häufiger gibt. Im Augenblick könnte ich nicht sicher sagen, dass es sich dabei um Einzelfälle handelt.“
Aber auch Redewendungen wie „seinen Mann stehen“ stützen das Vorurteil vom schwachen Geschlecht. Ein für Deutschland typisches Beispiel sprachlicher Diskriminierung ist die inzwischen – aus genau diesem Grund – kaum noch gebräuchliche Bezeichnung „Fräulein“. Ob eine Frau einen Ehemann hat oder nicht, spielt heutzutage kaum noch eine Rolle.
Theorie trifft auf Alltag
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich gendersensibel auszudrücken. Doch im Alltag zeigen sich einige Schwierig-keiten; die Theorie wird selten umgesetzt. In der Prüfungsordnung der FSU ist zwar von „Studierenden“ die Rede, schon im nächsten Absatz wird jedoch von „Kandidaten“ und „Stellvertretern“ geschrieben. Ebensowenig gendern die Campusmedien. Auf Bundesebene ist es seit dem Gleichstellungsgesetz von 2001 Vorschrift, Frauen in die Sprache aufzunehmen. Das spiegelt sich unter anderem in der neuen Straßenverkehrsordnung wider, in der nicht mehr von „Fußgängern“, sondern nur noch von „zu Fuß Gehenden“ die Rede ist. Bei Stellenanzeigen ist es schon länger Pflicht, sowohl Männer als auch Frauen zu erwähnen. Dennoch wird auf gesetzlicher Ebene nicht konsequent gegendert, wie das eingangs erwähnte Beispiel aus dem Grundgesetz zeigt.
An der Universität Jena sind es vor allem der Stura und dessen Gleichstellungsreferat, die sich um eine gendersensiblere Sprache bemühen. „Im Grunde genommen ist das eine Selbstverständlichkeit. Es ist wichtig, auch alle anzusprechen, die gemeint sind“, sagt Johannes Struzek vom Stura-Vorstand. Er sieht hier eine Vorbildfunktion des Stura gegenüber der Studierendenschaft. „Wir haben einen gesetzlichen Auftrag, die politische Bildung.“ Wer eine Sitzung des Stura besucht und konsequent im generischen Maskulinum spricht, muss mindestens mit einer Zurechtweisung rechnen.
Die Studierendenvertretung der FH ist da weniger strikt: „Wenn ich die Sitzungsleitung innehabe, versuche ich so gut wie möglich darauf zu achten. Aber ich kann nicht für den ganzen Stura sprechen, da gibt es so viele Meinungen wie Mitglieder“, erklärt Jan Köhler vom Vorstand. „Ich kenne Leute, die nervt das unglaublich. Die Hardlinertour ist in solchen Fällen vielleicht nicht unbedingt die Lösung.“ Auch die Gender-Gap in einer Sitzung zu verwenden, also „Student_innen“ zu sagen, hält er für schwierig. Es sei zwar möglich, die Lücke im Wort mitzusprechen und an dieser Stelle eine Pause zu machen, nach Jans Erfahrung führe das aber zu Verwirrung: „Ich habe das mal bei Sitzungen versucht. Am Ende meines Satzes wussten die Leute nicht mehr, wie er angefangen hat.“ Darum verwendet er eher neutrale Bezeichnungen.
Janos Schwab, Mitarbeiter im Gleichstellungsreferat des FSU-Stura, sieht das anders: „Es ist gut, wenn die Leute erst mal irritiert sind und nachfragen. So werden sie auf das Thema überhaupt aufmerksam.“ Den Kritikpunkt, gendersensible Sprache sei zu umständlich, hält er darum für unberechtigt. „Die Behauptung, etwas sei zu anstrengend, kann ich ja sonst als Totschlagargument gegen jede Veränderung in der Politik anbringen.“
Unverzichtbar oder überflüssig
Trotzdem fragen sich viele, ob es den Aufwand wert sei. Das generische Maskulinum ist so üblich, dass eine Umstellung oft schwer fällt. Auch viele Frauen fühlen sich eben doch angesprochen und stören sich nicht an der männlich ausgerichteten
Referenz. Kritikerinnen bemängeln darum, hier würden künstlich Probleme geschaffen, frei nach dem Motto: Auch du wirst diskriminiert, du weißt es nur noch nicht. Tatsächlich sitzen wohl wenige Frauen vor ihrer Tageszeitung und wundern sich, wenn von „Bürgern“ die Rede ist, ob auch sie mitgemeint seien Vermutlich liegt es daran, dass gendersensible Sprache noch nicht im Alltag angekommen ist. Im Gespräch mit den eigenen Freundinnen achtet kaum jemand darauf, ob sie eine sprachlich ausgewogene Erwähnung berücksichtigt.
Viele weibliche Studierende bezeichnen sich selbst als „Studenten“. Binnen-I und Co. wirken auf sie komisch. Bei denen, die sich länger mit gendersensibler Sprache beschäftigt haben, ist es genau umgekehrt: „Für schätzungsweise 90 Prozent der Leute, die ich kenne, hört es sich inzwischen seltsam an, wenn von ‚Studenten‘ die Rede ist“, sagt Janine Eppert vom Stura-Vorstand der FSU.
„Manche behaupten, dass durch das Gendern die ursprünglichen Probleme nicht gelöst werden könnten. Nur weil ich von Bewerber_innen spreche, ändert sich ja nichts an der beruflichen Benachteiligung von Frauen. Das muss natürlich immer in einem größeren Zusammenhang stehen. Aber die Bedeutung von Wörtern darf nicht unterschätzt werden. Zum Beispiel ist es beim Rassismus ebenso wichtig, dass ich auf meine Wortwahl achte, da schwingt bei gewissen Begriffen immer noch die ganze Unterdrückungsgeschichte mit“, meint Janos vom Gleichstellungsreferat.
Bisher ist es mit gendersensiblem Sprachgebrauch wie mit der veganen Ernährung: Eine Gruppe macht es bereits, im Mainstream ist die Bewegung hingegen noch nicht etabliert. Die einen halten ihre Ausdrucksweise für eine moralische Pflicht, die anderen reagieren bereits auf die bloße Erwähnung des Themas allergisch.
Fakt ist, dass sich gendersensible Sprache seit ihren Anfängen in den 80er Jahren immer stärker durchgesetzt hat. In viele Bereiche des Alltags, wie zum Beispiel die der Behördensprache und Webseiten, hat sie schon Einzug gehalten, auch wenn der Großteil der Bevölkerung sie (noch) nicht verwendet.
Bernadette Mittermeier