„Bis es auch der Letzte merkt“

Ein Sprachwissenschaftler über Gendern

Dr. Manfred Consten ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft. Während seines Studiums Ende der 80er Jahre gehörte Gendern zum guten Ton, heute scheint es ihm aus der Mode gekommen. Gerade deswegen freute er sich, Akrützel einige Fragen aus sprachwissenschaftlicher Sicht zu beantworten und damit das Thema wiederzubeleben.

Warum beschreiben Sie Gendern heute als aus der Mode gekommen?
Ich glaube, es gibt einen Gewöhnungseffekt. Gerade im behördlichen Sprachgebrauch wird heute kräftig gegendert. Hinzu kommt, dass ein politisch gelenkter Sprachgebrauch wahrscheinlich einigen Unbehagen bereitet, normalerweise ist das ja ein Merkmal von Diktaturen. Ansonsten hat das Thema natürlich weiterhin seine Berechtigung. Gleichheit, auch in der Vorstellung von Geschlechterrollen, ist nach wie vor nicht da. Der Zweifel liegt wohl darin, ob eine umständliche, behördliche Sprache der richtige Weg ist, daran etwas zu ändern.

Es wird häufig argumentiert, man solle sich zuerst einmal mit der Gleichstellung beschäftigen, bevor man sie in Sprache zu repräsentieren versucht.
Natürlich ist das Verhältnis von Sprache und sozialer Wirklichkeit ein bisschen ein Henne-Ei -Problem. Die gängigen Berufsbezeichnungen auf -er sind zum Beispiel ein Reflex der historischen Tatsache, dass das früher alles Männerberufe waren. Eine Möglichkeit wäre zu warten, bis sich die soziale Wirklichkeit ändert und sich das irgendwann auch auf die Sprache niederschlägt. Aber das wär vielleicht naiv. Umgekehrt gibt es den Gedanken, dass mit einem, wenn auch penetranten, Sprachgebrauch gesellschaftliches und politisches Bewusstsein verändert werden kann.

Aber in einigen Bereichen hat sich die gesellschaftliche Realität doch schon verändert, der Sprachgebrauch allerdings nicht.
Das hat mit der Eigenschaft von Sprache zu tun, dass es unmarkierte Formen gibt, die beides meinen können: Ich kann mit Katze auch einen Kater meinen. Das macht Sprache ökonomisch. Dass zum Beispiel bei Kanzlerin und Kanzler die generische Form die maskuline ist, ist damit zu erklären, dass wir im Deutschen nicht spezifische Formen bilden, indem wir etwas wegnehmen, sondern indem wir etwas anhängen. Aber auch generische Formen funktionieren nicht immer. Dann rennt der gute Wille gegen Erfordernisse der Sprachstruktur und Sprechgewohnheiten an.

Ist Gendern überhaupt für den alltäglichen Gebrauch und die Masse gedacht?
Am Anfang schon, heute vielleicht nicht mehr. Übrigens gibt es auch eine Gegenvorstellung, die sich aber nicht durchgesetzt hat: Bleiben wir doch stur dabei, alles mit der maskulinen Grundform zu bezeichnen, bis jeder verstanden hat, dass auch Frauen gemeint sind, da es vielleicht eher dem Anliegen schadet, wenn ich sprachlich immer extra markiere, ‚Da sind auch Frauen dabei‘.
Ein Argument gegen das Gendern ist, dass es den Sprachfluss beeinträchtigt. Ist das so?
Wenn es einmal vorkommt, nicht. Das Übel ist, wenn eine Kette auf die Bezeichnung folgt. „Die Prüferin/der Prüfer hat seinem/ihrem Studenten/seiner/ihrer Studentin…“ Das wird unleserlich. Wir sind es auch nicht gewöhnt, * als Platzhalter für alternative Endungen zu lesen. Darum haben solche Texte höchstens noch etwas Akzeptables für Leute, die studentische Textproduktion gewöhnt sind.

Welches ist für Sie die perfekte Form, Gender in Sprache zu repräsentieren?
Eine perfekte Lösung gibt es wohl nicht. Aber ich möchte davor warnen, das Thema der Lächerlichkeit preiszugeben. Da steckt mehr dahinter und es gibt ganz andere Ansatzpunkte.

In Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter?
Ja. Wenn zum Beispiel eine Wissenschaftlerin, alleinerziehende Mutter, ihre Tochter in zwei verschiedenen Städten in der Schule anmelden muss, weil sie selbst kurz vor Beginn des Schuljahres nicht weiß, ob die Uni ihren Vertrag verlängern wird, ist das ein geschlechtsspezifisches Karrierehindernis. Von solchen Dingen sind eben meistens Frauen betroffen, weil es wenige alleinerziehende Väter gibt. So lange es so etwas gibt, ist Gendersprache ein Luxusproblem.

Also glauben Sie nicht, dass Sprache Macht ist und die Welt verändern kann?
Man sollte die Wirkung eines politischen Sprachgebrauchs nicht unterschätzen. Beim Gendern ist es aber schwieriger. Es geht nicht darum, auf Bedeutungsebene Dinge zu definieren wie „Was ist Freiheit?“, es geht unmittelbar um die grammatische Umsetzung. Grammatische Markierungen sind sehr viel stabiler als Wortbedeutungen, die sich im politischen Diskurs relativ schnell ändern.

Welche anderen Formen gibt es denn, Frauen oder besser: Nicht-Männer in Sprache zu benachteiligen?
Ich würde, was das Diskriminierungspotential betrifft, weg vom Formalen gehen wollen. Mein alter Chef in Köln hatte mal in einer Seminarbewertung stehen, er solle, wenn es um grammatische Sachverhalte geht, nicht immer Beispiele bringen wie „Hans liest, während Maria abwäscht.“, sondern auch mal anders herum.
Das Gespräch führte Anna Zimmermann.

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