Im Altenheim nichts Neues

Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ im Deutschen Nationaltheater

Von Johannes Weiß

Der Greis ist heiß. Foto: Anke Neugebauer

Eine Überraschung erlebt der nichtsahnende Besucher des Weimarer „Don Pasquale“ bereits dann, wenn die Titelfigur zum ersten Mal den Mund aufmacht. Man singt deutsch. Zugegebenermaßen lässt sich durch den Verzicht auf die sonst übliche Übersetzung in Untertiteln der mitunter turbulente Handlungsverlauf dieser „opera buffa“ Donizettis leichter verfolgen – zumal die Sänger im Allgemeinen gut zu verstehen sind. Dennoch bleiben gewisse Zweifel übrig, ob Operntexte ähnlich wie Gedichte nicht grundsätzlich unübersetzbar seien und ob daher solch schwerwiegende Eingriffe ins Originalwerk überhaupt Sinn ergeben können. Auch in anderer Hinsicht geht die Inszenierung, die am vergangenen Samstag ihre Premiere am Deutschen Nationaltheater Weimar feierte, durchaus frei mit der Vorlage um. Das Regieteam um Roy Rallo legt einen besonderen Akzent auf die Situation des alten Menschen Don Pasquale (Damon Nestor Ploumis), der es seinem Neffen Ernesto (Uwe Stickert) noch mal richtig zeigen will und heimlich Heiratspläne schmiedet.

Die Handlung spielt hier in einem Altenheim; Pasquales guter Bekannter Doktor Malatesta (Ji-Su Park) ist der zuständige Arzt, und Norina (Heike Porstein), die Geliebte Ernestos, eine Pflegerin. Über mangelnden Service können sich die Bewohner nicht beklagen, denn Doktor Malatesta versorgt Don Pasquale nicht nur medizinisch, sondern verspricht außerdem, seine Schwester als Braut frei Haus zu liefern. Ernesto hingegen liefert ein Fernsehgerät ins Altenheim und muss bei dieser Gelegenheit entsetzt von der bevorstehenden Heirat seines Onkels sowie seiner damit verbundenen Enterbung erfahren. Pasquale tanzt indessen triumphierend mit einer Gehhilfe und erzeugt mit der Fernbedienung ein blaues Licht, um Ernestos melancholischem Klagegesang das passende Ambiente zu geben.
Doch die Intrige nimmt schon ihren Lauf: Malatestas vermeintliche Schwester, die dieser wenig später auf einer Bahre und reichlich bandagiert zu Pasquale trägt, ist in Wirklichkeit Norina. Diese gebärdet sich als schüchterne Klosterschülerin, was sie nicht daran hindert, sich schließlich in feiner Abendgarderobe und in Strapsen zu präsentieren. Der begeisterte Pasquale zögert keine Sekunde, willigt in die Heirat ein und erlebt das, wovon so mancher Ehemann ein Lied singen kann: Die Gattin verwandelt sich vom lieblichen Geschöpf zur geifernden Furie.
Ohne Widerspruch zu dulden verlangt Norina eine Rundumerneuerung des Hauses – in der Inszenierung Rallos eine Rundumerneuerung der Altenheimbewohner durch die Wunder der plastischen Chirurgie. Verjüngt, aber immer noch klapprig, geben die Insassen zu Beginn des letzten Aktes den Chor der Diener wieder, während Norina vor allem in Sachen Outfit und Oberweite geringfügige Nachbesserungen vorgenommen hat.

Viele, viele bunte Ostereier

Bis am Ende das Komplott aufgeklärt ist und Don Pasquale Ernesto und Norina doch seinen Segen gibt, geschieht noch allerlei Seltsames. Beispielsweise verteilen zwei Heimbewohner mehrere überdimensionale und farbige Ostereier auf dem Boden. Mit Hilfe des Programmheftes kann man vielleicht zur Erkenntnis kommen, dass Pasquales Name der Wortherkunft nach auf Ostern verweist und es in der Oper ja in der Tat um die Auferstehung eines Totgesagten geht, um den Versuch eines Greises, ins Leben zurückzufinden. Aber müssen sich deshalb Malatesta und Pasquale auch noch als Osterhasen verkleiden und mit Bugs-Bunny-Mimik ihren Gesang präsentieren?
Die Verlegung der Opernhandlung in ein Altenheim fokussiert, aber verengt mitunter auch den Blick auf das Wesentliche. Es gibt einige ausdrucksstarke Szenen, etwa wenn sich Pasquale unmittelbar vor der ersten Begegnung mit Norina auf der verspiegelten Rückseite der aufgehenden Türe erblickt und noch eilig frisiert. Oder auch, wenn die notdürftig verjüngten Bewohner Schwarzweiß-Portraits wie eine Erinnerung an bessere Tage vor ihr Gesicht halten.
Doch es geht auch viel verloren, wenn man den Gehalt der Oper auf einen Generationenkonflikt reduziert. Don Pasquale ist nicht nur ein alter Mann, er ist auch ein wohlhabender Hausbesitzer mit Dienerschaft, der aus diesem Grund seinem Neffen die nicht standesgemäße Heirat mit Norina zunächst verweigert. In der Inszenierung Rallos gehört ihm lediglich eine kleine Schatulle, die er ängstlich hütet und ganz am Ende Ernesto widerwillig überlässt. So entstehen auch manche Ungereimtheiten und Spannungen zwischen Text und Szene: Im Original verdoppelt Norina nach der Scheinheirat eigenmächtig den Lohn der Dienerschaft – hier kann sie eine solche Aktion nur am Altenheimpersonal vornehmen, womit sie Pasquale aber wenig ärgern dürfte. Auch Sequenzen wie das minutenlange Tanzen der Senioren zu 20er-Jahre-Musik halten die Handlung eher auf statt sie zu vertiefen.
Keine Schwäche zeigen hingegen die Gesangssolisten des Nationaltheaters, der Opernchor sowie die Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Martin Hoff. Sie machen den Besuch des „Don Pasquale“ auch für all jene lohnenswert, die in ihm mehr als ein gerontologisches Lehrstück sehen wollen.

Weitere Termine: 11., 15., 20. Februar

2 Kommentare zu „Im Altenheim nichts Neues“

  1. Herr Weiß hat die Schwächen der Inszenierung bestens aufgezeigt.Viele Gedanken, die nicht schlüssig zu Ende geführt wurden, letzlich Stückwerk, was heraus kam. Es erinnert eher an einen amerikanischen Film mit einem schlechten Schnittmeister.
    Musikalisch, und da vor allem sängerisch ist das “Bundesliga”. Allen voran der Tenor Uwe Stickert, die Stimme hell und klar,die parie voll beherrschend, Belcanto wie ich es zuletzt in Weimar von Gerhard Unger ghört habe, vor 60 Jahren. Also wer in Weimar einen Tenor mit Zukunft hören will, sollte sich beeilen.
    Und so verdattert wie die Alten da auf der Bühne sind wir noch nicht in detschland. Der Regisseur kommt ja auch aus Amerika….

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