Der gläserne Jenenser

Im Buchhandel werden Adressen von Jenaer Einwohnern verkauft

Von Franz Purucker

Widerspruchsformular mit fertigem Briefkopf auf www.stura.uni-jena.de.                               Foto: Flickr.com/Scoyoblog

Als der Student Mike Niederstraßer in der „Thalia“ zufällig auf das Buch „Jena informiert“ stieß, dachte er zunächst, es sei ein harmloses Werbebuch. Doch als er neben Unternehmenswerbung seine eigene Adresse abgedruckt fand, war er empört. Fast alle Jenaer Bürger sind in „Jena informiert“ abgedruckt – im vorderen Teil alphabetisch nach Nachnamen sortiert, im hinteren Teil nach Straßennamen geordnet. Verzeichnet ist laut Gesetz jeder, der mindestens 18 Jahre alt ist und mit Hauptwohnsitz in Jena gemeldet ist.
Stura-Mitglied Felix Tasch hält das Buch für „einen gefährlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“. Wer seine Daten in diversen Onlinecommunitys veröffentliche, habe persönlichen Einfluss darauf. Bei diesem Buch wüssten aber viele gar nicht, dass sie darin veröffentlicht seien. Markus Giebe, Vorsitzender des Jenaer Studentenbeirats, forderte die Stadt auf, die Bürger bereits bei der Anmeldung des Hauptwohnsitzes auf die Veröffentlichung ihrer Daten aufmerksam zu machen und auf die Möglichkeit eines Widerrufs hinzuweisen. Die Reaktion der Stadt auf die Forderungen des Studierendenbeirats standen zu Redaktionsschluss noch aus.

Für bedenklich hält Mike Niederstraßer, dass auch Parteien die Adressdaten jederzeit abrufen können. „Ich möchte nicht, dass die NPD meine Adresse für Wahlkampfwerbung nutzt.“ Die Adressen der Bürger kauft ein Buchverlag bei der Stadt Jena ein. Im Thüringer Meldegesetz Paragraph 32 heißt es, dass Kommunen in Thüringen verpflichtet sind, „Auskunft über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschriften der Bürger“ für „gedruckte Nachschlagewerke“ bzw. Wahlkampfwerbung zur Verfügung zu stellen.
Neu sei diese Praxis nicht, sagt Olaf Schroth, Leiter des Bürgeramts Jena: Bereits seit 1990 drucken Adressbuchverlage Anschriften von Jenaer Bürgern in derartigen Nachschlagewerken ab. Die Stadt weise in ihrem Amtsblatt sowie auf ihrer Internetseite auf die Möglichkeit eines Widerrufs hin. „Wir können aber unmöglich jedem Bürger einen Brief schreiben“, verteidigt er die Stadt, die letztlich die Daten an die Verlage weitergeben muss.
Verkauft wird das Buch für 16 Euro im Buchhandel sowie auf der Homepage des Heise-Adressbuch-Verlags, der das Werk zusammenstellt und druckt.
Auch in anderen Thüringer Kommunen erscheint ein solches Adressbuch, beispielsweise in Apolda, Erfurt, Gera und Gotha. Die nächste Adressausgabe von „Jena informiert“ erscheint voraussichtlich in fünf oder sechs Jahren.

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