Ich, der Attentäter

Warum ich nach dem Bomben-Fehlalarm von Jena darüber nachdenke, einen Anschlag in der Provinz auszuüben. Ein Kommentar.

Von Christoph Renner

Vor einer Woche stand ich am Eingang zur Kulturarena und wollte zum Konzert von Kakkmaddafakka, einer norwegischen Band, die in einer angstvollen Zeit lebensfrohe Musik macht. Damit passt sie nicht in den Zeitgeist, oder eben gerade.

Am Eingang wurden die Besucher von Security-Leuten gründlich gefilzt, da kam ich auf einmal auf seltsame Gedanken. Wieso sollte nicht auch hier im kleinen Jena zur Kulturarena ein Anschlag passieren? Ein paar Tage erst war der Axt-Amok in einem Regionalzug bei Würzburg her.

Der IS will uns zeigen, dass wir niemals und nirgends sicher sind. Nicht in einem Café oder Nachtclub, nicht an einer Strandpromenade, nicht in der Kirche  und nicht vor einem Amoklauf, den wir von einem Terroranschlag gar nicht mehr unterscheiden können.

Wäre so ein Anschlag in der Provinz dann nicht schlau und konsequent?

Ich wurde nervös und steckte mir erstmal eine Kippe an. Und dachte mir, dass die Schockbilder auf der Zigarettenpackung, diesmal ein aufgerissener Torso, in Plakatform eigentlich an die Eingänge von Großveranstaltungen gehängt gehörten.

Gestern Nachmittag dann die Schockmeldung; Bombendrohung am Jenaer Holzmarkt vor der Sparkasse, ein Mann wurde beobachtet, wie er ein weißes Päckchen abstellte und ging! Das Gebiet wurde weiträumig von der Polizei abgesperrt. Beim ersten Lesen der Meldung auf dem Handy dachte ich mir ganz kurz, dass meine Fünf-Minuten-Panik beim Kakkmaddafakka-Konzert vielleicht doch nicht so übertrieben gewesen war.

„Nächstes Mal sind wir dann schlauer.“

Ich liege auf meinem Bett und schaue mir ein Video von einem Reporter von „Thüringen 24“  an, das dieser auf der Facebookseite des Portals gepostet hatte. Er steht vor der Polizeiabsperrung und spricht davon, dass der Inhalt des verlassenen Pakets wahrscheinlich nichtig sei und es sich hier bestimmt um einen Fehlalarm handle, aber, und mittlerweile filmt er sich selber beim Gehen, (weil es wohl keine Bilder zerfetzter Leichen gibt), man wisse ja nie, meint er bedeutungsvoll. Er nimmt den Zuschauer mit auf seine Reise durch das Jenaer Stadtzentrum und bemerkt dramatisch, dass die Polizei „weit, weit“ abgesperrt hätte. Dann filmt er, wie ein Roboter von Spezialisten des LKA gerade versucht, das verdächtige Paket zu öffnen. Das Video dauert jetzt noch eine knappe Viertelstunde, weil der Roboter nicht gleich loslegt und irgendwann entschuldigt er sich, dass er das Video leider gleich beenden müsse, weil sein mobiler Akku daheim läge. Irgendjemand zischt ihm etwas Böses zu. „Ja du hast recht, der Akku ist jetzt wirklich nicht das Wichtigste“, sagt er und bemerkt kurz vor Schluss des Videos doch noch einmal: „Nächstes Mal sind wir dann schlauer.“ Vielleicht sei in dem ominösen Paket ja sein mobiler Akku versteckt. Lachen. Ende.

Ich frage mich, was der Spiegel aus einer Mücke machen kann.

Auf meinem Nachtschrank neben meinem Bett liegen die letzten beiden Ausgaben des „Spiegel“. Auf dem Cover eine zerborstene Scheibe mit Loch in der geographischen Form unseres Landes, und dahinter zielt einer mit der Knarre auf den Leser. Es soll um Terror gehen und die Titelzeile lautet: „Sind wir stärker?“ Wäre ich IS-Propagandist, würde ich erstmal eine Flasche westlich-dekadenten Schampus köpfen,

Auf der anderen Ausgabe prangt eine Mücke auf gelbem Untergrund: Bald tötet uns alle Zika. Ich frage mich, was der Spiegel wohl alles aus einer Mücke machen kann.

Während ich die aktuelle Spiegelausgabe in der Hand halte, frage ich mich plötzlich nicht mehr, ob wir stärker sind, sondern ob mein Bett unter mir stark genug ist, es wird nämlich nur von einem Stapel Bücher getragen. Dann kommt mir ein Gedanke: Ich habe die Angst vor Tod und Zusammenbruch bis ins Schlafzimmer getragen.

Ich wollte lange nicht einsehen, dass alles im Einsturz begriffen ist: Die EU, unsere Demokratie, unsere Kultur, mein Bett. Der Terror setzt die Untergangsangst fort, indem er zusätzlich zu  den mir übergeordneten Gebilden auch noch mein persönliches Leben bedroht.

Das Beste wird es sein, ich verübe einfach selbst ein Attentat.

Ich könnte jetzt anfangen rational zu werden, es gibt ja vieles was wahrscheinlicher ist, als einem Attentat zum Opfer zu fallen; Autounfall, herabstürzende Kokosnüsse. Aber solche Argumente ändern gar nichts. Es geht mir wie denen, die vom drohenden Untergang des Abendlandes überzeugt sind:  Ich bin für Argumente nicht mehr zugänglich.

Der einzige Ort, an dem ich mich noch sicher fühlen dürfte, wäre der Knast. Wenn ich dann ins Gefängnis komme, habe ich alles richtig gemacht. Dort brauche ich keine Angst mehr zu haben; nicht vor meinem einsturzgefährdeten Bett, nicht vor Autounfällen, nicht vor dem Untergang der Demokratie und auch nicht vor Terroranschlägen.

Um dahinzukommen, verübe ich einfach selbst ein Attentat in der Provinz und komme den lahmen IS-Strategen damit zuvor. Vielleicht konvertiere ich auch kurz davor noch zum Hinduismus,  um den Ermittlern  und der Presse die Arbeit etwas spannender zu gestalten. Ich kann nur hoffen, dass mein Kollege von Thüringen 24 dann beim Filmen genug Akku hat und ihm die anderen Reporter nicht die Show stehlen.

 

Foto: Tobias "ToMar" Maier (CC BY-SA 3.0)

Eine Antwort auf Ich, der Attentäter

  • Der Autor hat hier bei seiner Aufzählung von verschiedensten mutmaßlichen Arten eines unnatürlichen Todes zu sterben leider den Haibiss vergessen. Ich bin enttäuscht.

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