Become a Spy

Bisher standen deutsche Serien für unteres Mittelmaß, mit Deutschland 83 hat sich das geändert. Schade, dass das hier keiner sehen will.

Von Lennardt Loß

Februar 2015, Champagnerstimmung bei RTL: Die ersten beiden Folgen der neuen RTL-Serie Deutschland 83 werden auf der Berlinale gezeigt, wenige Tage später erscheint in der New York Times eine euphorische Rezension. Dann gibt die Produktionsfirma bekannt, dass Deutschland 83 auch im amerikanischen Fernsehen laufen wird, im deutschen Original mit englischen Untertiteln.
„Zum ersten Mal ist es einem deutschen Programm gelungen, die USA zu erobern“, sagte Produzent Nico Hofmann. Ein Satz wie ein Mittelfinger ins Gesicht der deutsche Fernsehkritik, die Hofmann traditionell vorwarf, deutsche Geschichte mit Kitsch und B-Klasse-Schauspielern zu inszenieren wie in Hindenburg, Rommel und Die Luftbrücke. Jetzt also: Beifall von der großen Seriennation Amerika.

Deutscher Stoff amerikanisch erzählt

Deutschland 83 erzählt vom jungen NVA-Soldaten Martin Rauch, der als Spion in die Bundeswehr geschleust wird, um Informationen über die Militärstrategie der NATO zu sammeln. Aus Martin Rauch wird Oberleutnant Moritz Stramm. Eine Coming-of-Age-Geschichte als deutsch-deutscher Agententhriller, dazu 1980er-Playlist mit Nenas 99 Luftballons und New Orders  Blue Monday.
Deutsch-deutsche Geschichte als Serie erzählt, das klingt nach langen Kamerafahrten, noch längeren Sprechpausen und larmoyanter Klaviermusik. Deutschland 83 befreit sich davon, vergisst snobistischen Realismus und verwandelt in acht Episoden den Teenager Moritz Stramm in einen Helden. Das liegt auch an der Drehbuchautorin Anna Winger – die ist Amerikanerin und ordnet historische Korrektheit einer guten Story unter. Mit Deutschland 83, so Winger, wolle sie keinen Geschichtsunterricht geben, sondern eine Geschichte erzählen. Genauso funktioniert auch Netflixs House of Cards: Niemand muss die politischen Strukturen des amerikanischen Kongress studieren, Kevin Spacey erklärt sie in zwei, drei Sätzen.
Ansonsten Hochglanz-Action: Martin Rauch muss unter Zeitdruck irgendwas irgendwo verstecken, dabei wird sein Gesicht blutig geschlagen und nebenbei hat er Sex mit attraktiven Frauen, deren Brüste gut ausgeleuchtet in die Kamera zeigen.
Es brauchte eine Amerikanerin, um dem deutschen Fernsehen modernes, schnelles Erzählen beizubringen. Nur leider will hier niemand Deutschland 83 sehen.

Keiner schaltet ein    

Dezember 2015, Katerstimmung bei RTL: Die Quoten von Deutschland 83 sind mies. Die ersten beiden Folgen sahen noch 3,2 Millionen Zuschauer, zwei Wochen später waren es die Hälfte. Das ist ein doppelter Rückschlag: Es schalten nicht nur wenige Zuschauer ein, sondern viele auch weg.
RTL ist nicht HBO. Der amerikanische Pay-Kanal HBO konnte Anfang 2000 mit Serien wie Die Sopranos und The Wire das Erzählen von Serien revolutionieren, weil die Quoten egal waren. Wer HBO-Serien schauen wollte, schloss ein Abo ab und damit hatte der Sender das Geld der Zuschauer, noch bevor diese einschalteten. RTL kann sich das nicht leisten. Umso bemerkenswerter, dass RTL Deutschland 83 nicht absetzt; die erste Staffel behält den Sendeplatz am Donnerstagabend.
Donnerstag ist der Serientag des Senders. Nur lief da bisher kein Quality-TV, sondern Alarm für Cobra 11; eine Serie, die grundlegend anders erzählt als Deutschland 83. Es ist egal, welche Folge der Zuschauer sieht, die Handlung ist selbsterklärend: Die Autobahn, zwei Kommissare und explodierende Sportwagen. RTL hat seine Zuschauer auf seichtes Popcorn-Fernsehen dressiert. Doch wer Deutschland 83 zwischendurch einschaltet, versteht nichts, denn jede Episode baut auf der vorherigen auf.
Nach seichtem Popcorn-Fernsehen klang auch die Werbekampagne für Deutschland 83. Die U-Bahnhöfe der Nation wurden mit Porträtaufnahmen von Martin Rauch zugekleistert und der Trailer kündigte ein „deutsches Serien-Event“ an. Damit Deutschland 83 ein Erfolg geworden wäre, hätte es nicht nur eine amerikanische Autorin gebraucht, sondern auch eine amerikanische Werbestrategie.

Foto: Nik Konietzny, RTL

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