Vom Untergrund ins Feuilleton

von Niclas Seydack

FAT – eine Chiffre, drei Buchstaben nur und dennoch von tausenden Fans elektronischer Musik verstanden. Freude am Tanzen, das Jenaer Musiklabel, ist die Speerspitze der Technokultur in Mitteldeutschland. Seit seiner Gründung vor 15 Jahren hat sich das Label zu einem der wichtigsten in diesem Genre entwickelt. Die vertretenen Künstler bespielen Clubs, Festivals oder dunkle Kellerdiscos auf der ganzen Welt.

Die Geschichte des Labels ist eng verwoben mit der des Kassablancas. Sie bedingen einander und stehen in gegenseitiger Abhängigkeit. „Ohne das Kassa würde es das Label nicht geben“, sagt Thomas Sperling, Mitgründer und -betreiber von Freude am Tanzen. Aber erstmal der Reihe nach.

Die Geschichte beginnt in der Walpurgisnacht 1990 mit der Gründung des Kassablanca Gleis 1 e.V., dem der damalige Stadtrat für Kultur, Dietmar Ebert, eine alte Villa im Villengang zuweist. „Wir mussten dann aber raus. Es ging dabei um Schaffung von Arbeitsplätzen und Rückführung von Eigentum“, erinnert sich Martin Dauel, der heute als Veranstaltungsorganisator im Kassablanca arbeitet. Nach mehreren freiwilligen und unfreiwilligen Umzügen findet der Verein schließlich sein heutiges Domizil, den alten Lokschuppen in der Felsenkellerstraße.
Zwei Jahre später ist der Umbau zum Kulturzentrum abgeschlossen und im selben Jahr beginnt Dauel seinen Zivildienst im Kassablanca. Schon in dieser Zeit fängt er an, Partys und Veranstaltungen zu organisieren. Auch der Stamm der Künstler, etwa Sören Bodner alias Monkey Maffia, absolviert zu dieser Zeit den Zivildienst, bevor er eine zeitlang im Kassa arbeitet.
Seither ist das Kassablanca Knotenpunkt und Ursuppe der Jenaer Subkultur. Zu ihren Protagonisten gehört auch Mitbegründer Sperling. Aus einer Papiertüte mit dem Aufdruck „Freude am Einkaufen“ wird mit Hilfe von Scanner und Photoshop „Freude am Tanzen“. Unter diesem Motto veranstaltet Sperling seit 1995 Partys.
Als die Resident-DJs, jene also, die regelmäßig im Kassablanca auflegen, beginnen, Musik zu produzieren, entsteht der Plan, den Künstlern selbst eine Plattform zu geben. Aus dem Partymotto wird der Name eines Labels und aus Organisator Sperling ein Labelgründer. Einige Monate später, im Dezember 1998, erscheint die erste Platte „Four sexy tracks“ mit einer Auflage von 350 Stück.

Das Label wächst nur langsam, in den ersten drei Jahren erscheint lediglich eine Platte pro Jahr. Zu jener Zeit endet die Veranstaltungsreihe „Gayhouse“ und durch eine neue Party ersetzt: Die „Schöne Freiheit“, die seit mittlerweile 13 Jahren läuft und zu einer festen Institution des Jenaer Nachtlebens geworden ist. Hier spielen seither, neben lokalen Talenten ohne große Namen, auch internationale Größen ihres Fachs, wie Âme oder Daniel Schwarz.
2001 macht sich Sören Bodner alias Monkey Maffia selbstständig und eröffnet im September den Plattenladen „Fatplastics“ im Schillergäßchen. Hier stehen die Platten des Labels gleichberechtigt neben denen der anderen Szenegrößen, wie Kompakt oder Bpitch. Überdies wird nun erstmals mehr als eine Platte veröffentlicht, es sind Ende des Jahres insgesamt drei.

Der Kopfnikker ist ein Hit

Ein Jahr später sind die DJs und Künstler des Labels derart gefragt, dass das Label eine eigene Booking-Agentur einrichtet, um den Andrang zu bewältigen. Indes nimmt das Schwesterlabel Musik Krause seinen Betrieb auf. „Freude am Tanzen und Musik Krause sind wie Geschwister. Da ist keiner untergeordnet, die beiden existieren nebeneinander“, erklärt Sperling. Und genau wie Geschwister sind die beiden Labels zwar getrennte, autonome Persönlichkeiten, entfernen sich hingegen nie vollends voneinander. In manchen Phasen seien die Veröffentlichungen der Labels recht ähnlich, in anderen würden sie sich klarer voneinander unterscheiden. Sperling sagt dazu: „Der Wendelin (Anm.: Wendelin Weißbach, Betreiber von Musik Krause) sagt immer, er mache schwerere Kost, die nicht so einfach sei, wie man es machen könnte.“

Bringt Musik Krause demnach die Freude am Zuhören statt der Freude am Tanzen? Nein, meint Sperling, das käme nur auf die Anlage an, auf der die Platten abgespielt werden. Er sagt: „Wenn die Anlage die Energie hat, dann ist das auch Musik für den Club.“

2003 erfahren Sperling und seine Mitstreiter erstmals, wie es sich anfühlt, einen echten Hit zu veröffentlichen. Die Tracks der Kopfnikker EP von Robag Wruhme laufen in den Clubs rauf und runter und finden sich Ende des Jahres ganz oben auf den Jahrescharts der Techno-Zeitschriften wieder. Die Veröffentlichung ist derart beliebt, dass die Erstauflage von 700 Stück bereits nach ein paar Wochen vergriffen ist. Mittlerweile gehört die EP nach diversen Nachpressungen zu den erfolgreichsten Veröffentlichungen des Labels. In den folgenden Jahren etabliert sich Freude am Tanzen mehr und mehr in der deutschen und europäischen Technolandschaft. Es wird fleißig produziert, veröffentlicht und in ganz Europa getourt. Über 40 Platten sind 2009 bereits im Katalog. Eine davon gibt dem Label nochmals einen besonderen Schub: die FAT042, „Gemini“ von Marek Hemmann. Der Track kombiniert einen klassischen Viervierteltakt mit einer simplen Saxophon-Melodie. Die ist so einprägsam, dass das „Düdü-düdüdüdüüdüüdüdü“ zum omnipräsenten Soundtrack eines ganzen Sommers wird – egal ob im Club, im Auto oder vor sich hingepfiffen in der Vorlesung. Der Erfolg der Platte ist sogar noch größer als der der Kopfnikker EP, sie steht an der Spitze sämtlicher großer Plattenläden.

Im selben Jahr erscheint die Dokumentation „Speaking in Code“ der amerikanischen Filmemacherin Amy Grill, die vor allem die Technoszene in Deutschland Ende der Nuller Jahre beleuchtet und das Label Freude am Tanzen und das Kassablanca thematisiert. Der Film zeichnet dabei das Bild einer großen Familie statt eines knallharten Business. Sperling sagt dazu: „Klar, mit genug Kapital kann man auch Dinge zum Erfolg machen. Aber ich sage: Music is the key.“ Das bedeute nicht, dass das Label kein Geld verdienen müsse, um zu überleben. Aber ihm sei es wichtiger, die einzelnen Künstler zu betreuen und es ihnen auch nicht übel zu nehmen, wenn eine Veröffentlichung hinter den kommerziellen Erwartungen zurückbliebe. Und dieses Vertrauen und familiäre Arbeitsumfeld schätzen die Künstler, die mittlerweile auch Deals bei Majorlabels unterschreiben könnten. „Das wollen die aber gar nicht“, erklärt Sperling „Denn hier können sich die Leute Zeit nehmen, sich zu entwickeln, sind geerdet und verwurzelt. Aber das muss jeder für sich selber wissen: Der schnelle Fame oder nachhaltige Kontinuität.“

Vom Untergrund ins Feuilleton

Jenas Musikszene ist nicht nur Techno und das Kassa ist mehr als ein Club. Während sich Sperling hauptsächlich um elektronische Veranstaltungen kümmert, organisiert Dauel mit anderen das Programm abseits von Basslines, Synthesizern und Plattentellern. Es gibt Konzerte, Filme, Lesungen und Diskussionsrunden, vergangenes Jahr waren es ingesamt 440 Veranstaltungen. Ein so vielseitiges Programm sei Aufgabe eines soziokulturellen Zentrums, sagt Dauel und fährt fort: „Es ist klar, dass kleine Workshops nicht die Außenwirkung haben wie die großen, regelmäßigen Techno-Partys.“ Dem stimmt auch Thomas Sperling zu: „Technoparty ist moderne Disco. Wer geht denn noch auf eine Indie-Party? Das sehen wir im Kassa selbst, das ist einfach bitter.“
Und tatsächlich, Techno ist längst keine Subkultur mehr: Das Feuilleton großer Tages- und Wochenzeitungen besprach im März die neue Platte des Hamburgers Stefan Kozalla alias DJ Koze; Paul Kalkbrenner spielt in der Berliner Wuhlheide vor 15.000 Menschen, Klangkarussell und Wankelmut +laufen in Dauerschleife im Radio.

Freude am Tanzen, die Musiker und Planer des Labels mit ihrem zentralen Anlaufpunkt und Anker, dem Kassablanca, leisten ihren Beitrag zu dieser lebendigen und pulsierenden Szene. Einer Szene, die aus ihren Kinderschuhen herausgewachsen und im gesellschaftlichen und popkulturellen Mainstream angekommen ist, ohne ihre Wurzeln vergessen zu haben.

Foto: Maximilian Gertler

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