Thoskana-Utopie

Einblicke in die schöne neue Uniwelt des Jahres 2016

von Marcus Rockoff und Louisa Reichstetter

2006 wurde die Thoska in Jena eingeführt. Damals malten sich die Akrützel-Redakteure orwellsche Schreckensszenarien aus, welche die elektronische Karte mit sich bringen könnte.

„Die Bibliothek wird in wenigen Minuten schließen,“ tönt es aus den Lautsprechern der Thulb. Es ist die letzte Möglichkeit, noch schnell einige Bücher für das Wochenende auszuleihen. Am Ausleihschalter grüßt die Bibliotheksfachkraft mit stoischer Freundlichkeit und nimmt die mitgebrachten Bücher in Empfang. Nachdem die Barcodes eingescannt wurden und „Thoska V. 6.0“ zur Identifikation vorgezeigt wurde, blickt die Bibliothekarin nochmals leicht verwundert auf ihren Bildschirm: „Sie können zwar George Orwell und Aldous Huxley bis zum 9. Dezember 2016 ausleihen, aber wozu brauchen sie diese denn? Sie studieren doch gar nicht Neusprech, sondern Astralphysik im dritten Semester.“

Seit im Oktober 2006 an der Friedrich- Schiller-Universität die Thoska eingeführt wurde, änderte sich die Verwaltung der Studierenden grundlegend. Es wurde erstmals möglich, das Leben der Studenten komplex zu erfassen und regelnd einzugreifen. Zunächst war diese Karte nur als Studentenausweis, Kopier- und Leihkarte, Nahverkehrsticket und als Bezahlmöglichkeit in den Mensen und Cafeterien gedacht.

Im Jahre 2009 wurden dann aber die Bibliotheksdatenbanken mit den Ausleihfristen aller Benutzer und die Datenbanken der Prüfungsämter als auch die des Studentensekretariates zusammengeführt. Somit bot die Thoska erstmals die Möglichkeit der Identifikation bei Prüfungszulassungen und –-verfahren, bei Fachrichtungswechseln und Exmatrikulationen. Der klassische Leistungsschein und das Studienbuch hatten ausgedient. Alle Studienleistungen waren auf der Thoska gespeichert. Die Prüfungsämter konnten durch Einlesen der Karte und deren Überprüfung die Zulassung erteilen oder verweigern.

2011 legte man alle studentenrelevanten Institutionen wie die Prüfungsämter, das Studentensekretariat, die Bibliotheksverwaltung und das Studentenwerk in einer zentralen Behörde – dem Zentralstudentenministerium (Kurz: Mini-Zen) – zusammen. Dieses wachte mit Sitz im 23. Stockwerk des Jentower peinlich genau auf die Einhaltung der Studienordnungen. Ein weiterer großer Schritt war die gleichzeitige Einführung der Lern-Denk-Plan-Digitalisierung (LDPD). Jeder Student erhält zu Semesterbeginn einen eigens für ihn elektronisch generierten Stundenplan. Dieser diktierte die Lehrveranstaltungen. Dadurch wurde der Universität möglich, die Kapazitäten besser einzuteilen und das Aufkommen von übervollen Seminaren und Vorlesungen zu unterbinden.

Ebenso entfiel das vorherige und umständliche Zulassungsverfahren zu Prüfungen. Seitdem reicht es, als Student einfach zu den vom LDPD vorgeschriebenen Prüfungen mit der Thoska anwesend zu sein. Möglich wurde dies durch die Erweiterung der Thoska um die Radio Academic Frequency Identification (RAF-ID) Technologie. Somit konnte die Anwesenheit der Studenten in den Räumen der Universität überprüft werden. Die Notwendigkeit einer Schlüsselkartenfunktion wird derzeit noch geprüft.Die Thoska war ab diesem Zeitpunkt in jeder Vorlesung, in jedem Seminar und zu jeder Prüfung mitzubringen. Die Studierenden-Service-Zentrale verschickte Verwarnungen, wenn ein Student durch eine zu geringe Anwesenheitsrate auffällig wurde.

Im Zuge der Einführung von Semestergebühren und Studienkrediten schloss die Universität Jena 2011 mit der Bundesanstalt für öffentliche Geldverschwendung (BAFÖG) eine Partnerschaft, die jedem immatrikulierten Studenten ein Konto zuwies. Über dieses Konto liefen sämtliche Transaktionen, die der Student im Rahmen seiner Universitätslaufbahn ausführt. Das lästige Aufladen der Thoska, um zu kopieren oder in der Mensa zu essen, entfiel. Zusätzlich wurde die Thoska nun auch als EC- und Payback-Karte eingesetzt, sodass der Student auch in nichtuniversitären Einrichtungen zahlen und Studentenrabatte sofort gebucht werden konnten.

Das Novum des Jahres 2013 stellte die Ernährungskontrollerfassungslistung (EKEL) dar. Dieses System wurde in die Thoska integriert und überwacht seitdem die Nahrungsaufnahme der Studenten. Bei Nährstoffdefiziten verweigerte es die Ausgabe bestimmter Speisen. Man versuchte damit, der schleichenden Gefahr von Übergewicht oder Essstörungen bei Studenten Herr zu werden.

Im Oktober 2016 wurde dann endlich die implantable Thoska (BLOOTHO) eingeführt: Als Testgeneration dienen strichcodierte Erstsemestler. Der Chip wird implantiert und siedelt sich im Unterarmgewebe an. Die Karte kann nie mehr verloren gehen. Dank dieser technologischen Innovation ist es den mobilen Finders of Bunking Individuals (FBI) von nun an möglich, einen Studenten bundesweit zu orten und notfalls gegen seinen eigenen Willen – aber natürlich nur zu seinem eigenen Besten – in eine geschwänzte Lehrveranstaltung zurückzubefördern.

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