Albrecht Schröter über die palästinensische Partnerstadt Beit Jala
Das Gespräch führten Kay Abendroth und Maria Hoffmann
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Träumt von Völkerverständigung: Jenas OberbürgermeisterFoto: Daniel Hofmann |
Seit dem 20. September 2011 hat Jena offiziell eine weitere Partnerstadt, um internationale Beziehungen zu pflegen: das palästinensische Beit Jala. Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter hat den Kontakt zusammen mit anderen stadtbekannten Gruppen durch mehrere Reisen bereits während seiner Zeit als Pfarrer aufgebaut. Das Akrützel sprach mit ihm über den langen Weg zur Partnerschaft, Friedensbemühungen und die Begegnungen zweier unsicherer Völker.
Wie ist die Beziehung zu Beit Jala entstanden?
Im Jahr 1995, bei der zweiten Reise, sind wir auch nach Beit Jala gekommen, um uns dort über die Situation palästinensischer Christen und der Palästinenser insgesamt zu informieren. Nach der Reise ist der Beit-Jala-Freundeskreis entstanden, der die Verbindung gehalten hat durch den Verkauf von Schnitzwaren und die finanzielle Unterstützung eines Jungen aus dem dortigen Kinderheim. Seitdem bin ich öfter dort gewesen.
Relativ spät habe ich erfahren, dass unsere französische Partnerstadt Aubervilliers auch Partnerstadt von Beit Jala ist. So lag es nahe, 2008 eine trilaterale Beziehung herzustellen. Wir haben dann im letzten Jahr ein französisch-deutsch-palästinensisches Kulturfestival in Beit Jala organisiert. In dieser ganzen Zeit ist viel passiert an Austausch und der Bürgermeister war zweimal in Jena.
Es hat lange gedauert, bis es offiziell wurde. Welche Gründe hatte das?
Es ist wie im wahren Leben. Man kann jemanden toll finden, sich in ihn verlieben und nach drei Tagen heiraten. Man kann auch nach dem ersten Kontakt erstmal sehen, wie es miteinander geht. Dann verlobt man sich irgendwann und später heiratet man. Diese drei Stufen sehe ich auch bei den Städtepartnerschaften als notwendig an: Nach einer Kennenlernphase tritt man in eine Art Verlobungsphase ein. Das war 2008 der Fall, als wir eine Kooperationsvereinbarung zwischen Aubervilliers, Beit Jala und uns unterschrieben haben. Diesen Vertrag haben wir mit Leben erfüllt und daraus hat sich der Partnerschaftsvertrag entwickelt – als Eheschließung sozusagen. Ich habe auch mit anderen palästinensischen Städten guten Kontakt, aber das war die erste Liebe.
Es soll noch eine israelische Stadt hinzukommen. Bestehen da auch schon länger Kontakte?
Wir sind ganz intensiv am Suchen, das ist mir auch wirklich ein Herzensanliegen. Wir suchen allerdings mit Aubervilliers zusammen, weil es unser Traum ist – und das wäre, glaube ich, etwas ganz Einzigartiges – eine vierseitige Partnerschaft zu haben, wo zwei europäische mit zwei Partnern aus Nahost zusammenarbeiten. Da sind wir noch in Gesprächen.
Wie wird die palästinensische Seite bei der Auswahl mit einbezogen?
Die palästinensischen Partner wissen von diesem Vorhaben. Sie gehen grundsätzlich mit, aber die palästinensische Seite ist aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Besatzungspolitik der Meinung, dass man eine Stadt finden muss, die sich ganz für Frieden einsetzt, und die sich auch von Handlungen distanziert, die die Menschenwürde der Palästinenser verletzen.
Kann eine zusätzliche Partnerschaft mit einer israelischen Stadt ein Baustein für den Friedensprozess sein?
Ich bin ein sehr überzeugter Kommunalpolitiker und hier in Deutschland ja auch im Präsidium des Städtetages. Mir liegt die Zusammenarbeit der Kommunen sehr am Herzen. Und mein Ziel ist, dass auch auf der Ebene der menschlichen Begegnungen und der Zusammenarbeit von Kommunen tatsächlich etwas getan wird, was den Friedensprozess unterstützt.
Man muss allerdings wissen, dass die Situation vor Ort nicht einfach ist. Es ist zum Beispiel jüdischen Israeli nicht erlaubt, ins Palästinensergebiet zu reisen. Das erschwert im Augenblick direkte Kontakte. Israel befürchtet Kidnapping. Nach den Erfahrungen mit dem Soldaten Gilad Schalit ist das auch verständlich. Ein jüdischer Israeli, der sich traut, ins Palästinensergebiet zu reisen, muss 5.000 Schekel Strafe zahlen. Das sind ungefähr 1.000 Euro. Als ich das letzte Mal in Beit Jala war, kurz vor der Rede von Abbas bei der UNO, gab es ein Friedensmeeting, an dem sich etwa 150 Israeli beteiligt haben. Die sind einfach über die Grenze gekommen – illegal. Das finde ich mutig. Es war bewegend zu sehen, dass sich die Palästinenser und die Israeli wie Freunde begegnet sind. Das heißt, dass die Abgrenzungspolitik, die von der Regierung Netanjahu betrieben wird, offensichtlich nicht von allen Menschen mitgetragen wird. Das gibt mir Hoffnung.
Beim Festakt in Beit Jala soll es eine Schweigeminute für Märtyrer gegeben haben, wozu auch Selbstmordattentäter zählen sollen. Können Sie diese Situation beschreiben?
Die war unangekündigt und völlig überraschend für mich. Und sie hat mich auch nicht sonderlich erfreut. Ich habe Verständnis dafür, dass man an Menschen denkt, die Opfer von Gewalt geworden sind. Aber eine solche Schweigeminute ist politisch schwierig, weil sich in diesem Märtyrerspektrum offensichtlich auch Menschen befinden, von denen Gewalt ausgegangen ist. Und das kann ich nicht akzeptieren. Sie müssen sich vorstellen, die Zeremonie beginnt, und plötzlich sagt der Gouverneur: „Und jetzt erheben wir uns für …“ Ich wusste im ersten Moment gar nicht, worum es geht, weil noch im Aufstehen übersetzt worden ist. Ich konnte mich eigentlich nur im Nachhinein davon distanzieren.
Aber man muss auch sagen, dass das weniger eine Sache der Partnerstadt Beit Jala war. Ich glaube, es war der Gouverneur, ein hoher Vertreter der Fatah, der dazu aufgerufen hat.
Gibt es außer gegenseitigen Besuchen andere Formen der Unterstützung? Was verspricht sich die palästinensische Seite von einer solchen Partnerschaft?
Es beginnt mit der schlichten Tatsache, dass die Menschen sich dort natürlich isoliert fühlen. Es ist sehr schwierig, auszureisen. Die Palästinenser können nicht über Tel Aviv ausreisen, sondern müssen sehr aufwendig, teuer, mit vielen Kontrollen und manchen Beschwerlichkeiten über den Jordan nach Amman fahren und von dort fliegen. Viele Menschen haben aber weder das Geld noch die Kontakte. Für die ist es zum Beispiel schon wichtig, dass man kommt. Das ist ein erster Punkt neben viele anderen wie Sport- und Kulturkontakten.
Wir wollen Infrastrukturprojekte unterstützen und haben schon 10.000 Euro für den Ausbau einer öffentlichen Bibliothek gegeben. Es gibt in Jena einen Stadtratsbeschluss, der sagt, dass wir jedes Jahr 0,02 Prozent, das sind 50.000 Euro, für Partnerschaftskontakte und konkrete Projekte aufwenden.
Als ich das letzte Mal in Beit Jala war, bin ich gefragt worden, ob man nicht ein Großprojekt mit europäischer Hilfe anschieben kann. Aus Ostjerusalem fließen pro Tag 35.000 Kubikmeter Abwasser völlig ungefiltert über den Kidronbach ins Tote Meer.
Es gibt einen Zirkel von palästinensischen und israelischen Wasseringenieuren, die dort ein Klärwerk errichten möchten. Damit soll zumindest das Wasser als Brauchwasser aufbereitet werden. Das ist ein Projekt, bei dem ich im Augenblick nach Verbündeten suche. Mit Hilfe meines Freundes Matthias Platzeck und der Unterstützung von weiteren Institutionen will ich sehen, ob man Mittel der Europäischen Union dafür ermöglichen kann.
Finden Sie es schade, dass Deutschland gegen die Mitgliedschaft Palästinas in der UN-Vollversammlung und der UNESCO gestimmt hat?
Ja, ich finde es schade, weil Deutschland nicht konsequent bleibt. Deutschland hat selbst im Rahmen des Europarates und der Europäischen Union 2009 einer Resolution zugestimmt, die zeitnah eine Zwei-Staaten-Lösung fordert. Es ist ja nichts Sittenwidriges, was man da erwartet, sondern es ist das schlichte Recht, dass ein Volk sagt: „Wir möchten in diesen Grenzen selbstbestimmt und in Frieden mit unseren Nachbarn leben.“ Wenn Organisationen wie Hamas sich gegen Israel richten, kann das nicht akzeptiert werden. Aber wir haben gesehen, dass sogar Israel erfolgreich mit Hamas verhandelt.
Ich bedaure die Ablehnung der Mitgliedschaft sehr, weil es nicht dem Frieden dient. Ich habe viele Freunde in Israel, die manchmal denken, dass es vielleicht gewollt ist, den Konflikt aufrecht zu erhalten, weil man auf diese Weise immer mehr Land nehmen kann. Manche sagen, es gehört vielleicht zum politischen Kalkül, immer einen äußeren Feind zu beschwören, damit man die internen Schwierigkeiten kittet.