Alles für die Sicherheit

Mittlerweile können Geflüchteten sämtliche Sozialleistungen gestrichen werden. Wie die Lage in Thüringen ist.

Text von Moritz Weiß

Die Lage für Asylbewerber*innen verschärft sich zunehmend. Einen weiteren Baustein bietet eine Gesetzesänderung der Ampel-Regierung aus dem letzten Jahr. Das sogenannte Sicherheitspaket sollte als Antwort auf Anschläge in Solingen und Mannheim herhalten. Die Regierung kündigte an, damit Freiheit und Sicherheit der Bevölkerung zu schützen. 
Neben einem strengeren Waffenrecht und mehr Behördenbefugnissen gab es auch neue Restriktionen im Asylrecht. Es wurde für einen großen Personenkreis ein vollständiger Ausschluss von Sozialleistungen ermöglicht.

Normalerweise soll das Asylbewerberleistungsgesetz für Asylbewerber*innen notwendige Grundleistungen bereitstellen. Für Personen mit einer negativen Dublin-Entscheidung gilt das jetzt nicht mehr. Bevor in Deutschland Asylgründe geprüft werden, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, ob ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Ist dies der Fall, wird der Asylantrag in Deutschland als unzulässig abgelehnt und eine Abschiebung in den anderen Staat angedroht. 
Für die Gruppe, die das betrifft, schreibt das Gesetz nun einen vollständigen Leistungsentzug vor, inklusive Unterkunft und Gesundheitsversorgung. Für zwei Wochen können noch sogenannte Bett-Brot-Seife-Leistungen gewährt werden. Nur für sogenannte Härtefalle auch für einen noch längeren Zeitraum.

Uneinheitliche Praxis

In der Folgezeit wurde sich von Organisationen wie Pro Asyl erhofft, dass es in der Praxis nur zu wenigen kompletten Leistungsausschlüssen kommen wird, da auch die Verwaltung verfassungsrechtliche Vorgaben einhalten müsse. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die Menschenwürde nicht migrationspolitisch relativierbar. Neben der physischen muss auch die soziokulturelle Existenz durchgehend gesichert sein. Ob das mit dem neuen Gesetz möglich ist, erscheint mehr als fraglich.
Hierzulande haben aber schon viele Landkreise Leistungen vollumfänglich eingestellt. Im Ilmkreis traf es sogar eine Familie mit Kindern. Dies rief schließlich das Jugendamt auf den Plan, das nun regelmäßige Kontrollen vornimmt. Nur durch Spenden konnte die Familie versorgt und bislang eine Inobhutnahme der Kinder durch die Behörde verhindert werden. Auch in den Unterkünften dürfen Betroffene in Thüringen häufig dann nicht mehr leben. Damit ist die weitere Schwierigkeit verbunden, das Gerichtsverfahren gegen den eigenen Leistungsausschluss ohne Adresse zu führen

Beispielsweise der Unstrut-Hainich-Kreis entzieht Sozialleistungen sogar bei Personen, für deren Asylverfahren Italien zuständig ist. Das geht sogar dem Bundesinnenministerium zu weit. In einem Rundschreiben aus dem Februar schrieb das Ministerium, dass das Gesetz bei einer Zuständigkeit von Italien und Griechenland nicht angewandt werden soll, da Überstellungen dorthin meistens scheitern würden. Dem Thüringer Landkreis scheint das egal zu sein.

In Thüringen ist die Handhabung je nach Ort aber auch sehr unterschiedlich. In Jena wurden beispielsweise noch keine Leistungskürzungen im Sinne des neuen Gesetzes vorgenommen. Auch ein Sprecher der Erfurter Stadtverwaltung teilt auf Anfrage des Akrützel mit, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen und verweist auf Gerichtsentscheidungen, wonach die Gesetzesvorschrift europarechtswidrig sei. Auch dort wird das Gesetz aktuell nicht angewandt.

Wir haben keine Bedenken

In der Tat hat der Großteil der Sozialgerichte außerhalb Thüringens im gerichtlichen Eilverfahren zunächst weiterhin Leistungen gewährt, teils mit deutlichen Worten gegen die Vorschrift. Überwiegend wird darauf abgestellt, dass das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet werden könne. In Thüringen stellt sich die Lage dagegen derzeit anders dar. Dort war bereits das Landessozialgericht am Zug, das Entscheidungen der vier Sozialgerichte des Bundeslands überprüft.  
Aus dessen Sicht bestünden keine Zweifel an der Verfassungskonformität der Totalkürzungen. Eine nähere Begründung wurde nicht geliefert. Die Sozialgerichte Thüringens dürften sich an der Entscheidung des übergeordneten Gerichts in Erfurt zunächst orientieren. 

Auch ein Sprecher der Stadt Jena verweist auf die bisherige Linie des Landessozialgerichts. Falls dieses nicht doch noch umschwenkt, werden die Behörden in Thüringen wohl erstmal so weitermachen, bis das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Das kann aber Jahre dauern.

Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 451, Oktober 2025


Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen