Vom 16. bis zum 30. Juni findet die alljährliche Wahl des Studierendenrates statt. Das Gremium kämpft mit Sichtbarkeit und Finanzen. Jahrelang dümpelte der Stura richtungslos vor sich hin.
Ist die Windflaute vorbei? Und welchen Kurs schlägt die Hochschulpolitik ein?
Studierende sind an der Universität eine Minderheit. Das klingt absurd, ist aber gar nicht mal so abwegig, schaut man mal in die Hochschulpolitik: Im Senat sitzen zum Beispiel vier Studierende gegen mehr als 30 Uni-Mitarbeitende, die ihre Gremienaktivität sogar als Arbeitszeit eintragen können. In einer gerechten Welt sähe die Repräsentation vermutlich anders aus. Für Studierende gibt es in dieser Welt aber den Stura, der für die Belange der Studierendenschaft eintreten soll – sagt zumindest das Hochschulgesetz.
Der Stura ist so wichtig, dass ihn 2024 ungefähr 17 Prozent der Studierenden gewählt haben. Sebastian Harm vom Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) sagt: „Bei einer so niedrigen Wahlbeteiligung würde man infrage stellen, ob diese den Volkswillen repräsentiert.“ Oder anders gesagt: Der Stura steckt in einer Legitimationskrise. Und das wird sich auch bei allem Optimismus nach der nächsten Wahl vom 16. bis zum 30. Juni nicht ändern. Es ist Zeit, um in den Spiegel zu blicken: Warum wählt niemand den Stura?
Binsenweisheiten
Es geht immerhin um viel Geld. Jedes Semester werden sieben Euro pro Person eingezogen, im Haushaltsjahr mehr als 200.000 Euro. In einem Punkt sind sich die linken und konservativen Listen einig. Nikolai, der für die Freiheitlich-Demokratische Liste (FDL) – bestehend aus RCDS und Liberaler Hochschulgruppe (LHG) – kandidiert, sagt es so: „Der Stura ist nicht allzu publik.“ Es fehle an Transparenz. Es müsse mehr Öffentlichkeitsarbeit gemacht, mehr erklärt werden – und noch lauter schallen: Geht wählen!
Levke von der Emanzipatorischen Linken Liste (ElLi) sagt außerdem: „Der Stura hat sich auch einfach ein bisschen entfremdet von der Studierendenschaft.“ Nikolai meint, man müsse mehr mit den Studierenden auf der Straße reden. Alles Binsenweisheiten, die sicherlich wahr sind – die man aber vor allem von bürgerlichen Parteien hört, wenn schon wieder die AfD gewonnen hat.
Aber was steckt dahinter? Studieren in Jena bedeutet, schnell wieder wegzukommen. Das deckt sich mit einer Studie von Martin Winter, der am Institut für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg forscht. Schon 2009 beschrieb er einen Mentalitätswandel unter Studierenden. Vielen sei Studieneffizienz und ein schneller Abschluss wichtiger als früher.
Das Bachelor-Master-System hat einen großen Einfluss: Wenn man nur drei Jahre für einen Abschluss im kleinen Jena verbringen muss und dann auf der ganzen Welt arbeiten kann – warum sollte man sich jetzt in dieser Stadt für etwas einsetzen oder interessieren? Und das, während das studienbegleitende Prüfen so viel Zeit kostet und zu psychischen Belastungen führt. Die Politik außerhalb der Uni ist auch schon frustrierend genug. Viele Studierende müssen sich neben ihrem Sozialleben außerdem noch um einen Nebenjob kümmern. Alle setzen eben ihre Prioritäten. Wer ein Ehrenamt und Hochschulpolitik machen will, opfert sich für das System.
Die linke Antwort auf das Legitimationsproblem ist, dieses nicht als bürokratisch zu lösende PR-Frage zu behandeln. „Ist der Stura mehr politisiert, wird er mehr wahrgenommen“, sagt Sander, der für die Jusos im Stura sitzt.
Aber was sollen diese Angelegenheiten der Studierendenschaft sein? Das Interesse des kleinen Studis auf der Straße? „Fast niemand redet wirklich offen darüber, dass es Studis gibt, die gefühlt zwei Semester auf ihr BAföG-Geld warten“, sagt Sander. Darunter würden die Studienergebnisse der Studierenden leiden. Ein schlechtes BAföG-System zementiere die Ungleichheit in unserer Gesellschaft. „Deutschland ist das europäische Land mit den schlechtesten Chancen, den Bildungsaufstieg zu schaffen“, sagt Levke.
In diesem Sinne müsste man sich auch dafür einsetzen, Langzeitstudiengebühren abzuschaffen. Diese belasteten vor allem Studierende mit Krankheiten, Jobs und Care-Arbeit. Auch die Prüfungsregularien müssten überarbeitet werden: „Warum ist es nicht möglich, sich ein, zwei Tage vor der Prüfung an- und abzumelden? Die Klausuren liegen doch nicht Tage vorher in der Schublade.“ Anstatt einer Von-Oben-Herab-Behandlung brauche es Flexibilität.
Der Gedanke: Ändert man die Rahmenbedingungen und kümmert man sich um die existenziellen Bedürfnisse der Menschen, kommen sie von allein. Diese Herangehensweise an Hochschulpolitik könnte man einen sozialen Kampf nennen – der Stura als linkes Projekt. Dafür, sind sich Jusos und ElLis einig, braucht es mehr Vernetzung. Es gäbe Gruppen wie Rechtsruck Stoppen, BAföG oder Abbruch und Geschlechtergeschichte bleibt, die sich für eine bessere Uni einsetzen würden. „In meiner Wunschvorstellung bringt der Stura ganz viele Organisationen und ihre Forderungen zusammen“, sagt Levke.
Der Stura arbeite natürlich auch jetzt schon mit außeruniversitären Gremien, auch mit den Ministerien, zusammen – aber die Hochschulpolitik müsse vom Campus aus lauter in die Welt rufen. „Alles ist Politik, und die hört nicht beim Studierendenwerk auf.“
Ein Randgruppenprojekt?
Auch die FDL hat viele Punkte in ihrem Wahlprogramm, die in diese Richtung gehen. Sie fordern auch Prüfungsabmeldung für Eltern bis kurz vor der Prüfung. Und günstige Mensapreise müssten als Lebensader für Studierende gesichert werden. Studieren müsse inklusiver und digitaler werden. Viel zu viele Dozierende würden ihre Vorlesungsfolien nicht hochladen – es brauche Live-Untertitelung. Inklusion bezieht sich auch auf die Campusgestaltung: von Leitsystem am Boden bis Braille-Schrift auf Schildern.
„In gewisser Weise hat der Stura die Aufgabe, das Leben der Studierenden angenehmer zu gestalten“, sagt Nikola von der FDL. Es soll eine digitale Thoska, mehr Wasserspender, Steckdosen und längere Bibliotheksöffnungszeiten geben. Das ist Hochschulpolitik, verstanden als Dienstleistung am Campus. Und die sollte so günstig wie möglich sein. Studieren müsse bezahlbarer sein, aber der Semesterbeitrag gehe auf 300 Euro zu. „Wir wollen schauen, ob die Höhe des Sturabeitrags in der Höhe fortbestehen sollte oder ob man den vielleicht verringern kann“, sagt Sebastian von der FDL. Der Beitrag könnte auch nur freiwillig bezahlt werden, sagt Nikolai.
Die zweite Fliege, die man mit dieser Klappe schlagen will, ist das Legitimationsproblem: „Wir möchten nicht nur unsere Wähler vertreten“, sagt Nikolai. „Wir möchten die Leute vertreten, die studieren.“ Der Stura sei momentan ein linkes Randgruppenprojekt. Es würden vor allem Projekte und Veranstaltungen unterstützt, die nicht mal von linken Menschen besucht würden.
Die FDL behauptet, die Studierendenschaft dadurch besser repräsentieren zu können. Und die besten Maßnahmen, um Öffentlichkeit herzustellen, wären günstig. „Das sind nicht teure Workshops, hohe Aufwandsentschädigungen oder viel Geld für gewisse Referate.“
Die FDL erwischt einen wunden Punkt des Stura: die Finanzen. Die Kritik daran donnert aber aus allen Richtungen. Der Vorwurf lautet: Der Stura sei ein selbst beschäftigtes Bürokratiemonster. Auch die Innenrevision der Uni, die die Finanzen des Stura prüft, kritisiert häufig, dass der Stura zu viel Geld für Personalstellen ausgebe. Eine Studierendenschaft müsse sich ehrenamtlich betätigen, sagen die bezahlten Beamten.
Aber wie sieht der Haushalt grob aus? 2,35 Euro des Semesterbeitrags von sieben Euro gehen fest an die FSRe, also ein Drittel des Gesamthaushalts. Daran wird nicht gerüttelt. Mit dem Rest bezahlt der Stura das Personal: eine Sekretärin, die Buchhaltung, Geschäftsleitung, Technik und die Referent:innen am Haus auf der Mauer. Die Kosten der Referate – wie das für Gleichstellung, Kultur und Lehramt – sehen daneben tatsächlich verschwindend gering aus. Schlüsselt man das Personal auf, kommen aber auch die Chefredaktionen des Campusradios und des Akrützel zum Vorschein. Ist das dann nur Selbstbeschäftigung?
Nein, sagt Willi Krönung, Kassenverantwortlicher und Mitglied des Stura für die Liste varphliege_ElLi, einer linken Liste. Der schlechte Ruf der Stura-Bürokratie aber kommt nicht von irgendwoher – denn sie wurde zumindest fast ein Jahrzehnt verwahrlost. Willi kann dazu eine Geschichte erzählen:
Der Stura hätte wegen einer Gesetzesänderung vor über 20 Jahren eigentlich Umsatzsteuer bezahlen müssen. Dass diese nicht gezahlt wurde, fiel jahrelang nicht einmal dem Finanzamt auf. 2019 flog es auf. Man wollte sich die Vorsteuer für eine einzelne Veranstaltung zurückholen. Durch die Steuererklärung hätte man ein Steuerplus generieren können. Der Fiskus war nun verwirrt: Warum hatte der Stura seit Jahren keine Steuererklärung abgegeben? Und warum jetzt – und nur für eine einzelne Veranstaltung? Da kann doch etwas nicht stimmen. Also wurde 2019 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung angekündigt. „Oh Junge, war das ein Spaß“, sagt Willi.
Der Stura geriet in Panik. Man rechnete in kurzer Zeit mit riesigen Nachzahlungen. Man beschloss deshalb im Wintersemester 2020, den Semesterbeitrag auf elf Euro zu erhöhen. Der damalige Uni-Präsident Walter Rosenthal, auch vom Ernst der Lage überzeugt, stimmte zu.
Mit Corona hatte aber niemand gerechnet. Die Ausgaben der FSRe und des Stura knickten dramatisch ein. Auf einmal gab es doch mehr Geld als geplant: weniger Ausgaben und Extra-Summen durch den erhöhten Semesterbeitrag. Die Umsatzsteuer musste auch nicht auf einmal zurückgezahlt werden – denn Finanzbehörden mögen es gemütlich. So entstanden riesige Rücklagen. Die Nachzahlungen für die Zeit vor 2021 sind immer noch nicht abgeschlossen.
Das Chaos ist aber noch nicht komplett: In dieser Zeit veruntreute der damalige Haushaltsverantwortliche 38.000 Euro. Außerdem wurden jahrelang keine Jahresabschlüsse angefertigt. Werden diese nicht bei den Behörden eingereicht, drohen im schlimmsten Fall Haushaltssperren.
Eigentlich gab es damals zwei feste Verwaltungsstellen. Die hinterließen jedoch eine Zettelwirtschaft und wurden letztendlich gekündigt. Willi, eine neue Buchhalterin und das mittlerweile große ehrenamtliche Finanzteam stehen immer noch vor einem Papierberg – so hoch wie die Haushaltstabellen. Vor diesem Hintergrund macht das Bild vom Bürokratiemonster sogar Sinn. Es ist aber nicht unbedingt mit sich selbst beschäftigt, sondern nur in der Reha.
In den letzten zwei Jahren hat sich das Blatt gewendet. Die FSRe geben nach Corona viel mehr Geld aus, und die Personalkosten steigen, weil nach Landestarif gezahlt werden muss. Weil es so große Rücklagen gab, verlangte die Uni die Rückkehr zu einem kleineren Semesterbeitrag. Zwischendurch waren es 8, seit dem Sommersemester 2024 sind es sieben Euro. Gleichzeitig ging in den letzten Jahren die Zahl der Studierenden zurück. Das heißt: Immer weniger Menschen bezahlen immer mehr.
Die Semesterbeiträge reichen nicht mal mehr ganz für die FSRe und die Personalkosten. Der Rest dieser Kosten – und die Aktivitäten der Referate und des Stura – werden noch durch die Rücklagen gedeckt, die aber bald aufgebraucht sein werden. „Und dann stehen wir vor dem Nichts.“
FSRe und Personal zerquetschen den Stura: Referate und die Aufwandsentschädigungen für den Vorstand und die Finanzverantwortlichen wurden für den Haushalt 2025/26 schon gekürzt. Wenn im Wintersemester die Verträge erneuert werden, geht es aber auch an das Personal. Sowohl das Akrützel als auch das Campusradio könnten dadurch in Existenznot geraten – deren Strukturen sind an eine hauptberufliche Chefredaktion gebunden. Und das alles nur, damit der Haushalt am Ende hauchdünn aufgeht.
Die Lage ist sehr ernst, doch im Schatten dieser Entwicklung wurde die Stura-Bürokratie zentralisiert. Mit einer besseren Arbeitsteilung zwischen FSRen und Verwaltung bleibt am Ende für alle mehr Zeit übrig. Das ermöglicht mehr Projekte, die direkt bei den Studierenden ankommen. Ohne die Stura-Verwaltung wäre das nicht möglich.
Mittlerweile gibt es obendrein wieder Jahresabschlüsse – jedenfalls für ein paar. Ein Normalbetrieb scheint in Sichtweite. Außerdem wurde im Stura entschieden, dass der Haushaltsentwurf mit der einfachen Mehrheit der Abgeordneten beschlossen werden darf. Damit setzte man eine Änderung des Hochschulgesetzes um, für die man vor Jahren selbst Lobbyarbeit betrieben hat. Das stärkt die Handlungsfähigkeit des Gremiums, schwächt aber die Möglichkeit zur Blockade durch politische Minderheiten.
Die Mehrheit
Das sei aber noch nicht genug. Levke, die selbst schon im Stura-Vorstand war, sagt: „Viele Sachen zu entbürokratisieren, würde allen helfen!“ Es gebe Dinge, die geregelt werden müssten – der Umfang sei aber zu groß. So könnte man neuen Mitgliedern den Einstieg erleichtern. Komplizierte Regularien würden hingegen eine Expertenstruktur schaffen, die vor allem FINTA-Personen von Hochschulpolitik abhalte. Gemessen an ihrem Anteil an der Studierendenschaft sind diese stark unterrepräsentiert. Und mehr Lockerheit helfe dabei, auf die Studierendenschaft zuzugehen.
Das Loch im Haushalt lässt sich aber nicht wegreden. Eine diskutierte Lösung ist die Erhöhung des Semesterbeitrags. Das Präsidium erlaubt diese Maßnahme jedoch erst, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind – frühestens nächstes Jahr. Wenn der Stura so erhalten werden soll, sei eine Erhöhung unumgänglich, sagt Levke. Ziel sei aber die Entbürokratisierung. „Ich glaube, ich trete niemandem zu nahe, wenn ich sage, dass die sieben Euro Semesterbeitrag nicht das Problem sind“, sagt Sander. „Auch nicht acht oder neun Euro.“ Am Ende seien die Hauptkosten des Semesterbeitrags nämlich das Semesterticket – und das beschließe der Bund.
Die FDL will hingegen jeden Taler umdrehen und seine Sinnhaftigkeit für die Studierendenschaft überprüfen. Daran ist nichts prinzipiell falsch. Wie weit die FDL mit ihrem Kürzungstraum kommt, bleibt indes abzuwarten. Die Liste wird wahrscheinlich nicht mit einer Mehrheit rechnen können. Zumindest von der rechtlichen Umsetzbarkeit sei man überzeugt. Aber auch wenn man sich auf das Narrativ der Politik-im-Namen-aller einlässt: Nicht mal 20 Prozent Wahlbeteiligung bleiben das, auch wenn die FDL im Stura sitzt. Ob Sparpolitik oder Erhöhung des Beitrags – keine Liste kann sinnvoll behaupten, die gesamte Studierendenschaft vertreten zu können. Die FDL hat gerade nur den populistischen Vorteil, nicht im Stura zu sitzen. Zumindest mangelt es in diesem Wahlkampf nicht an Ideen. Zwischen den großen Listen gibt es auch zahlreiche kleinere und einzelne Kandidierende, die ihre Nuancen im Stura anstimmen werden. Es gibt natürlich keine Umfragen – niemand weiß ganz genau, was während der Wahlwoche passieren wird, welche Ideen sich am Ende durchsetzen werden. Am Ende zählen sowieso die Taten.
Der Stura nimmt große Probleme in die nächste Amtszeit mit. Nikolai sagt: „Manchmal hat man das Gefühl, dass der Stura keine große Entscheidungsgewalt hat.“ Das stimmt sicherlich – vieles lässt sich in den Mühlen der Universität nur anstoßen. Aber der Stura hat Potenzial. Es gibt Geld zu verteilen. Die Autoritäten nehmen ihn als Ansprechpartner wahr. Damit es am Ende klappt, muss sich die Studierendenschaft als politische Interessengemeinschaft verstehen. Sander sagt: „Auch ein Präsidium kann sich einer Masse an Studierenden, die protestiert, nicht ewig verschließen.“
Götz Wagner