Wir haben mit drei Männern Paul (23), Marco (27), Theo (34) über ihre Gefühle, Männlichkeit und schwule Schildkröten gesprochen.
Wann merkt ihr in eurem Alltag, dass ihr ein Mann seid?
Paul: Wenn ich mich anziehe. Dann treffe ich eine Entscheidung für oder gegen Männlichkeit. Wenn ich zur Arbeit gehe, bleibt der Rock im Kleiderschrank, auf einer Queer-Party ziehe ich ihn an. Aber das beschränkt das Thema vielleicht auf eine oberflächliche Ebene.
Marco: Im Basketball oder bei meinen Eltern kommt es mir zum Beispiel so vor, als müsste ich bestimmten Ansprüchen gerecht werden. Oder mich ganz bewusst dagegen auflehnen.
Theo: Ich kann mich daran erinnern, dass ich so einen Pocahontas-Pulli hatte. Und ich weiß noch, dass ich mich erst durch einen Hinweis von außen dafür geschämt habe. Für mich war das einfach mein Lieblingspulli.
Welche Rolle spielen für euch männliche Vorbilder?
Paul: Mein Vater ist für mich teilweise ein Vorbild gewesen. Ich habe lange angestrebt, auch so ein Erfolgsmann zu sein, bis ich das hinterfragt habe. Männliche Vorbilder fallen mir ansonsten keine ein. Ich hatte viele weibliche Vorbilder.
Marco: Ich würde sagen, dass mein Vater eher ein negatives Vorbild war. Gerade was Umgang mit Emotionen angeht. Ich habe erst die letzten Jahre angefangen, meinen Vater zu umarmen. Und das ist ihm richtig unangenehm. Und ich habe auch bei mir gemerkt, dass ich mich für alle Emotionen fernab von Wut und vielleicht ein bisschen Freude sehr schnell schäme.
Theo: Mit der Anerkennung ist das bei mir schon so, dass es in meiner Familie eine ganz klaren Fokus auf Arbeit gibt. Du bist so viel Wert, wie du beiträgst und das bezahlst du mit dir selbst irgendwo.
Gibt es von euren Vätern die Erwartung, dass ihr nach deren Definition „männlicher“ sein sollt?
Paul: Ich bin mal mit Rock und geschminkt zu einem Treffen mit meinem Papa gegangen und er sagte, dass ich ein gescheiterter Mann sei. Das war echt schlimm. Ich setze mich meistens davon ab, indem ich das zynisch auffasse oder einen Witz daraus mache. Aber in dem Moment hat mich das krass getroffen. Wir haben drei Wochen nicht mehr miteinander geredet.
Theo: Noch eine Anekdote von mir. Ich habe jetzt meinen Industriemeister gemacht. Das war echt stressig und gerade habe ich nicht den Drang, mich sofort in meinen nächsten Job zu werfen. Damit hab ich mich mal mitgeteilt. Und am nächsten Tag kam mein Vater dann angetrunken zu mir und meinte, er hätte mir das nicht beigebracht. Und er hätte als Vater versagt.
Paul: Früher hat mein Dad mir Geschichten vorgelesen, oder es gab Rangeleien, wo wir auch gekuschelt haben. Ab einem gewissen Alter, wenn du jugendlich wirst, heißt es, jetzt scheiß mal auf Nähe. Vergiss das und mach deinen Job als Mann. Als Kind wird das noch toleriert, dass du Liebe brauchst und irgendwann war das dann so, zack, boom, weg.
Bemerkt ihr Unterschiede in euren Freundschaften zu Männern oder Frauen oder zu queeren Personen?
Marco: Ich habe das Gefühl, dass ich mir in Männerfreundschaften stark erkämpfen musste, eine größere Bandbreite von Gefühlen zeigen zu können. Während das in den Frauenfreundschaften direkt da war.
Paul: Wenn es zum Beispiel männliche Freunde im Freundeskreis gibt, um die man sich gerade sorgt, weil die eine schlechte Lebensphase haben. Das wird meistens erst kommuniziert, wenn es an einem wirklich kritischen Punkt ist.
Fällt es euch leicht, euch Raum in Beziehungen zu nehmen, wenn ihr gerade emotionale Unterstützung braucht?
Marco: Also ich glaube, es braucht schon Zeit bei mir, bis ich sage, dass ich Hilfe brauche. Zu verstehen, dass sich andere auch wirklich für meine Gefühle interessieren, das hat gedauert.
Theo: Irgendwie ist schon der Anspruch da, stark zu sein, obwohl ich weiß, dass ich mich öffnen kann. Aber irgendwie gibt es doch etwas, das mich dann unten hält.
Wie ist es generell für euch mit dem Thema Emotionen zeigen?
Theo: Alleine weine ich schon häufiger, würde ich sagen, als in der Öffentlichkeit. Das ist ja auch etwas sehr Intimes.
Marco: Es gibt Situationen, in denen man sich erlaubt zu weinen. Weil man zum Beispiel weiß, jetzt ist jemand gestorben, da darf man weinen. Aber wenn ich mich einfach mal traurig fühle oder einen traurigen Film schaue, fällt es mir schwer, das zuzulassen.
Paul: Ich kenne auf jeden Fall dieses intensive Weinen, aber auch dieses warme Weinen, nach dem man sich ein bisschen befreiter fühlt.
Wie sehr spielt Männlichkeit in eurer Sexualität eine Rolle?
Marco: Ich muss da an meine Teenie-Zeit denken. Ich glaube, dass es in den Freundeskreisen immer so einen Eroberungsgedanken gab. Wenn sich eine sexuelle Gelegenheit ergeben hat, war es nie wirklich eine Frage, ob man die eingeht oder nicht. Und dann war da noch diese Angst vor dem homosexuellen Begehren. Ich glaube, diese Abwehr gegen Homosexualität ist besonders unter Männern einfach extrem. Mein Dad wollte mir mal erklären, dass Homosexualität unnatürlich sei. Und dann hab ich ihm gesagt, dass das ja im Tierreich auch stattfindet. Wir haben drei männliche Schildkröten im Garten, die halt den ganzen Sommer bumsen und durch den Garten stöhnen. Und den Punkt hat er dann schon gesehen.
Paul: So mit 15, 16 war ich eigentlich eher homosexuell und hatte dann aber was mit Frauen, weil man das halt so gemacht hat. Und mir ist erst im Nachhinein klar geworden, dass das gar nicht stimmig war und was das emotional mit mir gemacht hat.
Theo: Für mich war das immer ein ganz großes Problem, dann auch in der Beziehung aktiv festzustellen, wann ich Lust habe, wann sie Lust hat. Wie erkennt man das? Irgendwie konnte man in der Jugend nicht lernen, dass das einfach Kommunikationssache ist.
Es gibt ja Geschlechtererwartungen in sexuellen Situationen. Zum Beispiel dominant, devot, aktiv, passiv und es gibt die entsprechenden …. Stellungen dazu.
Alle lachen.
Das war eine schamhafte Pause.
Marco: Ich hatte eine ganz interessante Erfahrung vor nicht allzu langer Zeit. Ich habe eine Person kennengelernt, bin mit der intim geworden, und habe dann meine Grenzen aufgezeigt, weil ich gemerkt habe, dass ich das nicht eingehen möchte. Das war eine komplett neue Erfahrung, zu einer Sexmöglichkeit “Nein” zu sagen. Man weiß gar nicht, dass man auch als Mann zu jedem Zeitpunkt aus so einer Situation raus kann. Ohne sich schämen zu müssen.
Theo: Früher dachte ich, man muss auch beim Sex dominant sein. Aber man entwickelt sich weiter und merkt, dass echte Intimität entsteht, wenn man Verletzlichkeit zeigt. Es gibt so einen Verschmelzungsmoment auf Augenhöhe.
Paul: Finde ich auch spannend, dass sich gerade dadurch diese Dominanzverhältnisse lösen können, weil man eher miteinander herausfindet, was einem gefällt.
Wo habt ihr möglicherweise Grenzen überschritten von Flinta*-Personen. Wie kommt ihr damit klar, wenn euch so etwas rückgemeldet wird?
Paul: Ich hatte letztens eine Situation, da war ich ein bisschen drüber und habe einer Person so sexting-mäßig geschrieben. Also gefragt, ob sie Bock hat, noch was zu machen. Und habe dann gar nicht so richtig über den Kontext nachgedacht, wo wir uns gerade eigentlich in unserer Beziehung befinden. Ich habe dann im Nachhinein gespiegelt bekommen, hey, das war in der Situation nicht cool. Und ich merke, dass ich Schwierigkeiten habe, das erstmal so zuzulassen. Und zu sagen, okay, ich habe jetzt gerade jemanden verletzt, weil ich da häufig in Richtung Schuldgefühle schlage. Und das nicht einfach annehmen kann. Sondern es geht dann schnell in eine Unsicherheit.
Viele Frauen erleben sexuelle Übergriffe und gleichzeitig sagen viele Männer, gerade in der linken Bubble, sie haben damit nichts zu tun oder auch, dass ihr männliches Umfeld nichts damit zu tun hat.
Theo: Mein bester Freund belästigt, wenn er sehr, sehr betrunken ist, manchmal Frauen. Und ich ziehe ihn dann auch weg. Aber wenn ich sonst an ihn als Person denke, sehe ich ihn nicht so. Weil er in diesem Zustand gar nicht mehr da ist. Ich verdränge, dass diese Seite von ihm existiert.
Habt ihr Grenzüberschreitungen durch andere Männer erfahren?
Marco: In der Schule habe ich durch Mobbing sowohl psychische als auch körperliche Gewalt erfahren. Weil man eben nicht diesem Männlichkeitsbild entsprochen hat. Deswegen habe ich mich gezwungen gefühlt, die patriarchalen Strukturen weiter mitzutragen, weil ich sonst Gewalt von anderen Männern erfahren hätte.
Paul: Also Übergriffe in Clubs habe ich bisher nur von Männern erlebt. Ich habe zum Beispiel einen Kommilitonen, der dann auf einmal hinten bei mir angefangen hat rumzutanzen.
Glaubt ihr, dass man es als Mann heute schwerer hat als früher?
Theo: Glaube ich nicht.
Paul: Ich glaube nicht unbedingt schwerer. Ich glaube, wir haben es alle insgesamt einfach schwerer.
Das Gespräch führten Vivien Brenk und Markus Manz