Gewalt-Wochenende in Gießen

Rechte Terrorfahrt, massenhafte Blockadeversuche, polizeiliche Zwangsmittel und dazwischen ich – am 29.11. in Gießen. Ein Erfahrungsbericht.

Text und Bilder von Tim Baumberg

Gesichert rechtsextremer Vorsitzender, charakteristisch geringer Frauenanteil und näher an die Partei gebunden – der neue AfD-Jugendverband traf sich am ersten Adventswochenende zur Gründung in Gießen. Nun machen die radikalen Rechten munter weiter wie bisher. Noch munterer waren die rund 15.000 Aktivisti, die seit sechs Uhr morgens um Gießen herum Stellung bezogen. Ihr erklärtes Ziel: die Neugründung der AfD-Jugend stoppen. Ihr gewähltes Mittel: Massenhaft ziviler Ungehorsam. Und so las ich um 06:16 Uhr im Aktionsticker “Die erste Blockade steht!”. Über den Tag verteilt kam es laut Widersetzen  zu einer Verzögerung von über zwei Stunden durch 19 Blockaden, zu diesen hatte das Aktionsbündnis bereits Monate zuvor aufgerufen.

Gewalt von allen Seiten

Neben dem tierquälerischen Einsatz einer Hundestaffel beobachtete ich die zuständigen Behörden von früh bis spät dabei, wie sie ohne Sinn und Verstand Wasserwerfer und Räumpanzer von A nach B schickten, um sie nach 15 Minuten wieder an eine andere Stelle zu zitieren. Des Weiteren versenkte die Polizei eines ihrer Pferde in einer Böschung  am Straßenrand. Neben dem eher lächerlich-verplanten Auftritt der Ordnungshüter gab es auch beängstigende Szenen in Gießen: So berichteten mir Personen, wie Beamte ohne Vorwarnung unter martialischen Geschrei auf friedliche Demonstrant:innen losgingen. Gestützt werden diese Aussagen von mehreren Videos. Auch an anderen Stellen kam es zu Zwangsmitteln durch körperliche Gewalt. Diese äußerte sich mal in Form des Wasserwerfers bei unter sieben Grad Celsius, häufiger in Form des Einsatzmehrzweckstocks – auch Knüppel genannt – und regelmäßig durch das Einsetzen von Reizgas. Während die mindestens 36 verletzten Demonstranten in den Medien kaum Beachtung finden, berichtet die Polizei von 50 verletzten Beamten. Neben Verletzungen durch Steinwürfe, Tritte und “Überrennen”, vergisst man beim Aufzählen der Ursachen allerdings schnell eigene Kollegen, Pfefferspray und Wasserwerfer.

Terrorfahrt durch Menschenmenge

Außer Berichten über “Gewalt von Links” und “Polizeigewalt”, kann man eine weitere Tätergruppe des 29. Novembers benennen. So fuhr ein Auto ohne Rücksicht auf Verluste durch eine Gruppe von Aktivisti. Dass dieses Verhalten nicht aus der Not entstanden zu sein scheint, legt das Zitat eines Mitfahrers nahe: “Fick sie!” ruft dieser und der Fahrer zieht durch. Die Alternative für Deutschland schweigt später zu dem Vorfall – die Täter trugen ein blau-braunes Parteibuch. Neben der unmittelbaren Kritik an der Gründung einer Generation Deutschland durch die aus dem gesamten Bundesgebiet angereiste Generation Antifa, gab es auch Kritik an den Protesten selbst.

Die lokalen Strukturen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes und der Deutschen Kommunistischen Partei riefen im Vorfeld explizit nicht zur Teilnahme an den Aktionen auf. Sie nahmen den liberalen Status quo aufs Korn. Zwar sei die AfD keine Alternative, dennoch normalisiere man diese mittels der Proteste. Das wirkliche Problem sei der radikale Sozialabbau, die zunehmende Militarisierung und Aufrüstung. Mit einem Transparent brachten sie ihre Kritik auf den Punkt: “Ob CDU, ob SPD – das ist uns ganz egal. Ob Grüne oder AfD: Es herrscht das Kapital.”
Heruntergebrochen können alle Beteiligten von einem erfolgreichen Wochenende sprechen: Die AfD hat eine neue Jugend, das Bündnis um Widersetzen hat dies um über 2 Stunden verzögert und die Polizei machte es möglich.

Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 454, Dezember 2025


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