Die Nacht wird am Tag geplant

Text von Nathalie Stenger
Foto von Tim Baumberg

Manche Jobs kommen mit klaren Arbeitsanforderungen. Kassieren zum Beispiel.
Dann gibt es Berufe, da ist weniger klar, wie sie funktionieren oder was sie genau beinhalten.
So einen Job hat Christoph Litwinov. Er ist Jenas erster Nachkulturkoordinator. In manchen
Berichten ist auch vom „Nachtbürgermeister“ die Rede – eine Jobbezeichnung, die zu
gewissen Vorurteilen führt. „Manche Leute“, so Litwinov, „haben die Vorstellung, dass ich um
21.30 Uhr meine Fackel anzünde, durch die Straßen laufe und allen sage, wie sie zu leben
haben“. Er schüttelt den Kopf. „Da habe ich gar keinen Bock drauf.“

Das akrützel trifft den Nachtkulturkoordinator um 12 Uhr mittags. Litwinov empfängt im
ersten Stock des Kulturbüros in der Schillerstraße. In einem Gespräch soll es darum gehen,
wer er ist, und was ein Nachtkulturkoordinator eigentlich so macht. „Ich koordiniere die
Nacht“, sagt Litwinov und erklärt seinen Job anhand der letzten Wochen. Zum einen treffe er
Dezernenten der Stadt, um etwas abzusprechen, zum anderen kümmere er sich um Notfälle.
Wenn einem Kollektiv zum Beispiel ein Tag vor einem Event die Location abgesagt wird,
oder wenn eine Musikanlage während einer Veranstaltung kaputt geht und schnell eine neue
organisiert werden muss. „Früher gab es dann immer jemanden, der jemanden kennt, der
jemanden kennt“, sagt Litwinov. Heute bildet er die offizielle Ansprechperson für solche
Fälle. Der Job sei eine „Überraschungstüte“.

2018 gab es in Mannheim den ersten Nachtkulturkoordinator beziehungsweise Beauftragten
für Nachtökonomie in Deutschland. Danach folgten weitere Städte. Eine Übersicht bietet die
Website des Interessenverbands für Nachtbeauftragte, das Nachtkonsil. Weil er noch nicht
so lange dabei ist, steht Litwinov noch nicht drin. „Basel und Wien kommen auch noch“, sagt
er. Christoph Litwinov ist seit Anfang September Nachtkulturkoordinator in Jena und damit
der erste in Thüringen. Die ersten drei Monate hat er viel mit dem Aufbau eines Netzwerks,
mit dem Kennenlernen von Leuten verbracht. „Ich bin zu jedem Club und habe nach
Problemen gefragt“, erzählt er, „nach dem Status quo vor Ort und welche Erwartungen die
Institutionen an mich haben“. Die offizielle Vorstellung als Nachtkulturkoordinator sei ihm
wichtig gewesen, auch wenn ihn viele bereits kennen würden.

“Das Nachtleben hat nachgelassen”

Litwinov ist schon seit einiger Zeit Teil der hiesigen Kulturszene. Der 31-jährige ist seit 2014
in Jena und hat die vergangenen zehn Jahre als Türsteher für verschiedene Clubs in der
Stadt gearbeitet. Er hat eine Ausbildung bei JenaKultur als Veranstaltungskaufmann
absolviert und war für die Vermietung des Volkshauses und des Volksbads verantwortlich.
Die Einblicke in die Stadt sowie in die Subkultur, so glaubt er, hätten ihm dabei geholfen, den
Job zu bekommen.

In seiner Zeit als Nachtkulturkoordinator – die Stelle ist zunächst bis Ende 2026 befristet –
hat Litwinov viel vor. Unter anderem die Wiedereinführung eines Stammtisches für
Booker:innen, für eine bessere Vernetzung untereinander. „In der Szene gibt es ein
Problem“, erklärt er. „Kulturtreibende machen tolle Arbeit, aber jeder ist in seinem eigenen
Kosmos.“ Leute würden sich um die Locations, Themen und Veranstaltungsdaten kümmern,
sagt er, bei so viel Ehrenamt könne man nicht auch noch Vernetzung von ihnen verlangen.
Das soll der Stammtisch nun erleichtern. „So bekommt man Probleme schnell mit“, sagt
Litwinov, „und gemeinsam haben wir ein größeres Sprachrohr.“ Außerdem geht es um
Absprachen für Events: „Wie oft spielen wir welches Genre? Viermal Drum ‘n‘ Bass in einer
Woche ist nicht sinnvoll.“

Es gehe ihm bei seiner Arbeit darum, alle Leute in ein Boot zu holen, darum, Kompromisse
zu finden. Ein Beispiel für einen solchen Kompromiss ist eine Open-Air-Veranstaltung, die
schon um 15 oder 16 Uhr beginnt, und dann nur bis 0 Uhr andauert. „Die Anwohner geben
uns zwei Stunden ihrer Nacht, dafür fangen wir früher an“, sagt Litwinov. Open-Air-
Veranstaltungen seien ein Thema, über das er mit Kollektiven aus der Szene sprechen
wolle. Die Tallage mit den umliegenden Naturschutzgebieten erschwere das Organisieren
von Veranstaltungen unter freiem Himmel. Doch es gibt noch mehr zu behandeln. „Das
Nachtleben hat nachgelassen“, so Litwinov, „wir haben durch Corona eine komplette
Generation verloren.“ Junge Leute würden oft nicht mehr feiern gehen, sondern sich eher
zum Kochen verabreden oder vielleicht mal in eine Bar gehen. Dass die Preise explodiert
seien, helfe nicht. Dabei sei Nachtökonomie so wichtig, sagt er, ein gut organisiertes Event
bringe der Stadt Einnahmequellen durch Hotels, ÖPNV und Gastronomie.

Eine Möglichkeit für Clubs, um wieder mehr Menschen anzulocken, seien Soli-Tickets,
erzählt Litwinov. Wer es sich leisten kann, zahlt mehr, dafür kommen auch andere mit
geringerem Einkommen in den Club. Aber natürlich kann Litwinov nicht einfach Preise
festlegen – er kann überhaupt nichts festlegen. Der Nachtkulturkoordinator hat eine
beratende Funktion. „Am Ende hängt alles an der Politik“, sagt er. Ein weiterer Aspekt, den
man bei der Planung von Veranstaltungen mitdenken müsse, sei die Beleuchtung für den
Heimweg von Feiernden. „Wenn der Weg nicht gut beleuchtet ist, kommen viele junge
Frauen nicht.“ Er wolle mit seiner Arbeit für sexualisierte Gewalt sensibilisieren, sagt
Litwinov. „Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft mehr Acht aufeinander geben.“
Doch nicht bei allen Menschen stößt Litwinov mit seinen Zielen und Absichten auf
Verständnis. Anfang Oktober, da war er noch gar nicht so lange Nachtkulturkoordinator, hat
der MDR einen Beitrag über ihn veröffentlicht. Dieser behandelt die Tanzdemo, die an dem
Tag in Jena stattgefunden hat, die Aufgaben des Nachkulturkoordinators sowie das
Kulturbüro, an das Litwinov angegliedert ist. Die Kommentarspalte ist aufgeheizt, unter
anderem wird sein Job als Steuergeldverschwendung bezeichnet.

Litwinov weiß sofort, von welchem Beitrag die Rede ist. Er sei böse Sprüche aus seinen
Türsteher-Zeiten gewöhnt, sagt er, da sei er schnell als Arschloch beschimpft worden. Die
Kommentare unter dem Artikel habe er irgendwann nicht mehr gelesen, die hätten ihn nur
wütend gemacht. „Das sind dieselben Leute, die sich nicht mit dem Thema Gendern
beschäftigen wollen“, sagt er, „die haben sich eine Meinung gebildet, ohne mich zu kennen.
Die denken, ich verdiene 10.000 Euro im Monat und bin verbeamtet.“

Die Stadt voranbringen

Tatsächlich verdient der Nachtkulturkoordinator nicht 10.000 Euro im Monat. Ein Überblick:
Christoph Litwinov bildet gemeinsam mit Xenia Reich-Hemmerich und Katrin Hitziggrad das
Kulturbüro in Jena, das Gewäxhaus. Reich-Hemmerich ist verantwortlich für Kulturberatung
von Vereinen und Initiativen, Hitziggrad leitet die Zwischennutzungsagentur Blank. Die drei
Stellen des Kulturbüros werden von der Stadt finanziert, für Litwinov sind das etwa 100.000
Euro für 18 Monate. Hinzu kommt die Finanzierung der Kulturbüro-Leitung Claudia Zinner.
Diese wird allerdings von der Recover-Stiftung übernommen, Träger ist hier die Ernst-Abbe-
Stiftung, genauso wie die Räumlichkeiten des Kulturbüros. „Ich nehme den Leuten doch
nichts weg“, sagt Litwinov, und dann: „Jeder, der nicht versteht, worum es geht, kann gerne
das Gespräch mit mir suchen.“

Und, wie ist es nun, Nachtkulturkoordinator zu sein? „Es ist deutlich zeitintensiver als ich
dachte“, so Litwinov. Sein restlicher Tag und die Woche sind voll: Termine, Veranstaltungen,
eine Preisverleihung am Abend, eine Konferenz am Wochenende zum Thema Nachtleben,
dafür muss er noch einen Zug nach Berlin buchen. Er werde auf der Straße angesprochen,
sagt er, das Gefühl von Feierabend habe er selten. „Ich hab’s mir ja ausgesucht“, sagt er
dann, und dass er auch richtig Lust habe auf die Arbeit. „Ich will etwas voranbringen in der
Stadt.“

Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 454, Dezember 2025


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