Bisher galt euch das Akrützel als freundlich und moderat.
Jetzt ist endlich Schluss mit der falschen Versöhnlichkeit!
Ab heute wird scharf geschossen – gegen Kunst, die nervt.
Text von Markus Manz (22 Bahnen); Dario Holz (Kafka) und Oleksandra Samokhina (Bugonia)
Illustration von Ulrike Reimer
22 Bahnen
Wo die Feuilletonisten antreten, über eine erfolgreiche Autorin zu schreiben, entstehen manchmal Urteile zu allem außer deren Texte. Caroline Wahl ist hier keine Ausnahme, obwohl sie noch mindestens zwölf Freibäder Angriffsfläche zwischen den Buchklappen hat. So auch der Debütroman 22 Bahnen, in dem sich das Ringen mit Klischees in jedem Satz erfahren lässt. Das fängt damit an, dass Wahls Dialoge wie aus einer deutschen Young-Adult-Serien-Synchro klingen. Es geht weiter mit den beleidigend schematischen Figuren. Love interest Victor ist der neureiche White Knight, Tildas kleine Schwester Ida das altkluge Kind, das wie eine Erwachsene redet. Freundin Marlene und Tildas alkoholkranke Mutter haben überhaupt keine Persönlichkeiten, sondern sind vor allem dazu da, Wahls Protagonistin besser dastehen zu lassen. Tilda ist komplexer, aber leider die unsympathischste Figur im Buch. Wenn sie nicht gerade die Lebensentwürfe anderer Menschen abwertet, erzählt sie uns gerne, wie krass sie ist. Tilda ist Female Breadwinner, Mathe-Genie und Superschwester. Tilda hat das gute alte Harry-Potter-Problem. Sie macht einfach zu viel richtig, um noch nahbar zu sein. Deshalb müssen ihr wenigstens schlimme Dinge passieren, was dann zu neuen Glaubwürdigkeitsproblemen führt. Schwere Themen wie Armut, Alkoholismus und Tod bleiben nämlich stets romantisiert und konsumierbar. Statt das Wagnis einer individuellen Leidenserfahrung einzugehen, setzt Wahl weiter auf Klischees und kommt so nie hinter den Voyeurismus zu echter Erschütterung durch.
Kafka
Schon Kafka selbst wusste, dass er als Schriftsteller nichts taugt und entschied folgerichtig, die Welt nicht mit seinen unzähligen Werken zu belasten. Denn in jobbedingter Tristesse gefangene Versicherungsvertreter, die ihre Midlife-Crisis damit überbrücken, schlechte Romane zu schreiben, die nie vollendet werden, gibt es genügend. – Auch das wusste Kafka, er war einer von ihnen. Fairerweise ist es auch nicht seine Schuld, dass er nun zu einer Ikone des jugendlichen Pseudo-Intellektualismus geworden ist, sondern die seines (offenbar schlechten) Freundes Max Brod. Dieser sollte eigentlich auf Kafkas Anweisung dessen komplettes Werk nach dem Tod verbrennen – eine Kulturtechnik, die schon immer sehr beliebt war – entschied sich aber für das komplette Gegenteil: Den neoliberalen Ausverkauf des Werkes eines Toten! Seinetwegen gibt es ganze Jahrgänge an Soziologie-Studierenden, die die fanatische Vergötterung eines Schriftstellers, der weder in der Lage war, Bücher zu Ende zu schreiben, noch sie zu veröffentlichen, zum Kult erklären. Dabei sind sie der festen Überzeugung, niemand außer ihnen habe “Die Verwandlung” so wirklich verstanden und tragen in ihrem Jutebeutel immer “Der Process” als Reclam-Heft mit sich herum. Ihre Obsession vollendend, entwickeln sie in einer Selbstverständlichkeit ein schwieriges Verhältnis zum eigenen Vater, um sich Kafka noch näher zu fühlen, ihn noch besser zu verstehen. Ein gescheiterter Autor, der im Land der Dichter und Denker zum Nationalheld wird: Das ist wirklich kafkaesk! (Was auch immer das genau bedeutet)
Bugonia
Geil, ein weiterer Sci-Fi-Horrorfilm, der mit Machtverteilungs- und Kapitalismuskritik lockt, um dich high and dry mit Alienkomiken und Sadismusspielchen zurückzulassen. Sanfte Klänge, erotische Close-Ups bestäubender Bienen, bedeutungslastige Narration. Schnitt. Dröhnende Spannungsmusik, Blutkämpfe, kahlrasierter Kopf. Die Mystery- und Science-Fiction-Komödie Bugonia von Giorgos Lanthimos, die bereits im Trailer ein hohes Maß an Spannung verspricht, leitet mit Kontrast und pseudo-deepen gesamtgesellschaftlichen Aussagen ein. Der Protagonist Teddy wird uns als Narrator eines Befreiungsplans der Gesellschaft vorgestellt. Er arbeitet als Paket-Packer bei dem Biomedizinunternehmen Auxolith und ist der Überzeugung, dass seine CEO Michelle Fuller eine böse Außerirdische ist, die die Erde zerstören will. Gemeinsam mit seinem Cousin Don entführt er Michelle, rasiert ihren Kopf und hält sie in seinem Keller in einem abgelegeneren Haus gefangen. Es folgen Folter, körperliche Gewalt und Wutausbrüche. Während im Film nuancierte menschliche Emotionen und Beziehungsdynamiken herausgelesen werden können, die verbunden mit der durchgehenden Arbeits- und Kapitalismuskritik viel Potential hätten, werden sie durch die überspitzten grausamen Szenen und Verhöhnung des Dargestellten immer wieder verworfen. Alles nur, um dem Publikum einen Reaktionswalzer aus Schreckens-Oohs und unerwarteten Hahas zu entlocken. Wann wird beschlossen, dass dieses Genre mittlerweile nur noch ausgelutscht ist?
Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 453, November 2025

