Welche Namen der Stadt Jena wichtig genug sind, um ihnen Straßen zu widmen – die Antwort wird dich leider nicht überraschen.
Text von Anna Ittner
Foto von Tim Baumberg
Illustration von Thorsten Schlicke
Wo wohnst du? Vielleicht in der Lutherstraße, am Mozartweg, in der Nähe des Salvador-Allende-Platz? Gehst du am Ernst-Abbe-Platz zur Uni und in der Wagnergasse trinken? Die Chance ist ebenfalls groß, dass du mindestens eine Otto- oder Ernst-Straße kennst, denn davon gibt es in Jena jeweils zehn. Außerdem Straßen mit Namen von 40 Dichtern, 54 Politikern und, Spoiler, von krass wenigen Frauen.
345 der 919 Straßen in Jena sind nach Personen benannt. Ecke an Ecke stehen hier Komponisten mit Kommunisten, Botaniker mit Bürgermeistern, Ärzte mit Adelsfamilien. Attribute wie Universitätsstadt oder Lichtstadt lassen sich nicht nur aus Touri-Werbeflyern ablesen, sondern auch aus Straßennamen. Fast ein Drittel dieser nehmen in Jena Wissenschaftler ein, viele davon sind ehemalige Professoren an der Universität Jena. Unter ihnen finden sich einige Physiker und Optiker, aber auch Pädagogen. Und an Carl Zeiss kommt man sowieso nicht vorbei.
Wer bleibt wichtig
Straßennamen sind nicht nur sehr öffentlich, sondern auch politisch. Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und DDR-Regime – Straßennamen verkündeten im Namen einer Stadt, wer wichtig war und ist. Und auch heute noch werden sie als politisches Kommunikationsmittel genutzt und dienen der Erinnerung. Jenas Straßen tragen Namen von über 20 Widerständlern gegen den Nationalsozialismus, und auch den des ersten Opfers des Nationalsozialistischen Untergrunds, Enver Şimşek. Gleichzeitig stammen die meisten der Namen noch aus dem 18. und 19. Jahrhundert, zu den ältesten zählen vier Ritter und sechs Urburschenschaftler.

Apropos Burschen: Vor der Arbeit an diesem Artikel wurde eine Wette darüber abgeschlossen, welchen Anteil Frauennamen an den Straßen Jenas haben. 30 Prozent, 10? Tatsächlich sind von den über 300 Personennamen so wenige weiblich, dass ich sie alle hier verewigen kann und werde: Susanne Bohl, Großherzogin Sophie, Rowena Morse, Rosalind Franklin, Rosa Luxemburg, Ricarda Huch, Olga Benario, Mathilde Vaerting, Anna Siemsen, Marie Juchacz, Maria Pawlowna, Luise Seidler, Liselotte Herrmann, Klara Griefahn, Käthe Kollwitz, Katharina von Bora, Judith Auer, Helene Weigel, Helene Holzman, Hanna Jursch, Grete Unrein, Emma Heintz, Elisabeth von Thüringen, Dorothea Veit, Clara Zetkin, Christiane Vulpius, Charlotte von Schiller, Elsa Brändström, Caroline Schelling. 29, also nur acht Prozent der Straßennamen mit Personenwidmung ehren Frauen. Eine sehr niedrige Zahl dafür, dass auch früher schon 50 Prozent der Menschen Frauen waren.
Dieser Thematik haben sich bereits verschiedene Gruppen angenommen. So läuft seit 2015 ein Projekt des Jenaer Frauenzentrums Towanda, dessen Ziel es ist, mehr Frauennamen auf Straßenschilder zu bringen und damit die öffentliche Wahrnehmung von Frauenpersönlichkeiten zu stärken. Dafür brachten sie 13 Vorschläge ein, von denen bisher drei umgesetzt wurden. Ein ähnliches Anliegen verfolgt die Fraktion der SPD im Stadtrat, die zusammen mit den Grünen 2020 einen Antrag stellte, dass mindestens drei Frauenpersönlichkeiten für neu zu vergebende Straßennamen zu nutzen sein sollten. Und auch Die Linke im Stadtrat möchte auf Nachfrage auf Straßenschildern als nächstes eine Frau ehren. Zuletzt hatten sie erfolgreich die Umbenennung einer Straße nach Anton Wilhelm Amo, dem ersten bekannten Philosophen afrikanischer Herkunft in Deutschland, in die Wege geleitet.
Das andere Geschlecht
Natürlich ist das politische Mittel einer Straßenumbenennung ein begrenztes – der bürokratische Aufwand ist groß. Trotzdem sind Straßenschilder momentan ein weiteres Feld, in dem Männer sehr viel Raum einnehmen. Ein weiteres Feld, das in aller Öffentlichkeit normalisiert, dass Männer die Norm wären und Frauen die Ausnahme. Ein weiteres Feld, das nicht unsere Gesellschaft, sondern nur unser Patriarchat widerspiegelt.
Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 453, November 2025

