Unbeugsam und Unverkäuflich

Die Horda Azzuro ist der größte Fanclub des FC Carl Zeiss Jena. Zur Stadtverwaltung war die Freundschaft noch nie besonders groß, doch in diesem Jahr eskaliert der Streit zwischen den Parteien. Wir haben den Ultra Mathias zum Gespräch eingeladen.

Das Interview führte Dario Holz
Bilder von Dario Holz, sowie der Horda Azzuro

Fangen wir ganz einfach an: Was sind eigentlich Ultras? 

(lacht) Das ist die globalste Frage, die du stellen kannst, da hat jede Gruppe eine eigene Definition. Zuvorderst ist Ultra-Sein eine besondere Art und Weise, die Hingabe zum Verein auszuleben. Da ist ein gewisser Fanatismus, der sich deutlich vom reinen Fan-Sein abhebt. Der Stadionbesuch, das Gestalten der Kurve und der Zusammenhalt dort, das ist das zentrale. Aber darüber hinaus geht es auch viel um Mitbestimmung und Gestaltung im Verein, aber auch in der Gesellschaft. Wir machen viele karitative Projekte, unterstützen Geflüchtete und viele soziale Einrichtungen. Am Ende ist es eine spezielle Art, den Verein zu leben – irgendwo zwischen Jugend- und Subkultur – und für Dinge einzustehen, die einem wichtig sind.

Welche Rolle spielt ihr im Verein?

Wir verstehen uns nicht nur als kritische Opposition, wir wollen auch aktiv mitgestalten. Das hat sich für uns ganz deutlich 2013 mit dem Einstieg von Roland Duchâtelet gezeigt – der Investoreneinsteig war für uns eine schwierige Phase. Auf der Mitgliederversammlung, wo darüber abgestimmt wurde, hat unser Vorsänger eine Rede gehalten und versucht, auch die kritischen Aspekte an so einem Investoren aufzuzeigen – dafür wurde er nahezu niedergepfiffen. Es war wirklich kurz vor der Eskalation. Das war ein Tiefschlag für uns. 

Wie ging es dann weiter?

Wir haben uns erst einmal für einen Stimmungsverzicht entschieden. Die ganze Entwicklung lief auch damals schon unserer Haltung als Ultra zu wider: Nicht fremdbestimmt zu sein, sondern mit eigenen Mitteln zu gestalten. Der Stimmungsverzicht war jetzt nicht in jeder Hinsicht das probateste Mittel, aber wir haben in der Zeit mit dem Label “unbeugsam und unverkäuflich” eine Haltung entwickelt, die noch heute ganz zentral ist. Das bedeutet auch, dass wir den Verein aktiv mitgestalten und ihn handlungsfähig machen wollen – und vor schadhaften Einflüssen von außen bewahren. Das ist ein Thema, das auch weit über Jena und die Ultra-Szene hinausgeht, wie man am gescheiterten DFL-Investorendeal sieht.

Die Zeiten haben sich stark geändert: Heute besteht die Mitgliederversammlung fast nur noch aus Ultras. Daraus resultiert auch eine große Macht, eure Vorschläge für zentrale Gremien im Verein werden problemlos durchgesetzt. Gerade wegen dieser Machtposition der aktiven Fanszene gibt es in ganz Deutschland immer wieder die Diskussion, Mitgliederversammlungen digital abzuhalten und so mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu beteiligen.

Die Teilnehmerzahlen an den Mitgliederversammlungen sind rückläufig – eine Entwicklung, die nicht in unserem Interesse ist. Auch insgesamt hat das aktive Vereinsleben in den letzten Jahren stark gelitten und genau diese Folgen sind bei den Mitgliederversammlungen spürbar, die eigentlich die zentralste und direkteste Form sind, sich im Verein zu beteiligen. Da arbeiten wir auch mit dem Verein zusammen, um das Vereinsleben wieder zu beleben. Als Ultras setzen wir uns immer aktiv mit dem Verein auseinander und wünschen uns aber natürlich, dass das andere ebenfalls tun. Und es geht hier ja nicht nur darum, wer in welches Gremium kommt: Wir möchten ganz konkrete Beschlüsse fassen, beispielsweise gegen Pyro-Strafen, und gemeinsam über Missstände im Verein sprechen.

Das würde auch digital gehen, oder?

Wünschenswert wäre es natürlich, dass mehr Menschen kommen und zu einer aktiven Auseinandersetzung beitragen – aber wir müssen miteinander ins Gespräch kommen und das funktioniert in dieser Größe nicht über irgendwelche Zoom-Meetings. Wir sind da bei weitem auch nicht die Einzigen, die hier digitalen Formaten kritisch gegenüberstehen.

Abseits der Mitgliederversammlung arbeitet ihr auch immer sehr eng mit dem Verein zusammen. 

Ich glaube, gerade in den niedrigeren Spielklassen ist es ganz normal, dass Verein und Fans sich irgendwie nahestehen. Es wäre ja auch ein bisschen absurd, wenn es anders wäre. Hier in Jena hat man beim Verein mit Patrick Widera als Geschäftsführer und Ralph Grillitsch Leute an der Spitze, die selbst Fußballfans sind, viel Erfahrung mitbringen und die sich mit uns aktiv gegen Missstände einsetzen. Die Pyrothematik ist da ein gutes Beispiel: In fast allen Fällen wird Pyrotechnik verantwortungsvoll eingesetzt, der Verband sanktioniert dennoch. Da wird überhaupt nicht differenziert. Der Verband verhängt hohe Strafen an den Verein, obwohl überhaupt nichts passiert. Das ist für viele ein großes Thema, an dem auch in anderen Vereinen aktiv gearbeitet wird.
Aber ich glaube, du willst noch auf was anderes hinaus, oder?

Genau, ganz konkret auf Flori Zweigler. Seine Doppelfunktion als wichtiger Vertreter der Horda auf der einen Seite und stellvertretender Geschäftsführer des Vereins auf der anderen wird immer wieder kritisiert. Viele warnen vor Interessenkonflikten, die im Zweifel gegen den Verein entschieden werden. Geht da die enge Zusammenarbeit zu weit?

Dieser vermeintliche Interessenkonflikt wird immer wieder stark gemacht, aber am Ende des Tages ist es doch nicht verkehrt, dass Menschen, die seit Jahren den Verein mit Herzblut begleiten, auch im Verein beschäftigt werden. Im konkreten Fall muss man auch sehen, dass Flori eine tolle Entwicklung hingelegt hat – der war ja nicht sofort Geschäftsstellenleiter, sondern hat sich ganz normal hochgearbeitet und immer gute Leistung gezeigt. Das läuft hier nicht anders als in Unternehmen auch. Und schließlich ist das die logische Konsequenz unseres Credos “unbeugsam und unverkäuflich”, dass wir uns sehr aktiv mit dem Verein auseinandersetzen und sich das in solchen Positionen widerspiegelt. 

Aktiv mitgestaltet habt ihr auch beim Bau des neuen Stadions: Eigentlich sollte die aktive Fanszene aus der Südkurve auf die Nordtribüne ziehen und so möglichst viel Platz neben Heim- und Auswärtsfans entstehen. Ihr habt lange dafür gekämpft, dass ihr in der Südkurve bleiben dürft – nur wenige Meter entfernt die Gästefans. Das führt immer wieder zu Problemen, beispielsweise im Spiel gegen Halle. Hier versuchten die Gästefans in der Halbzeit, die Südkurve zu stürmen. 

Mit dem Standort Südkurve sind bei ganz vielen Leuten Erinnerungen verbunden: Das ist unser subkultureller Raum, den wir aktiv prägen und wo viele von uns groß geworden sind. Das ist ein Ort, der erhaltenswert ist und den wir eigentlich ausbauen wollen – deswegen fordern wir auch, dass die Gäste in die Nordkurve kommen. Wir haben gar kein Interesse daran, dass die Gäste direkt neben uns stehen. All das war auch Teil der Diskussion um “Südkurve bleibt”. Viele der Vorkommnisse werfen Fragen auf: Beim Spiel gegen Chemie Leipzig, wo sich zwischen den Fans die ganze Zeit eine Hundertschaft befunden hat, war diese nach Abpfiff plötzlich weg. Ohne da jetzt zum Verschwörungstheoretiker zu werden, ist schon die Frage, ob das nicht auch ein bewusster Abzug war – nach dem Motto “mal schauen, was dann so passiert”. Und genau das Gleiche gilt am Ende auch für das Halle-Spiel. Man muss sich schon fragen, wie es in einem Stadion mit modernster Kameratechnik und Zivibullen überall passieren kann, dass da einfach der Zaun auseinandergebaut wird. Was ist das überhaupt für ein Zaun, den man einfach so abschrauben kann?
Schlussendlich sind das alles nicht unsere Themen, aber in gewisser Hinsicht müssen wir die Kritik gegen uns entschieden zurückweisen: Andere Stadien machen es vor, wie man Heim- und Gästefans nebeneinander stehen können.

Du hast das Spiel gegen Chemie Leipzig gerade angesprochen, bei dem es nach Ende des Spiels zu heftigen Ausschreitungen beider Fanlager untereinander, aber auch mit der Polizei kam. Die Stadt Jena verhängt in Folge 61 Hausverbote gegen Jenaer Fans, offenbar auch gegen Personen, die an dem Tag gar nicht im Stadion gewesen sind, so die Blau-Gelb-Weiße Hilfe. Viele zweifelten auch die Rechtmäßigkeit der Hausverbote an, so auch der Verein selbst. Im Oktober entschied das Landgericht Gera, dass die Stadt tatsächlich nicht befugt ist, an Spieltagen Hausverbote im Stadion auszusprechen. Ist das der Ursprung für den Konflikt mit der Stadt gewesen?

Es gibt wenige Städte, in denen derart aktiv seitens der Behörden gegen den Verein gearbeitet wird. Es gibt in Jena wirklich ein feindliches Klima gegen den FCC und alles, was so im Stadion passiert. Das ging auch weit vor Chemie schon los, wo unsere Fanmärsche plötzlich untersagt wurden, weil sie angeblich anmeldepflichtig seien. Sebastian Wick, der Fachdienstleiter der kommunalen Ordnung, ging da schon immer hart gegen uns vor, auch, als er noch selbst bei der Polizei war. Seine Bullen-Mentalität hat er in seiner neuen Position beibehalten, da ist ein Konfliktpotenzial natürlich absehbar. Wir sind polizeikritisch: Wir haben unsere Erfahrungen über viele Jahre mit der Polizei gemacht. Kein Freund, kein Helfer und das wird auch immer so bleiben. 

Kein Freund, kein Helfer und das wird auch immer so bleiben. 

Bei dem Spiel gegen Chemie zieht die Polizei erst ab, um dann total überzogen gegen Fans vorzugehen. Und Koppe (Bürgermeister für Sicherheit a.d.R.) schmeißt wahllos mit Hausverboten um sich, das ist natürlich jetzt der zentrale Konflikt. 

So viele Akteure wollen auf irgendeine Art und Weise Einfluss auf den Fußball nehmen: Die Verbände mit den Pyrostrafen, die Stadt mit Hausverboten. Warum machen die das auf einer Ebene, auf der sie sich eigentlich gar nicht einmischen müssten? Weil sie Stärke zeigen wollen. Das sind Vorgänge, die auch in anderen subkulturellen Räumen passieren – da muss man kein Ultra sein, um das kritisch zu sehen. Es wird immer schwerer, diese Stadt noch so zu lieben, wenn man sieht, wie hier mit Subkultur umgegangen wird. Das ist eine Tragik, die sicherlich nicht nur Jena betrifft, aber in Jena ganz besonders zum Tragen kommt.

Es wird immer schwerer, diese Stadt noch so zu lieben, wenn man sieht, wie hier mit Subkultur umgegangen wird.

Ihr habt daraufhin Benjamin Koppe, Sebastian Wick und Andres Kuhn (Stadion-Betreiber) als “Feinde des Jenaer Fußballs” betitelt. In der Stadt tauchen seitdem immer wieder Graffiti und Sticker auf, die sich gegen die Genannten richten. Das trägt jetzt auch nicht zur Entspannung der Lage bei.

Vieles von dem, was auf der Straße passiert, ist gar nicht steuerbar – aber ich finde vieles nur logisch. Wir erleben, wie aktiv gegen die Jugendkultur gearbeitet wird, das frustriert natürlich viele. Wenn Koppe, Wick und Kuhn weiterhin so gegen den Verein arbeiten und gegen die Leute, die den Verein so aktiv ausleben, dann gibt es da auch nichts zu besprechen. Sie arbeiten gegen uns, sie sind Feinde des Jenaer Fußballs, anders kann man es nicht beschreiben.

Im Spiel gegen Chemnitz im September stand die Partie kurz vor dem Abbruch, weil in der Südkurve die Fluchttore von Zaunfahnen überhangen wurden. Das war schon immer verboten, wurde in den letzten Jahren aber ausnahmslos toleriert, diesmal nicht. Das Spiel wurde unterbrochen und ihr aufgefordert, die Zaunfahnen abzunehmen – andernfalls käme es zum Spielabbruch. Ihr habt euch damit recht lange Zeit gelassen und dann das Stadion verlassen. Für mich wirkte das alles wie ein großer Machtkampf zwischen Stadt und Südkurve. 

Als Machtkampf würde ich es nicht beschreiben, aber auch hier wurden wir in der Auslebung unserer Fankultur behindert. Die Choreographien auf der Tribüne sind für uns eines der zentralen Mittel, um unsere Mannschaft zu unterstützen. Dass wir dann lange gewartet haben, bevor wir die Zaunfahnen entfernten, war auch wichtig, um die Absurdität der ganzen Sache aufzuzeigen. Viele sind nach dem Spiel zu uns gekommen und haben sich gewundert, warum jetzt plötzlich die Zaunfahnen zum Problem stilisiert werden, die sonst nie Thema gewesen sind auch interessant, dass es hier konkret um unsere Fahne “unbeugsam und unverkäuflich geht”, die für uns ganz zentral ist. Aber da sind wir auch offen, uns mit den verantwortlichen Akteuren auseinanderzusetzen, wenn diese wirklich an einer Lösung interessiert sind – und das sind nicht die beiden Ex-Bullen und auch nicht der Kommunalpolitiker, der sich in Law-and-Order Manier an die Seite der Exekutive schlägt. Da wird es in Zukunft sicherlich Lösungen geben, aber diese sind nicht mit Andreas Kuhn, Sebastian Wick und Benjamin Koppe zu finden.

Der Spielabbruch war in dem Moment die wahrscheinlichste Folge eures langen Wartens. Geht der Protest zu weit, wenn man damit nicht nur dem Verein schadet, sondern auch konkret der Mannschaft?

Uns war die Gefahr natürlich bewusst, aber wir wollten klar machen, dass wir nicht direkt einknicken. Wäre es soweit gekommen, wäre das für die ganze Stadt eine große Niederlage gewesen: Ein Spiel abzubrechen, weil Fluchttore verhangen wurden, die auch schon die letzten Spiele verhangen waren, ist absurd. Mit welcher Logik will man das denn erklären? Ist es nicht so, dass die Feinde des Jenaer Fußballs hier ihre Feindschaft schlussendlich auf den Höhepunkt getrieben haben? Ich glaube schon.

Da haben die Ultrasvon Chemie nicht ganz unrecht mit ihrem Spruchband “Der Fisch stinkt vom Koppe her” ich kann die Chemiker wirklich nicht ausstehen, aber den Spruch finde ich ziemlich gut. 

Wenige Tage später folgte das Spiel gegen Lok Leipzig, bei dem von Seiten der Stadt die Kapazitäten im Gästeblock aus Sicherheitsgründen weiter verringert wurden. Ihr erklärtet daraufhin, Lok-Fans mit Tickets in anderen Bereichen des Stadions auszustatten. Die ganze Aktion stellte sich dann als Bluff heraus. Was war die Idee dahinter?

Auch hier wollten wir wieder die Absurdität des Ganzen aufzeigen: Die Stadt verringert die Gästeplätze und geht damit das Risiko ein, dass sich Gästefans Tickets in anderen Blöcken im Stadion holen. Dann stehen da mitten im Familienblock eine Handvoll Lok-Fans das ist was, was nicht ganz unrealistisch wird, wenn man solche Entscheidungen trifft. Das kann niemand wollen. Ich glaube auch hier geht es viel um Kalkül seitens der Ämter: Da gibt es Menschen, die einfach ihre Profilneurose ausleben möchten. Schlussendlich hat das Spiel gegen Lok aufgezeigt, dass es gar nicht um Sicherheitsbelange geht. Denn es wurde von behördlicher Seite nicht auf die Ankündigung reagiert, dass sich Gästefans im Heimbereich tummeln könnten. Viel deutlicher wird dadurch die persönliche Ebene des Konflikts und die damit verbundene Willkür

Da gibt es Menschen, die einfach ihre Profilneurose ausleben möchten.

Letzte Frage: Wie würde der FCC ohne seine Ultras aussehen?

Das wird jetzt philosophisch. Wenn man mal in die 90er bis 2000er Jahre schaut, da waren Stadien nicht unbedingt der krasse, stimmungsvolle Ort – da hat die Ultrabewegung in ganz Deutschland viel verändert. Ohne Ultras wären Stadien ganz schön triste und graue Orte, das sieht man auch in anderen Ländern, wo es diese Fankultur nicht gibt. Aber ich glaube, Ultras sind mittlerweile nicht nur essentiell für die Kurve, sondern auch gesellschaftlich. Für viele, gerade Jugendliche, ist das ihre Subkultur, die sie mitgestalten können und wo man mit vielen Projekten lernt, was Solidarität bedeutet. Gerade hier im Osten, wo viele Vereine von der Wiedervereinigung überhaupt nicht profitiert haben, ist es daher zentral, dass Ultras weiter existieren können und nicht täglich mit Repressionen konfrontiert werden.

Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 453, November 2025


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