Karl mag´s kulturell

Chemnitz gilt als hässlich, stehengeblieben und rechts. Kommt mit dem Titel Kulturhauptstadt Europas jetzt der Imagewechsel?

Text von Isabell Horst
Illustration von Rebecca Poppe

Als sich die Stadt Chemnitz 2020 für den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 bewarb, hatte sie wohl nicht viel zu verlieren. An ihr kleben viel Platte, Leerstand und das Stigma einer abgehängten Stadt, die ihrem früheren industriellen Glanz nachtrauert. Ihr Ruf steht exemplarisch für die Rückständigkeit und die Strukturschwäche Ostdeutschlands. Auf diesem Nährboden aus Frust, Abstiegsangst und Vernachlässigung gedeihen seit der Wende angehende Nazis und Systemskeptiker besonders gut. Und spätestens seit den rechtsextremen Ausschreitungen infolge einer Messerattacke 2018 ist klar: Chemnitz hat ein Problem mit Ausländerhass. 

Dass sich ihr Konzept gegen jene aus Hannover, Magdeburg und Nürnberg durchsetzen konnte, kam wohl für viele als Überraschung. Jetzt hat Chemnitz die einmalige Chance, mit den EU-Geldern Kulturprojekte anzukurbeln, die Demokratie, Akzeptanz und Weltoffenheit fördern. 
Unter der Prämisse, besonders viele Menschen und Regionen an der Förderung teilhaben zu lassen, wurde die Geldtorte in viele Stückchen geteilt. Statt eines Großprojekts im Stadtinneren, konnten so mehrere Initiativen in und um Chemnitz finanziell gefördert werden. Das Ziel ist, möglichst vielen Menschen Sichtbarkeit zu schenken.

2025 C-Town represent!

Trotzdem fällt beim Besichtigen von Chemnitz auf: Wer die Kulturhauptstadt nicht sucht, wird sie nicht finden. Zwar kündigen große Werbetafeln das Thema „C the unseen“ vielerorts an. Doch wo sich das Ungesehene versteckt, muss man dann erstmal ergoogeln. Die Website ihrerseits wird dabei zur bilingualen Herausforderung. Begriffe wie „Maker Hubs“, “Purple Path”, oder „Legacy Program“ verstehen selbst Englisch-asse nicht sofort. Der hippe internationale Slang zeigt auf ungelenke Weise den Generationenspagat auf, den die Kulturhauptstadt zu turnen versucht. 

Dafür dürften sich die älteren Karl-Marx-Städtler durch das 3000 Garagen Projekt repräsentiert fühlen. Alte Garagenhöfe werden als Kunst-, Musik- und Ausstellungsorte inszeniert. Omis und Opis finden sich in den Geschichten wieder und geben ihr Reparaturwissen an jüngere Generationen weiter. Ein bisschen “la ostdeutsche vita” für die Nostalgiker und DDR-Romantiker.

Das alles sind Versuche, die Chemnitzer für ihre eigene Stadt und vor allem für die Vorteile einer transkulturellen Gesellschaft zu begeistern. Sichtbarkeit und Teilhabe als Medizin gegen die Politikverdrossenheit und das Abgehängtheitsgefühl. Der Zuzug junger Menschen und neuer Unternehmen wäre ein unterstützender Nebeneffekt.

Der Rechtsruck hat bekanntermaßen nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in ganz Europa stattgefunden. Der Druck ist groß, Ergebnisse zu liefern. Wenn das Experiment funktioniert, gibt es noch Hoffnung. Das Allheilmittel der Kultur wäre somit bewiesen. Die AfD könnte sich ihre Boxhandschuhe nach verlorenem Kulturkampf ausziehen. Doch ist die Kulturhauptstadt der Rettungsring, der Chemnitz aus dem braunen Schlamm zieht?

Ob der Titel Kulturhauptstadt die Anziehungskraft und Attraktivität Chemnitzs nachhaltig steigern wird, bleibt zweifelhaft. Auch wenn Clubs wie Atomino, Transit oder Weltecho ihr Bestes geben – die coolen Spots stehen seltsam alleine dar, ohne kulturelles Zentrum oder Szeneviertel. Ein Kiez, der primär linken und weltoffenen Zeitgenoss:innen gleichermaßen Zuflucht und Bühne bietet, könnte den Stein ins Rollen bringen. Bei dem Versuch, jeden mit ins Boot zu holen, hat die Kulturhauptstadt vergessen, die Segel zu setzen und die Windrichtung zu prüfen.

Aber egal ob Kulturhauptstadt Europas oder nicht, Chemnitz aufgeben ist keine Option, denn das würde bedeuten, die Stadt den Rechten zu überlassen. Wer heute noch dorthin zieht, muss zäh sein und Bock auf ein Projekt haben, das vielleicht nie ganz fertig wird. Sich in Chemnitz zu engagieren und für Veränderung zu kämpfen, hat hier mehr Bedeutung als in Berlin oder Hamburg. Chemnitz ist keine fertige Stadt.

Dieser Text erschien in der Ausgabe Nr. 451, Oktober 2025


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