Leser:innebrief: “Fall Dietze”

Im Dezember 2023 berichtete das Akrützel über die Entlassung der Jenaer Geschichtsprofessorin Carola Dietze, den Artikel könnt ihr hier nachlesen. In seinem Leserbrief blickt Prof. Friedemann Schmoll auf das zurück, was sich seitdem getan hat.

von Prof. i.R. Friedemann Schmoll
17.10.2025

Vor fast zwei Jahren, im Dezember 2023, berichtete „akrützel“ über den „Fall Dietze“. Carola Dietze, Professorin für Neuere Geschichte, drohte ihren Arbeitsplatz an der FSU zu verlieren und damit nicht nur ihre berufliche Existenz. Nachdem ihr im Gutachten des Direktors des Historischen Instituts die „persönliche Eignung“ abgesprochen worden war, fand sich im Rat der Philosophischen Fakultät in einem strittigen Verfahren zwar zunächst eine numerische, aber keine absolute Mehrheit für die Entfristung ihrer Stelle als verbeamtete Professorin auf Zeit. „Das sollen die Gerichte entscheiden“, so lautete damals ein wiederholt angeführtes Argument in den Sitzungen des Fakultätsrats, mit dem die Verantwortung weitergereicht wurde und der Geschichte Legitimität verliehen werden sollte. Carola Dietze ist nicht mehr Angehörige der FSU, die Folgen des Verlusts nicht nur ihrer beruflichen Existenz trägt sie weiterhin. Weil diese Geschichte vor Gerichten, die fernab universitärer Öffentlichkeit tagen, also weitergeht, sollte berichtet werden, was mittlerweile geschah.

Ihr Eilantrag auf Beschwerde gegen die Nichtentfristung wurde zunächst im April 2024 vom Verwaltungsgericht Gera und Mitte Juli 2025 nach weit über einem Jahr auch vom Thüringer Oberverwaltungsgericht abgewiesen. Mittlerweile, nach fast drei Monaten im Oktober, erhielt sie die Begründung dieses Beschlusses. Ein gravierendes Problem: Verwaltungsgerichte sind allenfalls an den Formalien durchgeführter Verfahren interessiert, kaum aber am Wahrheitsgehalt der erhobenen Vorwürfe, die das universitätsinterne Verfahren im Gegensatz zu einer Vielzahl vehement positiver Stellungnahmen aus dem Kreis ihrer Mitarbeiterinnen, zahlreicher Kollegen und Kolleginnen sowie externer Gutachten massiv dominierten und schließlich zur Nicht-Entfristung führten. In diesem Verfahren ist einiges schiefgelaufen, weshalb der vom „akrützel“ so titulierte „Fall Dietze“ noch immer Fragen stellt. Wie angemessen war das von der FSU vorgesehene und in der Philosophischen Fakultät durchgeführte Verfahren, durch das die Entscheidung zustande kam? Dass es, wie vom Oberverwaltungsgericht beurteilt, rein formal korrekt verlief, sei dahingestellt. Die Frage jedoch, ob es angesichts der vorliegenden Problematik sowie der Schwere der Konsequenzen den ihm innewohnenden Herausforderungen entsprochen hat, soll allerdings entschieden bezweifelt werden.

Aus meiner Sicht: In dem Verfahren entfaltete ein Gutachten des Direktors des Historischen Instituts, in dem u.a. von „Machtmissbrauch“ und „toxischen Arbeitsverhältnissen“ die Rede war, selbst toxische Wirkung. Ich würde diesen Begriff aufgrund seiner Giftmetaphorik und deren langen Geschichte in Praktiken der Ausgrenzung nicht verwenden, wäre er in diesen Zusammenhängen nicht gefallen. Nicht Menschen sind toxisch, der Begriff des Toxischen selbst wirkt vergiftend und zeitigt vernichtende Wirkmacht. Sein Gebrauch verfolgt eine unzweideutige Absicht: Unabhängig der tatsächlichen Verhältnisse legt sich vermeintlicher Giftstoff über die markierte Trägerin und zeitigt die gewünschten Effekte der Brandmarkung. Ob verlässlich festgestellt, Vermutung oder Unterstellung. Der Begriff fungiert als Angstmacher, nicht als Aufheller. Sein Gebrauch dient jedenfalls weder als Appell zu Aufklärung noch zu erhellender Auseinandersetzung, sondern mobilisiert Abwehr und das Bedürfnis nach Unschädlichmachung.

So auch in diesem zähen und aufreibenden Verfahren im Rat der Philosophischen Fakultät 2023. Nachdem im Juli ein erster Antrag auf Entfristung mit zehn Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen und vier Enthaltungen gescheitert war, folgten weitere Sitzungen, in denen vergeblich gefordert wurde, den erhobenen Vorwürfen ausführlicher nachzugehen, um ihren Wahrheitsgehalt systematisch zu überprüfen. Ende Dezember war die Stelle als Beamtin auf Zeit ausgelaufen, Kollegin Dietze konnte ihren Beruf an der FSU nicht mehr ausüben. Aus meiner Sicht: Dieses Verfahren war eskaliert, weil eine Entscheidung gefällt wurde, ohne dass die im Raum stehenden Anschuldigungen verifiziert werden konnten. Möglichkeiten, den Prozess zu kontrollieren und ihn auf Kriterien zu verpflichten, die sowohl rechtsstaatlichen Prinzipien als auch gängigen Regeln wissenschaftlicher Praxis entsprochen hätten, gab es durchaus. In den hastigen Bezichtigungs- und Behauptungsgefechten war es nicht möglich, die Tatsächlichkeit der gutachterlich aufgeblähten Unterstellungen seriös und stichhaltig zu überprüfen. Ein konsequenter Schritt aus dieser Unübersichtlichkeit hätte darin bestehen können, eine unabhängige Kommission zur Überprüfung einzusetzen, wie dies im Übrigen an anderen Universitäten in solchen Verfahren üblich ist. Vorschläge hierfür stießen mit Hinweisen des Zeitdrucks auf Ablehnung.

Manche Dinge brauchen Zeit. Wenn man sich diese schon nicht nehmen wollte, hätte zumindest eine Verständigung darüber vollzogen werden müssen, nach welchen Maßstäben die Glaubwürdigkeit der erhobenen Unterstellungen überprüft werden sollten. Welche Formen benötigt es und nach welchen Regeln kann ein solches Verfahren vollzogen werden? Es müssen dies – unabhängig der betroffenen Person, sondern generell – Regeln sein, die im Umgang mit alltäglichen Konflikten wie selbstverständlich üblich sind, rechtsstaatlichen Prinzipien genügen und die erst recht einer wissenschaftlichen Institution gut anstehen würden, die der Gewinnung überprüfbarer Erkenntnisse und der Ermittlung von Wahrheiten verpflichtet ist. Auf alle Fälle müssen sie sichern, dass sich Anschuldigungen nicht in (falschen) Behauptungen erschöpfen und Möglichkeiten der Denunziation und Verleumdung verhindert werden. Ganz einfach: Fairness, Unabhängigkeit der Begutachtung, die Anwendung geeigneter Instrumente und Methoden der Ermittlung, ein Anspruch von Beschuldigten und Betroffenen auf Gehör und Stellungnahme. Im Zweifel sollte auch hier der rechtliche Grundsatz der Unschuldsvermutung gelten.

Die Auseinandersetzungen im Rat der Philosophischen Fakultät verliefen 2023 keinesfalls auf der Grundlage eines solchen Reglements. Wie gründlich wurden eigentlich die vorliegenden Gutachten begutachtet, um ihnen entsprechendes Gewicht und notwendige Autorität einzuräumen? Die als Behauptungen in den Raum gestellten Vorwürfe erschöpften sich in Schlagwörtern des Mobbings, der Dysfunktionalität oder toxischer Arbeitsverhältnisse, die weder gewissenhaft auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft noch durch tatsächlich festgestellte Fälle dingfest gemacht werden konnten. Ein Zusammenhang zwischen diesen Schlagwörtern und den realen Bedingungen am Lehrstuhl für Neuere Geschichte konnte nicht hergestellt werden. Eigentlich wird systematisch und methodisch kontrolliertes Vorgehen sowie ein korrekter Umgang mit Daten und Fakten von Studierenden in jeder Haus- oder Abschlussarbeit erwartet. Warum nicht hier? Eine hinreichende Aufklärung durch sorgfältige Ermittlung blieb aus, sodass nach rechtsstaatlichen Maximen an der Unschuldsvermutung hätte festgehalten werden müssen. Auch wenn den Mitgliedern des Fakultätsrats eine ganze Reihe anderer Unterlagen wie positive Stellungnahmen nicht nur von Mitarbeiterinnen des Lehrstuhls und Repliken der betroffenen Hochschullehrerin zur Verfügung gestellt wurden, stellt sich die Frage nach der Gewissenhaftigkeit der Überprüfung von den im Gutachten des Institutsdirektors vorgetragenen Behauptungen, die die „persönliche Eignung“ in Zweifel gezogen hatten.

Der „akrützel“-Titel im Dezember 2023 „Der Fall Dietze“ suggeriert, dass die Problematik der ganzen Geschichte in erster Linie mit der genannten Person zusammenhängt. Könnte es sich auch um einen „Fall Historisches Institut“ handeln? Mir scheint die eigentliche Problematik primär in einem höchst fragwürdigen Verfahren zu liegen, mit dem eine aus welchen Gründen auch immer missliebige Kollegin entfernt werden sollte. Wie gesagt: Dieser „Fall“ stellt nach wie vor jede Menge Fragen. Wer hat hier „Machtmissbrauch“ betrieben oder sich „Fehlverhalten“ geleistet – die Beschuldigte oder jene, die solche nicht systematisch geprüften Beschuldigungen an ihre Person adressierten? Was war hier toxisch – die Arbeitsverhältnisse am Lehrstuhl oder das Gutachten des Direktors im Historischen Institut? In jedem Fall: Da ist etwas eskaliert, das dringender Korrektur bedarf.

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