Studenten wurden zur Bibliothek befragt
Von Anna-Sophie Heinze und Susanne Veil
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Zum Kaffeetrinken unter Palmen bietet sich die Thulb an. Zum lernen ist es dafür nicht immer so paradiesisch. Foto: Katharina Schmidt |
„Das ist wie bei einer Decke, wissen Sie.“ Zieht man an einem Ende der Decke, mit der man sich zuzudecken gedenkt, fehlt es an deren anderem Ende, so Thulb-Direktorin Sabine Wefers. Fachreferatsleiterin Kerstin Helmkamp beklagte ihrerseits, ein Fuß liege bereits frei. Die beiden Damen sprechen von der Situation der Universitätsbibliothek und vielleicht hat der ein oder andere Student auch schon einige Löcher und ein ihnen geschuldetes Frösteln am eigenen Leib bemerkt. Ein solches Frösteln kann den prüfungsgeplagten Studenten zum Beispiel befallen, wenn dieser auf der vergeblichen Suche nach einem Arbeitsplatz durch die Bibliothek tigert oder mit rauchendem Kopf dort verdurstet. Um solche Löcher aufzuspüren und diese im besten Fall auch zu flicken, führte der Stura im vergangenen Jahr eine ausführliche Umfrage zur Bibliothekssituation durch. Deren Auswertung zeigt nun, dass die Forderungen der Studenten an ihre Bibliothek mit deren Kapazitäten unvereinbar sind. Das allein ist keine Überraschung. Raum für Verbesserungen besteht immer, darin sind sich alle Beteiligten einig. Dennoch gehen die Interpretationen der Ergebnisse weit auseinander.
Dankbarkeit und Entsetzen
Die Bibliotheksdirektion bedankt sich auf ihrer Homepage bei den 43 Prozent der Studierenden, die keine Veränderung für notwendig halten. Der Stura hält dies für eine Fehlinterpretation. So betont die Vorsitzende der „AG Bibliothek“, Anna-Luise Friedrich: „Tatsächlich haben gerade mal 11 Personen in der Umfrage als oberste Priorität angegeben, dass keine Veränderungen nötig seien“. 60 Prozent der Studenten beurteilen die Bibliothek mit „gut“ oder „sehr gut“, dies sei kein Grund dafür keine Veränderungen für nötig zu befinden. Der Stura ruft darum die Bibliothek zu gemeinsamen Verbesserungsanstrengungen auf. Von dieser war allerdings schon im März letzten Jahres die Initiative ausgegangen. Einem Gesprächsaufruf folgte das „Forum Bibliothek“. Auf der Suche nach konkreten Optimierungsmöglichkeiten gründete der Stura dann die „AG Bibliothek“. Deren erste Handlung war es, neben etlichen Gesprächen, einen umfangreichen Fragebogen auszuarbeiten. In den da- rauffolgenden Monaten nahmen 1.608 Studierende daran teil. Am 4. April trafen sich der Stura und die Thulb-Direktion nun, um die Auswertung zu besprechen. Milde ausgedrückt prallten dort zwei gegensätzliche Lesarten der Ergebnisse aufeinander. Anna-Luise Friedrich betont, wie wichtig es hierbei sei, dennoch an einem Strang zu ziehen. Nur wenn sich die Thulb weiterhin gesprächsbereit zeige, könne die Bibliothekssituation verbessert werden.
Wasserchaos
Der Großteil der Studenten wünscht sich einen Ausbau der Bücherbestände und eine Veränderung der Öffnungszeiten. Außerdem bestehen Forderungen nach besseren Ausleihbedingungen. Auch die Antwort auf die Frage, warum man in den heiligen Hallen nicht einmal Wasser trinken dürfe, stieß bei zahlreichen Bibliotheksbesuchern auf Unverständnis.
Es fehle schlichtweg an Personal, so die Thulb-Direktorin. Sie hält stur daran fest, eigens mitgebrachte Wasserflaschen würden vor allem für eines sorgen: Wasserränder auf den Tischen. Äußerst verbindlich versucht Frau Wefers Verständnis herzustellen und klagt von ihrer eigenen Wasserflasche. Die verursache durchaus Wasserränder und sorge so für zusätzliche Abwischarbeit. Um die Tische der Bibliothek häufiger putzen zu können, brauche man eine größere Anzahl von Reinigungskräften. Weitere Vorschläge, wie die Installation von Wasserspendern, die Idee eines Sammelregales für Getränkeflaschen im Treppenhaus und einiges mehr wurden kompromisslos abgeschmettert. Unhygienisch, unruhestiftend, chaotisch – „das geht einfach nicht“.
Die Gretchenfrage bleibt: Wie kann man mit weniger Personal mehr Studenten eine bessere Betreuung zukommen lassen? Dieses Urproblem zieht sich durch alle weiteren Diskussionspunkte. Beispielsweise ist umstritten, inwiefern man den Studenten bezüglich der Öffnungszeiten entgegenkommen kann. Zwar geben es die Kapazitäten nicht her, die Zeitspannen insgesamt zu verlängern, wann die Pforten geöffnet werden, ist hingegen flexibel. Hier wird die Uneinigkeit der Studenten zum Problem. Die Forderungen verteilen sich querbeet über „länger öffnen“, „früher öffnen“, „mehr unter der Woche öffnen“ oder „mehr am Wochenende öffnen“. Es ist allerdings der Wunsch nach längeren Wochenendöffnungszeiten erkennbar. Außerdem setzten sich die Frühaufsteher durch, die Tendenz geht klar in Richtung morgens früher öffnen. Wohingegen nur circa 20 Prozent auswählten, die Bibliothek solle abends länger geöffnet bleiben. Frau Wefers meint hinter den Wünschen nach Wasser, mehr Ruhe und Platz ein ganz anderes Problem entdeckt zu haben: „Das sind alles Themen des Ordnungsreglements.“ Es fehlt schon zu den bestehenden Öffnungszeiten an Personal vor Ort, das für Ordnung sorgen könnte. Darum müsse man die Öffnungszeiten eher verringern, wenn man den Betreuungsstandard verbessern möchte. Zwei sehr verschiedene Herangehensweisen an ein Problem, die eine Einigung unwahrscheinlich erscheinen lassen. „Es ist alles eine Frage des Könnens, nicht des Wollens“, so Frau Wefers.
Luftschlösser für die Thulb
Darum wurden der Thulb im letzten Jahr aus dem Haushalt der Universität zusätzlich 300.000 Euro zur Verfügung gestellt. Eine bisher einmalige Investition, mit der man den Bestand der Bibliothek aufstockte und besonders das Online-Angebot ausbaute. Hier muss allerdings noch Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit eBooks und andere elektronisch verfügbare Medien ihre Vorteile entfalten können. Auf diese setzt die Bibliotheksleitung um Frau Wefers in besonderem Maße: „eBooks gewährleisten sehr gute Ausleihbedingungen.“ Außerdem würde dies die Räumlichkeiten erheblich entlasten.
Täglich tummeln sich hunderte fachfremde Studenten in den Räumen der geisteswissenschaftlichen Teilbibliothek, die offiziell nicht das Hauptgebäude der Thulb ist. Übelnehmen kann man es ihnen jedoch nicht. So wurden in den letzten Jahren zwar eine Bibliothek für Geisteswissenschaften und eine für Sozialwissenschaften eingerichtet, die Realisierung eigener Zentralbibliotheken für Naturwissenschaften und Medizin lässt jedoch auf sich warten. Das Konzept von vier großen Teilbibliotheken hat die Universität nie umgesetzt. Stattdessen müssen sich Biologen, Physiker und Co. mit zahlreichen Zweigstellen zufrieden geben. Dort hapert es jedoch ebenfalls an Personal, sodass sie meist nur für wenige Stunden geöffnet werden können. Hier hofft die Bibliotheksleitung auf kommende Investitionen der Uni-Leitung, die das ursprünglich geplante Konzept endlich ermöglichen können.
Große Erwartungen bezüglich der Raumproblematik, stellt die Thulb zunächst an die geplante Einrichtung einer Gesamtbibliothek für Naturwissenschaften. Damit würden bereits viele Probleme gelöst. Andere Bibliotheken würden entlastet, das Personal müsste sich nicht mehr auf viele verschiedene Zweigstellen verteilen. Statt der Teilzeitbetreuung würde man an der zentralen Einrichtung längere Öffnungszeiten ermöglichen können. Das hülfe nicht nur den Studenten beim Lernen, sondern wäre auch für die Reinigungskräfte und das Dezernat für Technik von Vorteil.
Neben dieser gemeinsamen Hoffnung ist man aber bei anderen Verbesserungsansätzen nicht weit gekommen. Die Positionen scheinen festgefahren. Der Stura besteht auf Umsetzung seiner Forderungen und die Thulb begründet die Unmöglichkeit stets mit der eigenen Überlastung.
Empfindlichkeit statt Kritikfähigkeit
Die Bibliotheksdirektion empfindet die Umfrage des Stura allerdings als Provokation. Frau Wefers fühlte sich regelrecht überrollt von einer „Problematisierungswelle“, die nicht der tatsächlichen Situation entspreche. Die Bibliothek sei zu Unrecht in den Fokus gelangt. Dabei gäbe es infolge des Bologna-Prozesses dringendere Probleme und Baustellen innerhalb der Universität. Sie sieht die Verhältnisse durch die Umfrage wieder zurechtgerückt und freut sich über „mündige Studenten“, die sich auch trauen ihre Zufriedenheit auszudrücken und sich mutig der „Problemrhetorik“ entgegenstellen. Damit sieht die Thulb-Leitung ihre eigenen Beobachtungen bestätigt. Nach all dem positiven Feedback und der erfolgreichen Arbeit mit dem Kummerkasten zeigte sich Frau Wefers gerührt über die „positiven Umfrageergebnisse“. Trotz der schlechten Finanzlage habe man das Bestmögliche erzielen können, und das werde von den Studenten auch so wahrgenommen. Niemand hat behauptet, dass die Bibliothek das Hauptproblem der Universität wäre, entgegnet Anna-Luise. Von einem überaus positiven Echo in der Umfrage möchte sie nicht sprechen und zeigt sich schockiert über die Schönfärberei von Seiten der Bibliotheksleitung.
Noch ist nicht klar, ob der Haushalt der Universität auch dieses Jahr wieder zusätzliche Mittel für die Thulb vorsieht. Die Bibliothek benötigt diese Fördergelder dringend. Denn damit steht und fällt die Umsetzung der geforderten Verbesserungen. Ohne den personellen Zuwachs kann weder für längere Öffnungszeiten noch für bessere Betreuung oder die Kontrolle des Lärmpegels gesorgt und auch nicht gegen das „Swimmingpool-Phänomen“ vorgegangen werden. Damit ist das Besetzen ohne Nutzung von Arbeitsplätzen gemeint. Hier sieht die Thulb-Leitung keine Möglichkeit, ein Parkscheiben-System, wie es bereits an anderen Unis existiert, in Eigenverantwortung der Studenten einzuführen. Eine Änderung der Nutzungsordnung müsste dann auch von den Mitarbeitern der Bibliothek durchgesetzt werden. Ohne mehr Personalaufwand scheint dies unmöglich und das Platzproblem unlösbar. Damit wären dann auch wieder das Ausgangsproblem erkannt und konkrete, zügige Verbesserungsanstrengungen galant umgangen.
Die Studenten müssen sich also in Zukunft warm anziehen, denn wie es scheint, wird die Decke weiterhin löchrig bleiben.
Da hilft doch nur die Palme nach draussen zu stellen :-).