„Nicht der Endpunkt“

Ein Interview mit dem Gründer des Nazi-Ausstiegsprogramms Exit

Das Gespräch führte Johanne Bischoff




Bernd Wagner gründete vor mehr als 20 Jahren Exit, eine Inititative, die Nazis beim Ausstieg aus der Szene begleitet. Inzwischen sind mehr als 430 Austeiger betreut worden. Dabei sind die Schattierungen der Ideologie vielseitig: Vom klassischen Neonazi über Rechte aus der Rockerszene bis hin zu Nazisatanisten hat Wagner schon vielen geholfen. Mit Akrützel sprach Bernd Wagner über den Weg aus der Szene, die Konsistenz des „rechten Weltbildes“ und die gut gelungene T-Shirt-Aktion beim „Rock für Deutschland“.Foto: privat

Wie ist Exit entstanden und was ist die Idee dahinter?

Ich habe 1990 eine Abteilung als Kriminalpolizeioffizier beim Staatsschutz übernommen. In meiner Arbeit habe ich einige Personen aus der Naziszene kennengelernt. Die hatten Straftaten begangen und wurden dafür verurteilt. Trotzdem habe ich bei denen gesehen, dass das nicht der Endpunkt ihres Lebens war. Einige haben signalisiert, dass sie die Szene verlassen wollen, aber alleine nicht können. Die brauchten Unterstützung, angefangen bei jemandem, der ihnen zuhört. Das Wichtigste aber ist, dass sie sich mit ihrer verbrecherischen Ideologie auseinandergesetzt haben. So haben sie begriffen, dass ihr Weg ein falscher ist. Es ist dann sinnvoll, ihnen bei ihrem Neuanfang zu helfen.
Ich bin später bei der Polizei ausgeschieden, habe dann im Bereich der Beratung in Sachen Rechtsextremismus gearbeitet und nebenbei Leute auf dem Weg aus der Szene begleitet.
Im Jahr 2000 habe ich dann mit Ingo Hasselbach, einem ehemaligen Naziführer aus Berlin, die Initiative gegründet, um eine Systematik in die Arbeit zu bringen. Zweifelnde Neonazis sollten die Möglichkeit haben, den Schritt heraus zu gehen.
Wie läuft ein Ausstiegsprozess in der Regel ab?
Es beginnt damit, dass die Nazis Zweifel an der Ideologie haben oder sich für begangene Straftaten schämen. Dann rufen sie uns an. Wir bekommen aber auch E-Mails oder Briefe. Die kommen vorwiegend von Häftlingen aus dem Justizvollzug. Der persönliche Kontakt kommt recht schnell zu Stande und wir beginnen die Situation zu diagnostizieren, in der sie sich befinden. Dann geht es Schritt für Schritt weiter.

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Krieg’ ich auf die Fresse?

Das Rätsel der richtigen Konfrontation

Von Christian Fleige

Dieser Tage scheint angesichts der Verbrechen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds, kurz NSU, alles ganz einfach. Ob der unwirklichen Narrenfreiheit, die Täter und Unterstützer genossen, lässt sich nun kinderleicht gegen Dienste und Behörden wettern. Der obligatorische Ruf nach einem NPD-Verbotsverfahren kommt ganz entspannt über die Lippen, ist durch die nun wohl aufgeklärten „Döner-Morde“ wieder en vogue. Das Unwort des Jahres? „Döner-Morde“, logisch. Aber? Nein, zunächst einmal kein Aber.

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„Das war die erste Liebe“

Albrecht Schröter über die palästinensische Partnerstadt Beit Jala

Das Gespräch führten Kay Abendroth und Maria Hoffmann




Träumt von Völkerverständigung: Jenas OberbürgermeisterFoto: Daniel Hofmann

Seit dem 20. September 2011 hat Jena offiziell eine weitere Partnerstadt, um internationale Beziehungen zu pflegen: das palästinensische Beit Jala. Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter hat den Kontakt zusammen mit anderen stadtbekannten Gruppen durch mehrere Reisen bereits während seiner Zeit als Pfarrer aufgebaut. Das Akrützel sprach mit ihm über den langen Weg zur Partnerschaft, Friedensbemühungen und die Begegnungen zweier unsicherer Völker.

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Neuseeländische Sportkultur

Poi: Vom künstlerischen Wirbeln mit Bändern

Von Simon Herker




Und immer schön Abstand haltenFoto: Daniel Hofmann

Wenn der Jongleur seine Bälle für jedermann offensichtlich an einem Seil in der Hand hält, ist es nicht unbedingt Betrug am Zuschauer: Vielleicht ist es Poi. Das süße explosive Wort mit den drei Buchstaben bezeichnet sowohl Sportart, als auch Sportgerät. USV-Trainerin Sandra Rienow drückt mir einen halben Meter blaues Stoffband in die rechte Hand. Ein zweites Band legt sie mir in die linke. An den Enden ist je ein kleines Säckchen mit Reiskörnern eingenäht. Die Bänder hängen herunter, die Gewichte baumeln ein wenig. „Und jetzt in Kreisen nach hinten schwingen!“, dirigiert mich Sandra. Also kreise ich meine Handgelenke. Sofort wird der Impuls an die Stoffbänder weitergegeben. In einer Kreisbahn rauschen die Bänder an meinen Ohren vorbei. Plötzlich läuft es wie von allein: Zentrifugalkraft live und direkt aus meinen Händen. „Jetzt führe die Arme ausgestreckt vor dem Körper zusammen.“ Die Stoffbeulen klatschen aneinander, die Bänder hängen wieder herunter. Ich beginne von vorn.

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Narben der Vergangenheit

Ausstellung in Weimar über die Folgen des 11. September

Von Daniel Hofmann




Shahab Fatouchis „Zero Anaphora“: Libellen sind Insekten, die selbst ihre eigene Art angreifen.Foto: Daniel Hofmann

Zwei Türme fallen und mit ihnen ein Weltbild. Als das World Trade Center von zwei Flugzeugen getroffen wurde, veränderte sich nicht nur in den USA das Leben. Um das Gefühl von Hilflosigkeit zu bekämpfen, wurden in der ganzen Welt Kontrollen verschärft, Gesetze verabschiedet und Menschen eingesperrt. In der Ausstellung „Changes“ in der ACC Galerie Weimar widmen sich neun internationale Künstler dieser Situation. Dabei steht nicht der Anschlag im Vordergrund oder darauf folgende Kurzschlussreaktionen der Regierungen, sondern die Frage, wie sich Gesellschaft und Kunst verändert haben.

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Selig sind die Überzeugten

Das vermeintlich gute Gewissen liegt nicht immer auf der Straße

Von Maria Hoffmann und Maximilian Gertler

Und siehe, da war einer, der kam auf einem Fahrrad daher. Gut sichtbar schrieb er seine Botschaften in großen Lettern auf Tafeln und stellte sich auf den weiten Platz. Er sprach zu den Menschen mit großen Gebärden und lauter Stimme. Da runzelten sie die Stirn und gingen ihres Weges. Aber wer doch stehen blieb wurde bedacht mit Worten und Weissagungen alter Art. Einige nahmen sich der Botschaften an, andere verspotteten ihn. So trug es sich zu. Alle Tage und Sisyphos gleich, wurde er nicht müde zu predigen.

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„Aktivierung erreichen“

Ein Gespräch darüber, wie man Gedanken verkauft

Das Gespräch führte Maria Hoffmann




Gianfranco Walsh lehrt an der FSU Allgemeine BWL und ist auf Marketing spezialisiert. Dabei forscht er zum Verhalten von Konsumenten und Dienstleistungsmitarbeitern. Das Akrützel sprach mit ihm über Coolness, Kampagnen und süße kleine Hunde in Not.Foto: privat

Welchen Stellenwert weisen Sie der Kommunikation im Marketing zu?

Das kommt von Unternehmen zu Unternahmen ganz darauf an. Grundsätzlich hat die Bedeutung der Kommunikation zugenommen. In den Medien gibt es eine unüberschaubare Zahl an Medienoutlets, wie Zeitschriften und Fernsehsender. Durch die daraus entstandene Konkurrenzsituation müssen Unternehmen heute viel mehr Geld ausgeben, um gehört zu werden. Das ist in den letzten Jahren ein ganz erhebliches Problem geworden.

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„Nur die Philo-Fakultät ist militanter“

Ein Gespräch über die heftigen Proteste der chilenischen Studenten

Das Gespräch führte Johanne Bischoff




Mit dem Rücken zur Wand – Polizei in Aktion.Foto: flickr.com/Diego Martin

Naby Berdjas ist Student der Soziologie in Jena. Eigentlich hatte er geplant, ein Auslandsjahr an der Universidad de Chile zu absolvieren. Nach drei Monaten gab er dieses Vorhaben auf: Seine Fakultät bot keine Veranstaltungen mehr an. Die chilenischen Studenten streiken seit einem halben Jahr.

Mit Akrützel sprach er über die Proteste, Tränengas und die Macht des studentischen Aufstandes.

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