Mir ist langweilig!

Spielzeiteröffnung am Theaterhaus mit “Villa dolorosa”

Von Johannes Weiß


Foto: Joachim Dette

Für Schauspieler ist es bestimmt ein sehr angenehmes Stück. Schließlich müssen sie hier gerade mal die Hälfte ihres Textes lernen, weil der sich spätestens ab Mitte der zweieinhalbstündigen Aufführung sowieso nur noch wiederholt. Obwohl sich die Handlung von Rebekka Kricheldorfs „Villa dolorosa“ über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckt, bleiben die Personen, ihre Probleme und ihre Gespräche doch weitgehend immer dieselben.
Denn es sind ständig in sich kreisende und im Leben festgefahrene Charaktere, die auf die Bühne des Theaterhauses Jena treten: Olga (Vera von Gunten) hat keinen Mann und eine langweilige Arbeit, Mascha (Zoe Hutmacher) keine Arbeit und einen langweiligen Mann, Irina (Saskia Taeger) weder Mann noch Arbeit und sie langweilt sich praktisch immer. Etwa gleich zu Beginn auf ihrer „öden“ Geburtstagsparty: Die Opernsammlung taugt nicht so recht zur Stimmungsmusik, Gäste außerhalb der Verwandtschaft hat Irina gar nicht erst eingeladen und dann bekommt sie auch noch die gleichen nutzlosen Geschenke wie jedes Jahr. Immerhin machen die drei Schwestern zu späterer Stunde Bekanntschaft mit dem extrovertierten Georg (Mohamed Achour), dessen Frau in regelmäßigen Abständen Suizidversuche unternimmt. Auch der Bruder Andrej (Ralph Jung) lässt sich mal blicken und versucht der Runde ein etwas abgehobenes Romankonzept näherzubringen.

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Favoriten auf den Kopf gefallen

Carl Zeiss Jena beendet Niederlagenserie mit 2:0 (0:0) gegen Ingolstadt

Von Florian Sokoll

Foto: Florian Sokoll

Die Kräfteverhältnisse schienen vor dem Spiel klar: Die Gastgeber mussten zuletzt fünf Niederlagen in Folge verbuchen, die Gäste aus Bayern waren seit ebenso vielen Spielen ungeschlagen. Was die 5099 Zuschauer im Ernst-Abbe-Sportfeld geboten bekamen, war jedoch der zuletzt so vermisste professionelle Fußball, der zusammen mit einer kleinen Portion Glück das Spiel zugunsten der Saalestädter entschied.

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Platzangst zur Mittagszeit

Abbe-Mensa platzt 10 Jahre nach ihrem Bau aus allen Nähten

Von Norbert Krause

Abbe-Mensa – das Original.
Foto: Katharina Schmidt

In der Abbe-Mensa herrscht zur Mittagszeit seit einigen Semestern ein permanenter Ausnahmezustand. Überall sind Schlangen: an der Essensausgabe, an den Kassen und sogar bei der Rückgabe. Man bahnt sich den Weg durch die Kassenschlangen, um die Essensschlangen zu finden. Mit dem Essen versucht man, sich einen Weg durch die anderen Schlangen zu den Kassenschlangen zu bahnen. Hinter der Kasse droht auch schon die Rückgabeschlange, bei der man auf Freundlichkeit hoffen muss, um zu den vielen bereits durch Taschen und Jacken besetzten Tischen durchgelassen zu werden. Nach dem Essen stellt man sich am anderen Ende der Mensa an, um sein Tablett abzugeben. So sieht mittlerweile der Normalbetrieb in der Abbe-Mensa zwischen 12 und 13 Uhr aus.
Feierstimmung kommt hier irgendwie nicht so recht auf. Dabei feiert die Abbe-Mensa in diesem Jahr ihr 10-jähriges Bestehen. Die größte Mensa Thüringens mit über 2.500 Essen pro Tag und 600 Sitzplätzen wurde am 1. September 1999 eröffnet.

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Herzlich Willkommen im Hamsterrad Universität!

Die Zeiten des entspannten und sorglosen Studierens sind vorbei – ein fiktiver Lebenslauf

Von Christian Fleige, Philipp Böhm und Johannes Wander

Immer in Eile – der moderne Student.
Foto: Katharina Schmidt

“Hässlich!“, das war H.s erster Gedanke, als er vor gut drei Jahren die Ausläufer Jenas zum ersten Mal von der A4 aus sah. „Scheiß Betonklötze!“, und überhaupt nicht wie die Heimat, die laut Kilometeranzeige im Armaturenbrett schon mehr als 400 Kilometer hinter ihm lag. Er hatte damals eine Vielzahl von Angeboten verglichen und sich schließlich für ein Magisterstudium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena entschieden. Das erkämpfte Einser-Abitur nach der zwölften Klasse sollte nur der Anfang seiner Karriere sein. Er ließ seine Familie, seinen Freundeskreis und auch seine langjährige Freundin zurück, die gerade eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin begonnen hatte. Doch er bewies Mobilität und Flexibilität. Er vollbrachte die Opfer, die die heutige Gesellschaft forderte.
Laut Stephan Lessenich vom Institut für Soziologie kommen solche Opfer aber nur selten überraschend, da sowohl in der frühkindlichen Entwicklung als auch in der Schule auf das Wettbewerbsparadigma vorbereitet werde. „Das ‚,Turboabitur‘ ist nur ein Beispiel für diesen auf Beschleunigung getrimmten Prozess, denn auch der Entscheidungsdruck spielt eine große Rolle. Die Fragen ‚,Bin ich hier richtig?‘, ‚,Wo will ich hin?‘ und ‚,Was muss ich machen, um dahin zu kommen?‘ sind allgegenwärtig.“ Klaus Dörre, ebenfalls vom Institut für Soziologie, relativiert diese Ansichten im Hinblick auf das Studium: „Der Orientierungsdruck in den einzelnen Studiengängen variiert sehr, man kann in diesem Zusammenhang nicht einfach so pauschalisieren.“ Generell kann man es aber wohl mit der Dezernentin für Akademische und Studentische Angelegenheiten Eva Schmitt-Rodermund halten: „Heute gibt es eine viel größere Debatte darüber, was denn aus jungen Menschen einmal werden soll.“

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Hilflos vor Halbwüchsigen

Erstes Praxissemester für Lehramtsstudenten mit Schwierigkeiten

Von Anna Zimmermann

Wenn Lehren zur Qual wird.
Foto: Katharina Schmidt

Dass universitäre Ausbildung lebensfern und exzentrisch ist und sich oft in heillosen Theorien verzettelt, ist wohl kein Geheimnis. Seit Jahren wird vielfach genau das bemängelt: Studenten hätten keine Vorstellung von echter Berufswelt, höchstens Praktika wären ein Mittel, um Praxiserfahrungen zu sammeln. Eine Integration ins Studium findet nur in Ausnahmefällen statt.
Eine dieser Ausnahmen ist das Praxissemester der Lehramtsstudenten, die nach dem neuen Jenaer Modell der Lehrerbildung studieren. Seit 2002 tüftele man an einer Möglichkeit, Schulpraxis in das Lehramtsstudium zu integrieren, berichtet Karin Kleinespel, die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums für Lehrerbildung und Didaktikforschung (ZLD). Als man das Modell 2007 einführte schien die Lösung gefunden: Jeder Lehramtsstudent soll im fünften oder sechsten Semester ein Praxissemester absolvieren. Aufgaben des Praktikanten sind dabei Hospitationen, Assistenztätigkeiten und 20 bis 40 eigene Unterrichtsstunden je Fach. Alle zwei Wochen werden diese Aktivitäten in der Schule von Begleitveranstaltungen aufgearbeitet. In diesem Wintersemester wurden nun die ersten 177 Studenten an thüringische Schulen geschickt, in einem, wie Kleinespel selbst zugibt, „Experiment mit echten Menschen“.

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Gewohnheitsprotest

Widerstand gegen das vierte rechtsradikale “Fest der Völker”

Von Anne Dünger

Sitzen wir’s aus!
Foto: Florian Sokoll

Pa-ramm, pa-ramm, schleift das Bodenblech der Straßenbahn über den Kies im Gleisbett. Die Stimmung hat etwas von der vorfreudigen Aufgeregtheit bei Klassenfahrten. Aber die etwa 250 Menschen, die sich an diesem Morgen des 12. Septembers in der Enge der Straßenbahn drängen, werden nicht von Klassenlehrern zurechtgewiesen, sondern von Ordnern des Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus. Und begleitet werden sie auf Schritt und Tritt von den Sondereinsatzkräften der Polizei.
Anlass des Ausflugs ist wieder einmal das sogenannte „Fest der Völker“. „Wieder einmal,“ das ist auch ein dumpfes Bauchgefühl, das wohl nicht wenige der Demonstranten auf dem Weg zum Pößnecker „Schützenhaus“ begleitet, dem diesjährigen Ort des Nazitreffens. Zum mittlerweile vierten Mal fand das „FdV“ statt und etablierte damit nicht nur eine traurige Tradition der rechten Szene in Thüringen, sondern auch eine Tradition der Gegendemonstrationen und Sitzblockaden.

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Der Zweck heiligte die Mittel

Diskussion um NS-Vergangenheit eines Jenaer Reformpädagogen

Von Matthias Benkenstein

Reformpädagoge Peter Petersen
Foto: Jenaplan-Archiv

Er war schon nach Adolf Hitler benannt und auch nach Karl Marx. Seit der Wende trägt der Jenaer Platz zwischen Arbeitsamt und Seidelparkplatz den Namen Peter Petersens. Jetzt ist ein Streit darüber entbrannt, ob der Platz erneut umbenannt werden soll. Denn Petersen (1884-1952) war nicht nur Reformpädagoge und Erfinder des sogenannten Jena-Plans, sondern auch Rassist und NS-Opportunist.
Angestoßen hat die aktuelle Diskussion eine Studie des Frankfurter Erziehungswissenschaftlers Benjamin Ortmeyer. Seine Arbeit beleuchtet das Leben von vier Erziehungswissenschaftlern, die nach dem Zweiten Weltkrieg großen Einfluss auf die Erziehungswissenschaften in der Bundesrepublik hatten: Eduard Spranger, Hermann Nohl, Erich Weniger und Peter Petersen. Im Zuge seiner jahrelangen Recherchen entdeckte er Aufsätze wieder, die deutlich wie nie die Nähe der vier Personen zur Nazi-Ideologie belegen.

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Blut und Briefe

Schillers “Don Carlos” am Nationaltheater in Weimar

Von Johannes Weiß

“Geben Sie Gedankenfreiheit!” Marquis Posa redet König Philipp ins Gewissen.
Foto: David Graeter/DNT

Nur selten kommt es vor, dass ein Programmheft so viel über eine Theatervorstellung aussagt. Während man sich sonst durch theoretische oder literarische Texte quälen muss, die mit dem Geschehen auf der Bühne sowieso nichts zu tun haben, ist es bei der Begleitbroschüre des neuen Weimarer „Don Carlos“ ganz anders: Abgesehen von der Besetzungsliste und einer Kurzzusammenfassung der Handlung sucht man hier vergebens nach Inhalten. Besser hätte die Inszenierung nicht beschrieben werden können. Gut, die Vorderseite des ausklappbaren Programmheftes zeigt zudem ein mit vielen bunten Pfeilen ausgestattetes Dia­gramm, das einen Überblick über die im Stück vorkommenden Briefe samt Absender und Empfänger bietet. Auf der kompletten Rückseite hingegen darf man ein Poster vom Alten Museum in Berlin mit der installierten Leuchtschrift „all art has been contemporary“ bewundern. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Regisseur Felix Ensslin und die Dramaturgin Susanne Winnacker eben einfach wenig zu sagen hatten. Die über dreieinhalbstündige Vorstellung widerlegt dies nicht.

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