Überzeugungstäter

Wie eine anonyme Gruppe versucht, die Studenten aufzurütteln

Von Norbert Krause

Tatort Thulb. Foto: FSU/Scheere

Die Bücher der Universitätsbibliotheken haben seit der letzten Woche neue Lesezeichen. Das Buch „Globalmacht Geld“ beispielsweise bekam den kleinen Zettel: „Wenn der Beweggrund zu einer Entscheidung nicht ökonomischer Art ist, wundert sich der moderne Mensch und bekommt es mit der Angst zu tun.“ Das ist ein Zitat des kolumbianischen Philosophen Nicolas Gomez Davila. Fast 1.000 Bücher sind mit solchen Gedanken versehen worden. Sie sollen die Studenten aufrütteln oder sie zumindest in ihrem trüben Lernalltag ein wenig irritieren.
Die Gruppe, die hinter den Aktionen steht, nennt sich „Denken macht schön!“. Sie hat die vergangene Woche liebevoll zur „Woche der Sensibilisierung“ erklärt. „Wir sind allesamt Schöngeister“, sagt Andrea, ein Mitglied, über die Zusammensetzung der Gruppe. Subversive Tendenzen seien eigentlich gering ausgeprägt. Aber auf institutionalisiertem Wege, also über den Stura, funktionierten solche Aktionen nicht. Deshalb muss sich die Gruppe auch selbst finanzieren und die Aktionen inoffiziell durchführen.

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Die Diktatur der Angepassten

Unkritische, unpolitische, weichgespülte Studenten – eine Polemik

Von Jonas Janssen

Bisweilen wirkt die heutige Studentengeneration lethargisch bis treudoof. Foto: Akrützel-Archiv

Neulich in der Mensa: Ein Langhaariger in knallgelbem „Verwaltungsgebühren-Boykott“-Shirt schlurft an meiner Reihe vorbei. Als er außer Hörweite ist, schnauft mein Gegenüber verächtlich und reckt den Hals zu mir rüber: „Fünfzehntes Semester Philosophie; Attac und Greenpeace plus Weltrettung nebenher – Zeit sollte man haben.“ Da der erhoffte Lacher meinerseits ausfällt, legt er nach: „Also mir gehen diese Gutmenschen ja manchmal richtig auf den Sack.“ Da muss ich doch irgendwie mithalten: „Alter, das kommt aber gut im Lebenslauf, mit Softskills und so.“ Der Schlag sitzt und wir brechen beide in schallendes Gelächter aus.

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Die Welt im Schwebezustand

Ein Gespräch mit Soziologieprofessor Hartmut Rosa

Das Gespräch führte Felix Reinhardt

Prof. Hartmut Rosa ist Lehrstuhlinhaber für allgemeine und theoretische Soziologie. Mit Akrützel sprach er über die Veränderung des Zeitgeistes, Ohnmachtsgefühle und die Faszination der RAF.

Foto: Felix Reinhardt

Herr Rosa, Aktionen gegen Studiengebühren stoßen unter Studenten auf eine nur sehr geringe Resonanz, obwohl sie unmittelbar davon betroffen sind. Wie ist das zu erklären?

Das ist Teil eines allgemeinen Phänomens: Es wird immer schwerer Proteste zu organisieren. Diese Tendenz ist im Übrigen nicht nur studienspezifisch, sondern zieht sich durch die gesamte Gesellschaft. Ein zentraler Grund sind die aufkommenden Ohnmachtsgefühle. Man könnte zwar protestieren, aber es würde nichts bringen. Spieltheoretisch könnte man sagen, es spielt hier eine Art Kosten-Nutzen-Abwägung hinein. Auf der anderen Seite ist jeder gewillt seinen eigenen Weg zu finden. Lieber ein schneller Studienabschluss und ein paar Praktika als versuchen kollektiv etwas zu tun. Hier findet eine Verschiebung im Lebensgefühl statt. Die Studenten wollen sich in dem Wirrwarr am besten durchschlängeln.

Welche Rolle spielt die 68er-Bewegung für die heutige Studenten-Generation?

Sie wirkt eher negativ. Seit 20 bis 30 Jahren sagen die Dozenten: „Naja, es ist alles nicht mehr so, wie es mal zu unserer Zeit war.“ Aber hier findet auch eine Verklärung statt. Wir haben die Bilder im Kopf, dass diese Generation nichts anderes gemacht hätte als zu demonstrieren.

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Anschnallen nicht vergessen

Die Wickelräume an der Uni gleichen einer Autobahntoilette

Von Anna Zimmermann

Ohne Kommentar. Foto: Philipp Böhm

„Allein in diesem Jahr haben wir 19 neue Wickelmöglichkeiten geschaffen“, erklärt die Verantwortliche für die Wickelräume, Eva Schmitt-Rodermund. „Während es vorher nur ein paar Weiterlesen

Pariser Allerlei

Neue Ausstellung „Von Manet bis Renoir“ im Stadtmuseum

Von Stephanie Frank

Gustave Caillebotts “Europabrücke” von 1876

Was machen 49 Pariser Maler wie Picasso und Chagall in Jena? Sie sind seit Ende November in der neuen und in dieser Form noch nie gezeigten Ausstellung „Von Manet bis Renoir“ im Stadtmuseum zu sehen. Anhand von 90 Portraits und Landschaften macht der Besucher eine Reise zurück in das ausklingende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert. Denn die Ausstellung vereint rund 70 Jahre Kunstproduktion in Paris, wo sich Künstler aus verschiedenen Ländern versammelten, um im Austausch miteinander neue künstlerische Wege zu gehen.
In „Le pont de l’Europe“ von Gustave Caillebotte, einem der weniger bekannten Künstler der Ausstellung, flanieren Menschen in Sonntagskleidung über die Europabrücke in Paris. Andere verweilen auf ihr, um die ruhige Stimmung zu genießen. Der herrenlose Hund im Vordergrund verbindet die beiden Situationen miteinander. Die Stahlkonstruktion der Brücke und der weiße Rauch im Hintergrund verweisen auf die zunehmende Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts. Durch scheinbar alltägliche Szenen zeichnet Caillebotte ein feines Bild des Lebens jener Zeit.

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Jena, ick liebe dir

Teil 4: Die Tegut-Anlieferzone

Von Norbert Krause

Der Ort aller Orte. Foto: Matthias Benkenstein

Es ist wohl der am tiefsten zu Herzen gehende Ort in ganz Jena: Ewig kann man hier sitzen und über die Vergänglichkeit des Lebens philosophieren. Es ist der Durchgang hinter der Straßenbahnendhaltestelle auf dem Ernst-Abbe-Platz und zugleich der Anlieferbereich für Tegut.
Dieser Ort symbolisiert den Übergang vom studentischen zum menschlichen Universum. Er ist der viel benutzte Weg von der Arbeitshölle zur Privathölle. Das spürt man, wenn man aus dem studentischen Kosmos langsam in das architektonisch gewollte und so bedeutsame Dunkel eintaucht und dann, nach gemessener Stille, in der Stadt Jena wieder auftaucht – vor dem eindeutigen und keinen Kompromiss duldenden Schild „Zentrum für ambulante Medizin“.
Nahezu alle Verkehrsmittel treffen hier aufeinander: Motorräder auf Fahrräder, Autos auf Taxis und alle auf Straßenbahnen. Alles wird verbunden durch das hektische Umherlaufen des modernen Menschen. Nur eines wird schmerzlich vermisst: das Schiff. Aber wenn man einmal die Augen schließt und die Menschenströme einen umfließen lässt, dann hat man leicht das Gefühl, wenn schon in keinem Öltanker, so doch in einem kleinen Kanu der Individualität zu treiben.

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